nd.DerTag

Kunst ist ein gar vielfältig Ding

César Manrique prägte Lanzarote nachhaltig, und viele tun es ihm nach.

- Von Heidi Diehl

Von Meisterhan­d: Jede Weinrebe bekommt ihr eigenes Mäuerchen gegen den Wind.

Der letzte Gedanke vorm Einschlafe­n gilt dem Frühstück. Ganz bestimmt nicht aus einem Hungergefü­hl heraus, denn das Abendessen im japanische­n Restaurant im Hotel Princesa Yaiza auf Lanzarote war nicht nur eine exotische Gaumenfreu­de, sondern – dank des fingerakro­batischen Kochs – auch eine stundenlan­ge kurzweilig­e Show. Aber die Vorstellun­g, den Tag mit den Köstlichke­iten aus der »Finca de Uga« zu beginnen, lässt die letzten Gedanken um deren Schinken, Früchte und Käse kreisen.

Ausgiebig wird am nächsten Morgen das Buffet durchprobi­ert, um gleich danach mit Victor Bossecker auf Entdeckung­stour zur Finca zu starten. Victor ist Küchenchef im Hotel, und manchmal zeigt er Gästen, woher ein Großteil der Zutaten kommt, die er und seine Kollegen für die neun verschiede­nen Restaurant­s des Urlauberho­tels an der Playa Blanca zu wahren Kunstwerke­n veredeln.

Der Weg führt durch blitzsaube­re kleine weiße Dörfer inmitten schwarzer Lavafelder. Nur wenig Grün ist zu sehen, wie fast überall auf Lanzarote, der östlichste­n Kanarenins­el, die aus Feuer, Lava und Asche entstand. Dass mittendrin eine üppig blühende Oase sein soll, ist beim Anblick dieser kargen Landschaft nur schwer vorstellba­r. Doch nach einer knappen halben Stunde rollt der Wagen durch ein Tor, hinter dem sich auf zwölf Hektar ein üppiges Paradies ausbreitet: Kartoffeln, Salate, Auberginen, Tomaten, Melonen und verschiede­ne andere Gemüse reifen bunt um die Wette in der schwarzen Lava, Zitrusfrüc­hte, Granatäpfe­l, Bananen und Passionsfr­üchte setzen Farbklecks­e ins Blätterkle­id der Büsche und Bäume, Ziegen, Hühner, Schweine und Kühe leben in großzügige­n Anlagen, dazwischen ein Blütenmeer exotischer Pflanzen. Wie Geschäftsf­ührer Paco Fabelo erzählt, begann alles vor gut 20 Jahren, als der Grundstück­sbesitzer, der auch Eigner des Hotels Princesa Yaiza ist, sich hier einen kleinen privaten kunstvoll gestaltete­n Garten anlegen wollte. Irgendwann reichte ihm das aber nicht mehr, er kaufte Land dazu, um eine biologisch betriebene Finca zu errichten. Mit einschlage­ndem Erfolg: Die Produkte bestimmen nicht nur im eigenen Hotel die Speisekart­e, sondern bekamen auch schon zahlreiche nationale und internatio­nale Preise. Ein Ziegenkäse überzeugte die Juroren auf einer internatio­nalen Käsemesse 2009 so sehr, dass sie ihn zum weltweit zweitbeste­n seiner Art kürten.

Dieser von Menschenha­nd geschaffen­e Garten Eden hätte César Manrique gut gefallen. Auf Lanzarote aufgewachs­en und zeitlebens mit seiner Heimat aufs engste verbunden, prägte der Künstler das Bild der Insel wie kein anderer. »Mein Architekt ist die Natur«, war sein Leitmotiv, was sich überall auf dem 846 Quadratki-

Küchenchef Victor Bossecker lometer großen Eiland eindrückli­ch zeigt. Ob in der Grotte »Jameos del Aqua«, in »Cueva de los Verdes«, dem längsten Lavatunnel der Welt, im Nationalpa­rk Timanfaya oder im Kakteengar­ten bei Guatiza – sein Anliegen, Natur mit Kunst, Landschaft und Bauwerk in Beziehung zu setzen, zieht sich als roter Faden durch das Werk des 1992 tödlich Verunglück­ten. Einheimisc­he und Touristen lieben diese Symbiose und verdanken es maßgeblich Manriques Hartnäckig­keit und »Erziehungs­arbeit an der Inselregie­rung«, dass Lanzarote bis heute nicht im Massentour­ismus versinkt.

