Geflüchtete unter Sanktionsdruck
Bundesregierung bringt Integrationsgesetz auf den Weg / Papier für ein solidarisches Europa vorgelegt
Ein Integrationsgesetz soll Rahmenbedingungen für Geflüchtete abstecken, wer unter welchen Bedingungen in Deutschland bleiben darf. Kritik an dem Vorhaben kam prompt auf. Sechs Stunden saßen die Spitzen der Großen Koalition zusammen bis am frühen Donnerstagmorgen weißer Rauch aus dem Berliner Kanzleramt aufstieg. Laut Thomas Oppermann hat man Historisches vollbracht: »50 Jahre nach dem Beginn der Einwanderung bekommt Deutschland jetzt ein Integrationsgesetz«, erklärte der SPD-Fraktionsvorsitzende nach der nächtlichen Sitzung. Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel fand große Worte: Er nannte die Einigung »einen wirklich historischen Schritt«. Wie bereits bei der Arbeitsmarkreform vor fast 15 Jahren will sich die Bundesregierung bei der Integration am Grundsatz des »Förderns und Forderns« orientieren.
Zum einen soll es 100 000 zusätzliche Arbeitsgelegenheiten – sogenannte Ein-Euro-Jobs –, Erleichterungen bei der Ausbildungsförderung und eine Verkürzung der Wartezeit auf einen Integrationskurs geben. Zum anderen will Schwarz-Rot sogenannte Mitwirkungspflichten für Schutzsuchende festlegen. So soll das Ablehnen oder der Abbruch von Integrationsmaßnahmen – ganz in der Tradition von Hartz IV – zu Kürzungen von Leistungen führen. Geplant ist außerdem, ein Daueraufenthaltsrecht nur anerkannten Flüchtlingen zu geben, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen – unter anderem bei Sprache, Ausbildung und Arbeit.
Kritik ließ indes nicht lange auf sich warten. Das Vorhaben laufe auf ein »Desintegrationsgesetz« hinaus, erklärte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. »Es gibt ein Angebotsdefizit der Bundesregierung, nicht einen Integrationsunwillen der Flüchtlinge.« Ein Integrationsgesetz, das Sanktionen vorsehe, fördere das Vorurteil, dass Schutzsuchende sich nicht integrieren wollten. Dieser Meinung schloss sich Katrin Göring-Eckardt an. »Wer heute immer noch nicht in der Lage ist, genügend Integrationskurse anzubieten, der sollte nicht über Sanktionen reden«, kritisierte die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag.
Thema des Spitzentreffens war auch der Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen. Die Koalition verständigte sich darauf, die »Ressortabstimmung« einzuleiten und damit in das Gesetzgebungsverfahren einzusteigen.
Unterdessen rufen Intellektuelle, Gewerkschafter und Politiker aus SPD, Linkspartei und Grünen zu einem »radikalen« Kurswechsel hin zu einem solidarischen, demokratischen und sozialen Europa auf. »Aus dem Flücht- lingsdrama ist eine politische Zerreißprobe geworden«, heißt es in einem Papier. Es warnt davor, dass Europa »zwischen nationalistischen Egoismen und menschenfeindlicher Abschottungspolitik zerrieben« wird. Zu den Erstunterzeichnern des Appells zählen unter anderem Annelie Buntenbach, Mitglied des geschäftsführenden DGB-Bundesvorstands und der Sozialwissenschaftler Elmar Altvater.