Es kommt eben doch auf die Größe an
Angesichts des großen Zustroms von Flüchtlingen haben die Kommunen in Deutschland das Problem, wo in der Stadt und in welcher Form von Unterkunft sie die Schutzsuchenden unterbringen sollen. Je kleinteiliger sie über die Stadt verteilt werden, desto mehr Standorte werden benötigt. Die beste Lösung wäre, Asylbewerber nach der Erstaufnahme – sofern sie eine Bleibeperspektive haben – in leerstehende Wohnungen und Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus zu vermitteln. Das ist jedoch vorerst kaum möglich, weil in der Bundesrepublik seit Jahren ein beträchtliches Defizit an preiswertem Wohnraum besteht. Das PestelInstitut schätzt den jährlichen Bedarf von günstigen Wohnungen auf 180 000, davon die Hälfte im sozialen Wohnungsbau. Dieses Defizit ist durch die Zuwanderung von Flüchtlinge besonders im vergangenen Jahr noch größer geworden. Also weichen die Kommunen auf Zwischenlösungen aus: Sie bringen die Menschen in Containern oder Unterkünften in Leichtbauweise unter.
Eine naheliegende Lösung ist deshalb, Asylbewerbern große Unterkünfte zuzuweisen, die 500 oder mehr Menschen fassen. Für eine so hohe Personenanzahl werden verhältnismäßig wenige Standorte benötigt. Die großen Wohneinheiten stoßen bei den Anwohnern aber häufig auf Ablehnung.
Die Bürger wollen in immer stärkerem Maße in die Planungen der Städte einbezogen werden. Die Bewegung »Recht auf Stadt« ist hierfür ein Beispiel. Wie und wo Flüchtlinge untergebracht werden, ist deshalb nicht nur für die Betroffenen Flüchtlinge von erheblichem Interesse, sondern ebenso für die Menschen in deren Nachbarschaft. Wer- den die Unterkünfte gebaut, ohne die Bürger zu fragen, riskiert die Stadt den Protest der Anwohner – wie gegenwärtig im Hamburger Nobel-Stadtteil Blankenese. Lassen sich die Verantwortlichen dagegen auf Gespräche mit den Anwohnern ein, könnte sich dadurch das gesamte Bauvorhaben verzögern. Möglich ist auch, dass sie sich querstellen und das Flüchtlingsheim zu den Akten gelegt werden muss. Jürgen Friedrichs ist am Institut für Soziologie und Sozialpsychologie der Universität Köln tätig.
Ein Dilemma? Nicht unbedingt, denn der Widerstand ist keineswegs unvermeidlich. Wie der »ARD DeutschlandTrend« vom Februar dieses Jahres gezeigt hat, vertreten 94 Prozent der Bevölkerung die Ansicht, Deutschland sollte Flüchtlinge aus Kriegsgebieten oder politisch Verfolgte aufnehmen. Ein Kompromiss mit den Anwohnern ist also nicht abwegig. Schließlich sind unter ihnen immer auch zahlreiche Menschen, die die Ansiedlung der Asylwerber befürworten. Sie sind wichtig, um eine Einigung mit der Mehrheit der Nachbarn zu erreichen. Wer jedoch ohne eine breite Zustimmung der Anwohner Unterkünfte errichtet, trägt indirekt zu einer Diskriminierung der Flücht- linge bei, weil die Skeptiker nun noch stärker gegen die Unterkunft und die Flüchtlinge sind.
Große Heime verhindern die Integration von Asylbewerbern in die Gesellschaft. Dafür gibt es Gründe. Es bestehen erstens kaum Kontakte zwischen den Heimbewohnern und den Nachbarn. Je größer die Unterkunft ist, desto weniger haben sie miteinander zu tun. Das ist eine Form der sozialen Ausgrenzung, mithin das Gegenteil dessen, was wir mit einer sozial-räumlichen Integration erreichen wollen. Diese Unterkünfte heben sich zweitens meist baulich von der Umgebung ab und tragen so zwangsläufig zu einer Isolierung der Bewohner bei. Das setzt sie vermutlich in stärkerem Maße diskriminierenden Bezeichnungen wie »Da wohnen die Asylanten« aus – Zuschreibungen, die ebenfalls der Integration abträglich sind.
Außerdem ist völlig offen, was mit den Unterkünften geschieht, wenn die Geflüchteten sie verlassen haben. Sollen dann Obdachlose oder Langzeitarbeitslose, die aus ihrer angeblich zu großen Wohnung rausgeflogen sind, dort einziehen? Oder werden sie abgerissen, was bedeuten würde, viel Geld für die zeitweilige Unterkunft von Flüchtlingen ausgegeben zu haben, das man besser gleich in den Bau von Wohnungen hätte investieren sollen.
Die beste Lösung wäre also, die Flüchtlinge in Wohnungen über die Stadt zu verteilen. Je kleiner die Wohneinheit, desto eher sind Hilfeleistungen der Anwohner zu erwarten, desto größer die Chance der Integration statt einer Diskriminierung. Neben den Sprachkursen ist die sozial-räumliche Integration der Flüchtlinge nämlich der entscheidende Schritt zu ihrer Eingliederung in die Gesellschaft.