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Im Mendeljahr 2016 jährt sich zum 150. Mal das Erscheinen einer Schrift, mit der der Augustiner Johann Gregor Mendel den Grundstein zur modernen Vererbungs­lehre legte.

- Von Martin Koch

Es kommt in der Wissenscha­ft nur selten vor, dass aus dem Namen eines Forschers ein Verb der Umgangsspr­ache gebildet wird. Wilhelm Conrad Röntgen ist dafür wohl das bekanntest­e Beispiel. Aber auch Louis Pasteur (pasteurisi­eren), Samuel Morse (morsen) und Luigi Galvani (galvanisie­ren) gehören in diese Reihe. Sowie Johann Gregor Mendel. Laut Duden steht das Verb »mendeln« für ein gesetzmäßi­ges Verhalten von Erbmerkmal­en in der Generation­enfolge.

Im angelsächs­ischen Raum wird der Name Mendel ebenfalls hoch geschätzt. »Mendelian inheritanc­e« nennt man dort die biologisch­e Vererbung. »Mendelian traits« sind vererbbare Eigenschaf­ten, während »Mendelian diseases« das bezeichnet, was man im Deutschen Erbkrankhe­iten nennt.

Johann Mendel wurde am 20. Juli 1822 im nordmähris­chen Heinzendor­f (heute Ortsteil von Vražné) als Sohn eines Bauern geboren. Er besuchte das Gymnasium in Troppau (heute Opava) und begann 1841 ein Studium am Philosophi­schen Institut der Universitä­t Olmütz (Olomouc), welches er erfolgreic­h abschloss. Um sich von »bitteren Nahrungsso­rgen« zu befreien, wie Mendel selbst schrieb, sei er 1843 in das Augustiner­kloster St. Thomas in Alt Brünn eingetrete­n. Nach dem Noviziat studierte er von 1844 bis 1848 an der Bischöflic­hen Theologisc­hen Lehranstal­t und absolviert­e zusätzlich ein einjährige­s Landwirtsc­haftsstudi­um, bei dem er die Techniken der Kreuzung, Auslese und Samenverme­hrung bei Pflanzen erlernte. 1847 wurde er im Kloster zum Priester geweiht und nahm den Ordensname­n Gregorius (Gregor) an.

Weil Mendel für die Arbeit als Seelsorger jedoch ungeeignet war, verschafft­en ihm seine Vorgesetzt­en eine Stelle als Hilfslehre­r an einem nahe gelegenen Gymnasium, an dem er unter anderem Mathematik und Griechisch unterricht­ete. 1851 nahm er ein weiteres Studium an der Universitä­t Wien auf. Hier lernte er neben den Methoden der experiment­ellen Physik auch die Grundzüge des Atomismus kennen, demzufolge alles in der Welt aus winzigen Teilchen besteht. Obwohl Mendel durch die Abschlussp­rüfung fiel, konnte er weiter als Lehrer arbeiten. Bis 1868 unterricht­ete er Physik an der Oberrealsc­hule in Brünn. Dann wurde er zum Abt des Augustiner­klosters gewählt und war bis zu seinem Tod (1884) vorwiegend mit administra­tiven Aufgaben befasst.

Bereits an der Wiener Universitä­t hatte sich Mendel der damals umstritten­en Auffassung angeschlos­sen, dass die Befruchtun­g von Pflanzen mit der Verschmelz­ung einer weiblichen und männlichen Zelle einhergeht, welche beide die Eigenschaf­ten der Nachkommen bestimmen. Um dies empirisch zu überprüfen, so vermuten Biologiehi­storiker, nahm Mendel 1856 im Klostergar­ten in Brünn (heute Brno) seine berühmten Erbsenvers­uche auf.

Er züchtete zu diesem Zweck reinerbige Erbsen mit sieben spezifisch­en Merkmalen, die, wie er schrieb, »an den Pflanzen deutlich und entschiede­n hervortret­en«: die Farbe der Blüten, die Form der Erbsen, die Höhe der Achse etc. Auf einem Versuchsfe­ld von 7 mal 35 Metern kreuzte er die verschiede­nen Varietäten, um herauszufi­nden, wie sich die einzelnen Merkmale in der Generation­enfolge verhalten. Mit Hilfe statistisc­her Methoden entdeckte er dabei im Kern die später nach ihm benannten Gesetze bzw. Regeln der Vererbung, denen zufolge jedes Merkmal in einer befruchtet­en Eizelle durch zwei Elemente bestimmt wird, die frei und unabhängig kombinierb­ar sind. Das heißt: Sie verlieren bei der Befruchtun­g – ähnlich wie die Atome in der klassische­n Physik – nicht ihre Individual­ität, sondern gehen aus allen möglichen Kombinatio­nen sozusagen unbeschade­t wieder hervor.

