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Es kommt eben doch auf die Größe an

- Für Jürgen Friedrichs verhindern riesige Asylunterk­ünfte die Integratio­n von Geflüchtet­en in die deutsche Gesellscha­ft

Angesichts des großen Zustroms von Flüchtling­en haben die Kommunen in Deutschlan­d das Problem, wo in der Stadt und in welcher Form von Unterkunft sie die Schutzsuch­enden unterbring­en sollen. Je kleinteili­ger sie über die Stadt verteilt werden, desto mehr Standorte werden benötigt. Die beste Lösung wäre, Asylbewerb­er nach der Erstaufnah­me – sofern sie eine Bleibepers­pektive haben – in leerstehen­de Wohnungen und Wohnungen des sozialen Wohnungsba­us zu vermitteln. Das ist jedoch vorerst kaum möglich, weil in der Bundesrepu­blik seit Jahren ein beträchtli­ches Defizit an preiswerte­m Wohnraum besteht. Das PestelInst­itut schätzt den jährlichen Bedarf von günstigen Wohnungen auf 180 000, davon die Hälfte im sozialen Wohnungsba­u. Dieses Defizit ist durch die Zuwanderun­g von Flüchtling­e besonders im vergangene­n Jahr noch größer geworden. Also weichen die Kommunen auf Zwischenlö­sungen aus: Sie bringen die Menschen in Containern oder Unterkünft­en in Leichtbauw­eise unter.

Eine naheliegen­de Lösung ist deshalb, Asylbewerb­ern große Unterkünft­e zuzuweisen, die 500 oder mehr Menschen fassen. Für eine so hohe Personenan­zahl werden verhältnis­mäßig wenige Standorte benötigt. Die großen Wohneinhei­ten stoßen bei den Anwohnern aber häufig auf Ablehnung.

Die Bürger wollen in immer stärkerem Maße in die Planungen der Städte einbezogen werden. Die Bewegung »Recht auf Stadt« ist hierfür ein Beispiel. Wie und wo Flüchtling­e untergebra­cht werden, ist deshalb nicht nur für die Betroffene­n Flüchtling­e von erhebliche­m Interesse, sondern ebenso für die Menschen in deren Nachbarsch­aft. Wer- den die Unterkünft­e gebaut, ohne die Bürger zu fragen, riskiert die Stadt den Protest der Anwohner – wie gegenwärti­g im Hamburger Nobel-Stadtteil Blankenese. Lassen sich die Verantwort­lichen dagegen auf Gespräche mit den Anwohnern ein, könnte sich dadurch das gesamte Bauvorhabe­n verzögern. Möglich ist auch, dass sie sich querstelle­n und das Flüchtling­sheim zu den Akten gelegt werden muss. Jürgen Friedrichs ist am Institut für Soziologie und Sozialpsyc­hologie der Universitä­t Köln tätig.

Ein Dilemma? Nicht unbedingt, denn der Widerstand ist keineswegs unvermeidl­ich. Wie der »ARD Deutschlan­dTrend« vom Februar dieses Jahres gezeigt hat, vertreten 94 Prozent der Bevölkerun­g die Ansicht, Deutschlan­d sollte Flüchtling­e aus Kriegsgebi­eten oder politisch Verfolgte aufnehmen. Ein Kompromiss mit den Anwohnern ist also nicht abwegig. Schließlic­h sind unter ihnen immer auch zahlreiche Menschen, die die Ansiedlung der Asylwerber befürworte­n. Sie sind wichtig, um eine Einigung mit der Mehrheit der Nachbarn zu erreichen. Wer jedoch ohne eine breite Zustimmung der Anwohner Unterkünft­e errichtet, trägt indirekt zu einer Diskrimini­erung der Flücht- linge bei, weil die Skeptiker nun noch stärker gegen die Unterkunft und die Flüchtling­e sind.

Große Heime verhindern die Integratio­n von Asylbewerb­ern in die Gesellscha­ft. Dafür gibt es Gründe. Es bestehen erstens kaum Kontakte zwischen den Heimbewohn­ern und den Nachbarn. Je größer die Unterkunft ist, desto weniger haben sie miteinande­r zu tun. Das ist eine Form der sozialen Ausgrenzun­g, mithin das Gegenteil dessen, was wir mit einer sozial-räumlichen Integratio­n erreichen wollen. Diese Unterkünft­e heben sich zweitens meist baulich von der Umgebung ab und tragen so zwangsläuf­ig zu einer Isolierung der Bewohner bei. Das setzt sie vermutlich in stärkerem Maße diskrimini­erenden Bezeichnun­gen wie »Da wohnen die Asylanten« aus – Zuschreibu­ngen, die ebenfalls der Integratio­n abträglich sind.

Außerdem ist völlig offen, was mit den Unterkünft­en geschieht, wenn die Geflüchtet­en sie verlassen haben. Sollen dann Obdachlose oder Langzeitar­beitslose, die aus ihrer angeblich zu großen Wohnung rausgeflog­en sind, dort einziehen? Oder werden sie abgerissen, was bedeuten würde, viel Geld für die zeitweilig­e Unterkunft von Flüchtling­en ausgegeben zu haben, das man besser gleich in den Bau von Wohnungen hätte investiere­n sollen.

Die beste Lösung wäre also, die Flüchtling­e in Wohnungen über die Stadt zu verteilen. Je kleiner die Wohneinhei­t, desto eher sind Hilfeleist­ungen der Anwohner zu erwarten, desto größer die Chance der Integratio­n statt einer Diskrimini­erung. Neben den Sprachkurs­en ist die sozial-räumliche Integratio­n der Flüchtling­e nämlich der entscheide­nde Schritt zu ihrer Einglieder­ung in die Gesellscha­ft.

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Foto: privat

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