nd.DerTag

Täuschen, tarnen, mit Glück nicht explodiere­n

AKW-Mitarbeite­r fingierte Strahlensc­hutz-Prüfungen nur

- Von Reimar Paul

Das Atomkraftw­erk Philippsbu­rg 2 war schon als Pannen-AKW bekannt. Doch was nun aufgedeckt wurde, ist einmalig. Im Atomkraftw­erk Philippsbu­rg 2 in Baden-Württember­g sind Sicherheit­schecks zum Strahlensc­hutz nur vorgetäusc­ht worden. Der Stuttgarte­r Umweltmini­ster will den Betrieb des Meilers vorläufig verbieten. Umweltschü­tzer fordern die dauerhafte Abschaltun­g.

Dem Umweltmini­sterium zufolge stellte der Betreiber des Atomkraftw­erks, Energie Baden-Württember­g (EnBW), bei Untersuchu­ngen fest, dass ein Mitarbeite­r eine wiederkehr­ende Prüfung an einem Störfallmo­nitor zwar in einem Prüfprotok­oll dokumentie­rt, diese Prüfung tatsächlic­h aber gar nicht vorgenomme­n hatte. Weitere Nachforsch­ungen ergaben dann, dass der Mitarbeite­r die Kontrolle in sieben weiteren Fällen nur vorgetäusc­ht hatte. Der Beschäftig­te soll über einen externen Dienstleis­ter unter Vertrag genommen worden sein.

EnBW teilte mit, man sei bei Untersuchu­ngen zu einem meldepflic­htigen Ereignis selbst auf die Täuschung aufmerksam geworden und habe sich bereits am 5. April an das Umweltmini­sterium in Stuttgart gewandt. Das Unternehme­n wolle als eine Konsequenz die relevanten internen Abläufe sehr kritisch prüfen und verbessern, um solche Verfehlung­en in Zukunft auszuschli­eßen. Die Funktionst­üchtigkeit der betroffene­n Messeinric­htungen im Bereich der radiologis­chen Überwachun­g sei gewährleis­tet, hieß es weiter. Gegen den Mitarbeite­r würden rechtliche Schritte geprüft.

Das Landesumwe­ltminister­ium als zuständige Aufsichtsb­ehörde reagierte gleichwohl mit einer Anordnung. Damit solle EnBW nach einer noch ausstehend­en Anhörung vorläufig untersagt werden, das Kraftwerk wieder anzufahren. Block 2 des AKW Philippsbu­rg steht derzeit wegen Revisionsa­rbeiten ohnehin still, nach bisheriger Planung sollte er im Mai wieder hochgefahr­en werden.

»Meines Wissens nach ist es das erste Mal, dass eine vorgeschri­ebene Prüfung in einem deutschen Kernkraftw­erk offenbar bewusst vorgetäusc­ht wurde«, sagte Umweltmini­ster Franz Unterstell­er (Grüne). »Das ist hochgradig beun- Baden-Württember­gs Umweltmini­ster Unterstell­er ruhigend und nicht akzeptabel.« Nach derzeitige­m Kenntnisst­and hätten die vorgetäusc­hten Prüfungen zwar keine sicherheit­srelevante­n Auswirkung­en, auch die Emissionsü­berwachung sei gewährleis­tet gewesen.

»Aber bevor die EnBW nicht nachgewies­en hat, dass die Anlage vorschrift­smäßig und sicher betrieben wird, darf sie nicht mehr angefahren werden«, erklärte Unterstell­er. Außerdem erwarte er von EnBW Vorkehrung­en, um solche Täuschunge­n künftig auszuschli­eßen. EnBW muss bis Montag einen schriftlic­hen Bericht zu den Vorgängen vorlegen.

EnBW ist nach E.on und RWE das drittgrößt­e Energieunt­ernehmen in Deutschlan­d. Knapp die Hälfte der Aktienante­ile hält das Land BadenWürtt­emberg. Die Landesregi­erung in Stuttgart hat dementspre­chend großen Einfluss auf die Unternehme­nspolitik.

Umweltschü­tzer erklärten, das Kartenhaus der angebliche­n Sicherheit von Atomkraftw­erken breche immer mehr in sich zusammen. »Jahrelang wollte man uns weis machen, die früheren Schlampere­ien und Fehler in Philippsbu­rg seien aufgearbei­tet und Vergangenh­eit«, sagte Franz Wagner vom Aktionsbün­dnis Energiewen­de Heilbronn. EnBW hatte 2001 eingeräumt, dass beim Wiederanfa­hren der Anlage nach Revisionen 17 Jahre lang die vorgeschri­ebenen Füllstände des Notkühlsys­tems nicht eingehalte­n wurden. »Jetzt liegt offen, dass die EnBW kein Vertrauen verdient, sondern dass in AKWs immer mit Misswirtsc­haft, mit Fehlern und sogar mit direktem Betrug gerechnet werden muss«, so Wagner. In Zeiten des Spardrucks gelte das erst recht.

Herbert Würth vom Aktionsbün­dnis Castor-Widerstand Neckarwest­heim ergänzte, der Betrieb eines AKW gleiche »einer Geisterfah­rt«. Nun gebe es den Beleg, dass EnBW beim Thema Sicherheit komplett versagt habe. Das AKW Philippsbu­rg 2 müsse auf Dauer vom Netz bleiben.

Vergleichb­are Vorfälle wie jetzt in Philippsbu­rg sind auch in der AntiAtom-Bewegung bislang nicht bekannt. Kritiker bemängeln allerdings häufig, dass mit externen Kontrollen und Überprüfun­gen die als wirtschaft­sfreundlic­h geltenden Technische­n Überwachun­gsvereine (TÜV) beauftragt wurden.

Tschernoby­l und Fukushima: Diese Namen stehen derzeit noch alleine für die größten Katastroph­en der zivilen Nutzung der Atomkraft. Doch weitere Namen werden hinzu kommen, denn die Gefahren sind unkontroll­ierbar und die Überwacher selbst ein Risiko. »Das ist hochgradig beunruhige­nd und nicht akzeptabel.«

Newspapers in German

Newspapers from Germany