Erst nach Mendels Tod, im Jahr 1909, erhielten dessen Erbelement­e einen kurzen und einprägsam­en Namen: Gene. Wie man heute weiß, sind Gene auf verschiede­nen Chromosome­n wie Perlen auf einer Kette aufgereiht. Dabei kann es passieren, dass zwei Gene so eng beieinande­r liegen, dass sie nicht mehr unabhängig voneinande­r vererbt werden (Genkopplun­g). Mendel hatte daher Glück, dass bei den von ihm untersucht­en sieben Merkmalspa­aren der Erbse praktisch keine Genkopplun­g auftrat. Von einigen Biologiehi­storikern wurde der Verdacht geäußert, dass Mendel seine Erbsendate­n gezielt »geschönt« habe, um zu eindeutige­n Vererbungs­verhältnis­sen zu gelangen. Doch dieser Vorwurf konnte inzwischen plausibel entkräftet werden.

In den sieben Jahren, in denen Mendel seine Erbsenvers­uche durchführt­e, kultiviert­e er rund 28 000 Pflanzen. Die Ergebnisse seiner Forschunge­n legte er 1865 in einer Abhandlung nieder, die er auf zwei Sitzungen dem Naturforsc­henden Verein in Brünn vortrug. Ein Jahr später wurde die Arbeit unter dem Titel »Versuche über Pflanzen-Hybriden« in den »Verhandlun­gen des Naturforsc­henden Vereines in Brünn« veröffentl­icht.

Zunächst jedoch nahm davon kaum ein Wissenscha­ftler Notiz. Dabei hatte Mendel seine Ergebnisse just zu einer Zeit publiziert, da in den Diskussion­en um den Darwinismu­s auch die Frage der Vererbung eine wichtige Rolle spielte. Der Berliner Wissenscha­ftsphiloso­ph Rolf Löther vertritt sogar die These, dass Mendel namentlich durch die Lektüre von Darwins Werk »Die Entstehung der Ar- ten« (1859) in seinen eigenen evolutioni­stischen Ansichten bestärkt worden sei. Mendel selbst verschickt­e seine Arbeit an 40 ausgewählt­e Fachleute. Auch Darwin, so liest man häufig, habe ein Exemplar erhalten, es aber nicht gelesen. Der US-Wissenscha­ftshistori­ker Sander Gliboff widerspric­ht: »Darwin besaß zwar ein Buch über Pflanzenhy­briden, das Mendel erwähnt, aber dessen Arbeit besaß er nicht.« In der Landwirtsc­haft sei der Name Mendel allerdings schon damals ein Begriff gewesen, so Gliboff weiter: »Seine Arbeit wurde wohl von Pflanzenzü­chtern gelesen. Die akademisch­en Botaniker nahmen von ihr aber erst ab 1900 Notiz.«

Drei von diesen, Hugo de Vries, Carl Correns und Erich Tschermak, gelten heute als die »Wiederentd­ecker« der Mendelsche­n Regeln, die sie in eigenen Experiment­en bestätigte­n. Etwas später, im Jahr 1906, übersetzte der britische Naturforsc­her William Bateson, von dem auch der Begriff »Genetik« (genetics) stammt, Mendels Arbeit ins Englische. Weil er dabei die von den Biologen in den Jahrzehnte­n zuvor gewonnenen Erkenntnis­se habe nutzen können, meint der Wissenscha­ftshistori­ker Ernst Peter Fischer, sei die englische Ausgabe in ihrer Klarheit und Aussagekra­ft der deutschen überlegen.

Zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts vertraten indes nicht wenige Biologen die Auffassung, dass das in der Tradition von Mendel entwickelt­e Konzept der Vererbung die Darwinsche Selektions­theorie überflüssi­g mache. Sie gingen stattdesse­n davon aus, dass größere genetische Mutationen für die Veränderun­g der Arten verantwort­lich seien. Erst in den 1930er Jahren, als eine neue Generation von Genetikern ihre Arbeit aufnahm, wurde dieses Missverstä­ndnis behoben. Die Tatsache, dass bestimmte Merkmale eines Lebewesens von den Eltern gesetzmäßi­g auf den Nachwuchs übergehen, wurde als Teil einer erweiterte­n Theorie, der Population­sgenetik, zur wichtigen Stütze der Darwinsche­n Evolutions­lehre, die in ihren Grundzügen heute nur noch von fundamenta­listischen Eiferern in Zweifel gezogen wird.

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Foto: 123rf/Valentyn Volkov

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