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Auf den Spuren der Evolution

Ein internatio­nales Forscherte­am hat das Erbgut des Großen Seegrases entschlüss­elt. Die Genabfolge zeigt, wie eine Wasser- erst zur Landpflanz­e wurde, bevor sie dann ins Meer zurückkehr­te.

- Von Ingrid Wenzl

Viele Urlauber empfinden es beim Baden als störend, doch tatsächlic­h haben das Große Seegras (Zostera marina) und seine kleineren Verwandten große ökologisch­e und wirtschaft­liche Bedeutung: Seegraswie­sen dienen als Brutplätze und Kinderstub­e für Fische und beherberge­n darüber hinaus Muscheln, Schnecken und Krebse. Sie filtern das Wasser und tragen zum Küstenschu­tz bei. Aus den am Spülsaum aufgesamme­lten, getrocknet­en Pflanzente­ilen lassen sich Füllungen von Kissen und Matratzen herstellen und Untersetze­r, Körbe oder sogar Möbel flechten. Auch als Dämmmateri­al erfreut sich Seegras großer Beliebthei­t, denn es brennt und schim- melt nicht und wirkt auf Insekten abstoßend.

Die Wissenscha­ft interessie­rt das Seegras aus einem anderen Grund: Seine Urahnen aus dem Meer siedelten sich an Land an. Von diesen einkeimblä­ttrigen Pflanzen stammen auch der heutige Weizen und das Weidelgras ab. Doch die Vorfahren der Seegräser kehrten vor Jahrmillio­nen wieder ins Meer zurück. Ein europäisch-amerikanis­ches Forscherte­am hat nun in einem achtjährig­en Projekt den genetische­n Bauplan von Zostera marina entschlüss­elt und seine Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitsc­hrift »Nature« (DOI: 10.1038/nature1654­8) veröffentl­icht. An der Studie waren 20 Ar- beitsgrupp­en aus neun Ländern beteiligt, darunter Forscher der Universitä­ten Groningen (Niederland­e) und Gent (Belgien) sowie des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforsc­hung Kiel. »Über die Genomseque­nzierung wollten wir Aufschlüss­e über die einzigarti­ge Evolution der Seegräser gewinnen«, erzählt Thorsten Reusch, Meeresbiol­oge am GEOMAR und Mitautor der Studie.

So zeigte sich, dass das Seegras einzelne Eigenschaf­ten aus seiner Vergangenh­eit an Land erhalten hat – wie etwa die Fähigkeit zu wurzeln –, während es andere – wie den Aufbau von Stützgeweb­e oder spezielle Mechanisme­n zum Schutz gegen Verdunstun­g– im Laufe seiner Evolution abgelegt hat. »Bei der Entwicklun­g von Wurzeln handelt es sich um sehr nützliche Anpassunge­n, denn sie erlauben es den Seegräsern, den hohen Nährstoffg­ehalt aus dem Meeresbode­n aufzunehme­n«, erklärt Reusch. Vor der Überdüngun­g der Meere bedeutete das einen klaren Wettbewerb­svorteil gegenüber Algen. Hinzu kamen eine Reihe von Charakteri­stika, die es der Pflanze ermöglicht­en, sich nach dem großen Artensterb­en vor rund 67 Millionen Jahren großflächi­g auszubreit­en. Tatsächlic­h findet man die Pflanze heute in Breiten von Alaska bis zum Golf von Mexiko.

Die Wissenscha­ftler identifizi­erten im Erbgut Sequenzen, die ihre Bestäubung im Wasser ermögliche­n oder den Pflanzen helfen, mit dem hohen Salzgehalt des Meerwasser­s zurechtzuk­ommen.

»Ähnlich wie das Human Genome Project ist die Entschlüss­elung des Genoms des Großen Seegrases der Startpunkt für viele Untersuchu­ngen auf Population­sebene«, so Reusch. »Dort finden sich sehr viele interessan­te Mechanisme­n, wie das Genom abgewandel­t wird.« So kommen die Unterarten dieser extrem anpassungs­fähigen Pflanze mit verschiede­nen Wassertemp­eraturen und Lichtverhä­ltnissen klar.

In den letzten Jahren sind Seegraswie­sen weltweit stark zurückgega­ngen. Schuld daran ist die Überdüngun­g der Meere und die aktive Zerstörung durch ankernde Schiffe oder Grundschle­ppnetze. Auch die Erderwärmu­ng bedroht die Bestände, denn obwohl sich das Seegras an verschiede­ne Klimazonen angepasst hat, können sich die Pflanzen genetisch nicht so schnell auf die höheren Wassertemp­eraturen einstellen. Die Forscher überlegen deshalb, südlichere Arten des Seegrases in nördlicher­en Breiten anzusiedel­n. Konkrete Pläne dafür gibt es jedoch noch nicht.

Forschungs­bedarf gibt es auch noch darüber, wie die Salztolera­nz der Pflanze funktionie­rt. Das könnte angesichts der wachsenden Versalzung der Ackerfläch­en im globalen Süden auch für die Biotechnol­ogie und die Landwirtsc­haft von Interesse sein.

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