Auf den Spuren der Evolution
Ein internationales Forscherteam hat das Erbgut des Großen Seegrases entschlüsselt. Die Genabfolge zeigt, wie eine Wasser- erst zur Landpflanze wurde, bevor sie dann ins Meer zurückkehrte.
Viele Urlauber empfinden es beim Baden als störend, doch tatsächlich haben das Große Seegras (Zostera marina) und seine kleineren Verwandten große ökologische und wirtschaftliche Bedeutung: Seegraswiesen dienen als Brutplätze und Kinderstube für Fische und beherbergen darüber hinaus Muscheln, Schnecken und Krebse. Sie filtern das Wasser und tragen zum Küstenschutz bei. Aus den am Spülsaum aufgesammelten, getrockneten Pflanzenteilen lassen sich Füllungen von Kissen und Matratzen herstellen und Untersetzer, Körbe oder sogar Möbel flechten. Auch als Dämmmaterial erfreut sich Seegras großer Beliebtheit, denn es brennt und schim- melt nicht und wirkt auf Insekten abstoßend.
Die Wissenschaft interessiert das Seegras aus einem anderen Grund: Seine Urahnen aus dem Meer siedelten sich an Land an. Von diesen einkeimblättrigen Pflanzen stammen auch der heutige Weizen und das Weidelgras ab. Doch die Vorfahren der Seegräser kehrten vor Jahrmillionen wieder ins Meer zurück. Ein europäisch-amerikanisches Forscherteam hat nun in einem achtjährigen Projekt den genetischen Bauplan von Zostera marina entschlüsselt und seine Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift »Nature« (DOI: 10.1038/nature16548) veröffentlicht. An der Studie waren 20 Ar- beitsgruppen aus neun Ländern beteiligt, darunter Forscher der Universitäten Groningen (Niederlande) und Gent (Belgien) sowie des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel. »Über die Genomsequenzierung wollten wir Aufschlüsse über die einzigartige Evolution der Seegräser gewinnen«, erzählt Thorsten Reusch, Meeresbiologe am GEOMAR und Mitautor der Studie.
So zeigte sich, dass das Seegras einzelne Eigenschaften aus seiner Vergangenheit an Land erhalten hat – wie etwa die Fähigkeit zu wurzeln –, während es andere – wie den Aufbau von Stützgewebe oder spezielle Mechanismen zum Schutz gegen Verdunstung– im Laufe seiner Evolution abgelegt hat. »Bei der Entwicklung von Wurzeln handelt es sich um sehr nützliche Anpassungen, denn sie erlauben es den Seegräsern, den hohen Nährstoffgehalt aus dem Meeresboden aufzunehmen«, erklärt Reusch. Vor der Überdüngung der Meere bedeutete das einen klaren Wettbewerbsvorteil gegenüber Algen. Hinzu kamen eine Reihe von Charakteristika, die es der Pflanze ermöglichten, sich nach dem großen Artensterben vor rund 67 Millionen Jahren großflächig auszubreiten. Tatsächlich findet man die Pflanze heute in Breiten von Alaska bis zum Golf von Mexiko.
Die Wissenschaftler identifizierten im Erbgut Sequenzen, die ihre Bestäubung im Wasser ermöglichen oder den Pflanzen helfen, mit dem hohen Salzgehalt des Meerwassers zurechtzukommen.
»Ähnlich wie das Human Genome Project ist die Entschlüsselung des Genoms des Großen Seegrases der Startpunkt für viele Untersuchungen auf Populationsebene«, so Reusch. »Dort finden sich sehr viele interessante Mechanismen, wie das Genom abgewandelt wird.« So kommen die Unterarten dieser extrem anpassungsfähigen Pflanze mit verschiedenen Wassertemperaturen und Lichtverhältnissen klar.
In den letzten Jahren sind Seegraswiesen weltweit stark zurückgegangen. Schuld daran ist die Überdüngung der Meere und die aktive Zerstörung durch ankernde Schiffe oder Grundschleppnetze. Auch die Erderwärmung bedroht die Bestände, denn obwohl sich das Seegras an verschiedene Klimazonen angepasst hat, können sich die Pflanzen genetisch nicht so schnell auf die höheren Wassertemperaturen einstellen. Die Forscher überlegen deshalb, südlichere Arten des Seegrases in nördlicheren Breiten anzusiedeln. Konkrete Pläne dafür gibt es jedoch noch nicht.
Forschungsbedarf gibt es auch noch darüber, wie die Salztoleranz der Pflanze funktioniert. Das könnte angesichts der wachsenden Versalzung der Ackerflächen im globalen Süden auch für die Biotechnologie und die Landwirtschaft von Interesse sein.