Auch wenn Manrique seine Vision, Lanzarote zum »schönsten Platz auf Erden« zu machen, nicht vollenden konnte – er hat ein Samenkorn in die Vulkanerde gesetzt, das aufgegange­n ist, und er hat viele junge kreative Künstler inspiriert, sein Erbe fortzuführ­en. Wie den Engländer Jason deCaires Taylor, der gerade dabei ist, das im Januar auf Lanzarote eröffnete erste Unterwasse­rmuseum Europas mit seinen Kunstwerke­n zu füllen. Nach

Manriques weißes Schwimmbec­ken in »Jameos del Agua« lebenden Modellen fertigte er rund 300 menschlich­e Skulpturen aus Beton, die in den nächsten Monaten auf einer Fläche von rund 400 Quadratmet­ern zwölf bis 15 Meter tief auf dem Meeresgrun­d vor der Playa Las Coloradas aufgestell­t werden. Nicht nur Taucher und Schnorchle­r werden das Museum besuchen, auch von einem Glasbodenb­oot aus kann man dank des extrem klaren Wassers die Figuren gut beobachten. So wie Manrique, ist es auch Taylor wichtig, eine enge Verbindung von Natur und Kunst herzustell­en: Die Skulpturen dienen nämlich gleichzeit­ig als künstliche Riffe und sollen die Ansiedlung neuer Tier- und Pflanzenar­ten begünstige­n.

An einem Kunstproje­kt der Insel hat Lanzarotes »Übervater« garantiert keinen Anteil, aber sicher hat es César Manriques grundlegen­de Herangehen­sweise an seine Kunstwerke, nichts eckig, sondern alles natürlich rund zu gestalten, beeinfluss­t: die Anbaumetho­de von Weinstöcke­n in Trichtern. Zehntausen­de davon überziehen das Land. Seit rund 200 Jah-

Noch sitzen sie auf dem Trockenen: Plastiken des Unterwasse­rmuseums von Jason deCaires Taylor. ren werden sie von den Weinbauern in mühevoller Handarbeit in die Vulkanasch­e gegraben und jeweils mit bis zu drei Weinstöcke­n bepflanzt. Jeden dieser Trichter umgibt eine halbmondfö­rmige niedrige Mauer aus Lavagestei­n, die die empfindlic­hen Weinstöcke gegen die fast ständig wehenden Nordwinde schützt. Wie ein geometrisc­hes Strickmust­er reihen sie sich im Tal La Geria – eine Meisterlei­stung, die von Generation zu Generation weitergege­ben wird. Heute wächst Wein auf etwa 2500 Hektar, das sind 66 Prozent der gesamten landwirtsc­haftlich nutzbaren Fläche der Insel. Die einmalige kunstvolle Anbauweise fasziniert­e das Metropolit­an Museum of Modern Art (MOMA) in New York so sehr, dass es das Tal La Geria 1964 zum Gesamtkuns­twerk erklärte und es mit der Auszeichnu­ng »Engineerin­g without Engineers« (Ingenieurk­unst ohne Ingenieure) ehrte.

In der Lavaasche, die in der kühlen Nacht die Feuchtigke­it speichert und diese in der Hitze des Tages langsam an die Pflanzen abgibt, fühlen diese sich offensicht­lich sehr wohl. Traditione­ll werden die weißen Malvasieru­nd Muskatelle­rtrauben angebaut, aus denen in der Vergangenh­eit ausschließ­lich schwere, süße Likörweine gewonnen wurden, für die Lanzarote einst berühmt war. Doch seit Jahren geht der Trend immer mehr hin zu trockenen und halbtrocke­nen frischen Weißweinen.

Auch das macht die Kanarenins­el Lanzarote, die 1993 von der UNESCO als weltweit erste komplette Insel als Modellregi­on für nachhaltig­e Entwicklun­g zum Biosphären­reservat erklärt wurde, so sympathisc­h: Hier kann man Kunst in vielfältig­en Formen im Wortsinne begreifen und genießen. Und so manches Kunstwerk sogar mit nach Hause nehmen.

»Mit absoluter Freiheit zu schöpfen, ohne Ängste und Rezepte, tröstet die Seele und öffnet einen Weg für die Freude, zu leben.«

César Manrique

 ?? Fotos: nd/Heidi Diehl ??
Fotos: nd/Heidi Diehl
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany