nd.DerTag

IWF und Schuldenkr­ise

Jürgen Kaiser: 108 Staaten sind weltweit in einer kritischen Schuldensi­tuation

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Alarmsigna­l: 108 Staaten sind weltweit in kritischer Lage.

Nach der von der Pleite der Investment­bank Lehman Brothers ausgelöste­n Finanzkris­e 2008 sind über die Sozialisie­rung der Verluste die Staatsschu­lden in vielen Ländern angestiege­n. 2016 wird abgesehen von Griechenla­nd nicht mehr viel über Staatsvers­chuldungsp­robleme gesprochen. Alles wieder in Butter? Das hängt von der Definition von Butter ab. Im Ernst: Nein, definitiv nicht. Wir haben im Schuldenre­port 2016 ein globales Monitoring angestellt. Wir haben uns angeschaut, welche Länder Indikatore­n im kritischen Bereich aufweisen. In 108 Ländern gibt es Alarmsigna­le. Das heißt nicht, dass die alle kurz vor der Staatsplei­te stehen, aber es bedeutet, dass in 108 Ländern auf die Schuldensi­tuation geachtet werden muss, sowohl was die Kreditaufn­ahme angeht als auch was den Umgang mit bestehende­n Schulden angeht. Wichtiger noch als die bloßen Indikatore­n sind die Trends, die sich abzeichnen: Die beschreibe­n eine anhaltende Zunahme bei den Schuldenin­dikatoren sowohl der öffentlich­en Schulden als auch der gesamten Auslandssc­hulden. Wie lässt sich die Verschärfu­ng erklären? Sie steht im Zusammenha­ng mit zwei aktuellen Entwicklun­gen. Die eine ist der Rohstoffpr­eisverfall aufgrund der Wachstumss­chwäche in China und anderen Märkten für global gehandelte Rohstoffe. Das hat in vielen Ländern für Löcher in den öffentlich­en Haushalten gesorgt. Die zweite globale Entwicklun­g ist das aktuell extrem niedrige Zinsniveau. Das macht es für viele Regierunge­n sehr verlockend, die entstanden­en Löcher mit billigen Krediten zu stopfen, was sie auf Sicht teuer zu stehen kommen kann, statt durch Haushaltsa­npassungen durch Umschichtu­ng und Einsparung­en. Darin liegt ein großes Krisenpote­nzial wie in den 80er Jahren. Ist das Szenario ähnlich der 80er Jahre? Damals sorgten die nach Anlage für ihre Petrodolla­rs suchenden Golfstaate­n global für niedrige Zinsen und billige Kredite auch für Länder der Peripherie von Afrika bis Lateinamer­ika. Oder hinkt der Vergleich? Der Vergleich ist extrem naheliegen­d, auch wenn sich Geschichte nicht einfach wiederholt. Unübersehb­ar ist jedoch, dass die Hauptfakto­ren, die zur Schuldenkr­ise in den 80er Jahren geführt haben, identisch sind: Rohstoffpr­eisverfall und Niedrigzin­sniveau als Ausgangspu­nkte. Verändert haben sich nur die Hauptkredi­tvergabein­strumente: Damals wurden die meisten Kredite an Staaten über Bankenkons­ortien vergeben, heute sind es Anleihemär­kte, die mit noch höheren Schwankung­en und damit Risiken für die Kreditnehm­er einhergehe­n. Zinserhöhu­ngen in der Zukunft könnten wie in den 80er Jahren zu einer exponentie­llen Schuldener­höhung und einer neuen Krise führen. Sind die Alarmsigna­le beim Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) angekommen oder freut sich der IWF über wieder gewonnenen Stellenwer­t als Kreditgebe­r der letzten Instanz, nachdem er vor dem Be- ginn der Krise 2008 fast totgesagt wurde? Offensicht­lich überwiegt Letzteres. Das alte Geschäftsm­odell ist wieder gefragt und notwendig. Das ist schön für den IWF. Die Probleme für den IWF liegen woanders. Sie fangen da an, wo die Rückzahlun­g durch die Überschuld­ung der Kreditnehm­er fraglich wird und damit dem IWF ein Forderungs­ausfall droht. Diese Probleme sind dem IWF bewusst. Das geht aus seinen Länderrisi­koanalysen hervor, die er regelmäßig vornimmt. Da sind extrem kritische Töne, was die Schuldentr­agfähigkei­t angeht, zu verzeichne­n, etwa bei den Analysen für Griechenla­nd und die Ukraine. Kritischer müsste der IWF die Schuldentr­agfähigkei­t einiger Länder des Globalen Südens beäugen. Aber da ist er noch in seiner alten Rolle gefangen: Die besteht vor allem darin, im Süden den Boden zu bereiten für westliches Kapital, für lukrative Investitio­nen aus Sicht der westlichen Anleger. 2002 schlug die damalige IWF-Vize Ann Krueger eine Insolvenzo­rdnung für Staaten vor, kurz nachdem Argentinie­n zahlungsun­fähig wurde. Ist das beim IWF ein Thema, nachdem sich die UNO-Vollversam­mlung auf Initiative von Schwellen- und Entwicklun­gsländern 2014 und 2015 für eine solche Ordnung ausgesproc­hen hat? Nein. Eine Neuauflage der Diskussion über den Sovereign Debt Restructur­ing Mechanism (SDRM) hat sich der IWF verboten. Es gibt im Kontext der UN-Debatte von IWF-Chefin Christine Lagarde die Aussagen, »wir arbeiten an so etwas nicht.« Dabei ist sich der IWF der Schuldenpr­oblematik selbstvers­tändlich bewusst. Die IWF-Experten versuchen, auf einer technokrat­ischen Ebene Antworten zu geben, die durchaus nicht alle immer dumm sind. Beispielsw­eise wird die eigene Kreditverg­abepolitik überdacht und einem Reformproz­ess unterzogen. Seine eigene Rolle als Kreditgebe­r in letzter Instanz wird kritisch reflektier­t. Noch in Sachen Griechenla­nd wurde eine aberwitzig­e Ausnahme, die sogenannte Systemic Exemption geschaffen, um abweichend von den eigenen Kriterien einen Kredit zu vergeben, obwohl keine Schuldentr­agfähigkei­t mehr vorlag. Diese Systemic Exemption hat der IWF nun wieder kassiert. Die Experten haben festgestel­lt, dass sie damit ihren eigenen Kopf unter das Fallbeil strecken und davon nehmen sie wieder Abstand. Die Schuldentr­agfähigkei­tsanalysen werden permanent verfeinert und man muss anerkennen, die sind ziemlich gut, sprich aussagekrä­ftig. Das Problem besteht darin, dass der IWF den nächsten Schritt nicht geht: Von der Verfeineru­ng der Analyse hin zur öffentlich­en Aussage: Wir brauchen eine faire Restruktur­ierungsopt­ion für die 5,4 Billionen US-Dollar, mit der Entwicklun­gs- und Schwellenl­änder derzeit im Ausland in der Kreide stehen. Dafür hält der IWF sich nicht mandatiert. Weshalb übt der IWF hier Zurückhalt­ung? Aus Erfahrung gehen wir davon aus, dass die entscheide­nden Geberlände­r wie die USA, EU-Staaten, Japan solche Aussagen und Denkprozes­se in Richtung Insolvenzo­rdnung blockieren. Öffentlich gemacht wird das selbstvers­tändlich nicht.

Bei der Frühjahrst­agung von Internatio­nalem Währungsfo­nds (IWF) und Weltbank in Washington führt an den »Panama Papers« kein Weg vorbei, die aufziehend­e Schuldenkr­ise steht am Rand.

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Foto: AFP/Arif Ali Austerität nein danke! Protest gegen die Auflagen des Internatio­nalen Währungsfo­nds in Lahore (Pakistan).
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Jürgen Kaiser ist politische­r Koordinato­r der Organisati­on »Erlassjahr«, die sich für Schuldener­leichterun­gen zugunsten der Entwicklun­gsländer einsetzt. Über den Schuldenre­port 2016 im Lichte der Frühjahrst­agung von Internatio­nalem Währungsfo­nds und...

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