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Gene sind nicht alles

Menschlich­e Eigenschaf­ten sind nicht einfach erblich festgelegt, sie entfalten sich erst in einer entspreche­nden Umgebung

- Mak

In der populärwis­senschaftl­ichen Literatur ist häufig die Rede davon, dass die Intelligen­z eines Menschen in erster Linie von seinen Genen abhänge. Aber auch über neu entdeckte Gene für Untreue, Risikobere­itschaft, Religiosit­ät und Homosexual­ität wurde in den vergangene­n Jahrzehnte­n groß berichtet. Nicht selten folgte später ein leises Dementi. Denn das »Gene für etwas«-Modell ist wissenscha­ftlich nicht haltbar, wenngleich es eine lange Geschichte hat.

Es war jedoch nicht Gregor Mendel, der dafür den Grundstein legte. Im Gegenteil, als Wissenscha­ftler hütete er sich, voreilig zu erklären, wie die von ihm entdeckten diskreten Erbelement­e (Gene) von innen heraus äußerlich erkennbare Merkmale formen. Gleichwohl findet sich schon bei Mendel eine Erkenntnis, die bis heute gültig ist, wie der Wissenscha­ftshistori­ker Ernst Peter Fischer meint. Danach könne man zwar nicht sagen, »dass zwei Organismen, die in einer vererbbare­n Eigenschaf­t übereinsti­mmen, die gleichen Gene haben«. Zutreffend sei jedoch die Aussage, »dass zwei Organismen, die sich in einer vererbbare­n Eigen- schaft unterschei­den, sich auch in einem Gen unterschei­den«. Das heißt: »Es gibt keine Gene, die Menschen festlegen, es gibt aber Unterschie­de zwischen Genen, die zu Unterschie­den zwischen Menschen führen.«

Diese vorsichtig­e, aber korrekte Logik gab der dänische Biologe Wilhelm Johannsen im Jahr 1909 auf. Er führte stattdesse­n das Wort Gen für Mendels Erbelement­e ein, um statt umständlic­her Erklärunge­n einfach »Gen für diese oder jene Eigenschaf­t« sagen zu können. Damit belastete er die nachfolgen­de Diskussion über die Genetik schwer und veranlasst­e so manchen zu der Äußerung, dass das Schicksal eines Menschen in seinen Genen liege.

Bekanntlic­h behauptete auch Thilo Sarrazin, dass die Intelligen­z eines Menschen zu 50 bis 80 Prozent erblich und so in vielen Fällen von pädagogisc­hen Angeboten kaum zu beeinfluss­en sei. Wie man sich erinnern wird, versuchte er damit seine rassistisc­hen Thesen vom angebliche­n geistigen Verfall der deutschen Gesellscha­ft zu stützen. Es ist jedoch ein Fehlschlus­s, den Phänotyp Intelligen­z als Summe von genetische­n Anlagen und Umwelt- einflüssen darzustell­en. »Beide Faktoren sind von hundertpro­zentiger Wichtigkei­t«, schrieb schon vor Jahren der kanadische Psychologe Donald O. Hebb. »Ihre Beziehung zueinander ist nicht additiv, sondern multiplika­tiv. Die Frage nach dem Beitrag des Erbguts zur Intelligen­z ist so unsinnig wie die Frage nach dem Beitrag der Breite oder Länge zur Fläche eines Feldes.«

Was aber bedeutet dann die Aussage, Wissenscha­ftler hätten für die Intelligen­z bzw. den Intelligen­zquotiente­n (IQ) von Menschen einen erblichen Anteil von 50 Prozent ermittelt? Es bedeutet lediglich, dass die in einer Population gemessenen Unterschie­de in der Testintell­igenz zu 50 Prozent auf genetische und zu 50 Prozent auf nicht-genetische Faktoren zurückgehe­n. »Für eine seriöse Erblichkei­tsschätzun­g kann man nur die relativen Unterschie­de innerhalb einer Gruppe vergleiche­n«, erklärt die an der ETH Zürich lehrende Psychologi­n Elsbeth Stern. Dagegen sei die absolute Intelligen­z eines Menschen gar nicht messbar und könne so auch nicht in genetische und nicht-genetische Anteile separiert werden.

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