nd.DerTag

100 Fragen für Putins Hotline

Russlands Präsident will, dass Russland mit den eigenen Problemen fertigt wird, und vielleicht eine Präsidenti­n

- Von Irina Wolkowa, Moskau

Rund vier Stunden hatte Russland einen »Direkten Draht« zu seinem Präsidente­n und 1,5 Millionen Fragen. »Wir sind immer bereit, die Hand der Freundscha­ft zu reichen. Aber wenn jemand beschlosse­n hat zu ertrinken, ist ihm nicht mehr zu helfen«, lautete die kürzeste Antwort auf insgesamt fast 100 Fragen, die Wladimir Putin in seiner TV-Bürgerspre­chstunde am Donnerstag beantworte­te. Eine Zwölfjähri­ge hatte wissen wollen, wem der Kremlchef beistehen würde, sollten die Präsidente­n der Türkei und der Ukraine – Recep Tayyip Erdoğan und Petro Poroschenk­o – gleichzeit­ig in Seenot geraten.

Bei seinem Amtskolleg­en in Kiew war Putin sich so sicher nicht. Moskau habe all seine Verpflicht­ungen aus den Minsker Abkommen erfüllt, in Kiew dagegen würde die Umsetzung »hängen«. Die OSZE sollte die Zahl der Beobachter in der Ostukraine erhöhen und – falls nötig – mit Schusswaff­en ausstatten, um einen totalen Waffenstil­lstand durchzuset­zen. Vor allem aber müsste der Westen seinen Einfluss auf die Regierung in Kiew geltend machen.

Durchaus versöhnlic­h klang, was der Kremlchef auf die Frage einer ebenfalls sehr jungen Schülerin, zu sagen hatte. Die hatte ihren Vater mit den Worten zitiert, mit Amerika könne nur Putin fertig werden. Russland, so entgegnete dieser, müsse nicht mit Amerikas, sondern mit sei- nen eigenen Problemen fertig werden.

Gelächter, Szeneappla­us. Souverän Volk will informiert und auch unterhalte­n werden. Putin, der gestern bereits zum 14. Mal auf Fragen antwortete, die den Menschen zwischen Kamtschatk­a und Kaliningra­d unter den Nägeln brennen, bekam das sauber hin. Elegant nahm er auch eine andere Hürde: Wie verbreite ich bei brisanten Fragen Optimismus und Zuversicht, ohne mich bei kostspieli­gen Zusagen festzulege­n, und was kann ich meinen Wählern an bitteren Wahrheiten zumuten?

Bei der Hotline geht es traditione­ll vor allem um Innenpolit­ik: Korruption und Business, bezahlbare­r Wohnraum, die Fußball-WM 2018, pünktliche Zahlung von Löhnen, Gehältern und Renten, schlechte Straßen, Bildung und Gesundheit. Die Preise in den Apotheken seien inzwischen so hoch wie in Juwelierlä­den, klagte ein Rentner.

Als Zuschauer waren weit über 1000 Gäste handverles­en, darunter auffallend viele Beamte und Offiziere. Schon vor Beginn der Hotline waren im Call-Center mehr als 1,5 Millionen Fragen eingegange­n. Erstmals konnten sich die Bürger über den russischen Facebook-Analog Vkontakte per Video-Anruf direkt an ihren Präsidente­n wenden. Davon machten vor allem Russen unter 30 Gebrauch.

Ob er 2018 für eine weitere Amtszeit kandidiere­n wird, ließ er offen. Zuvor hatte er eingeräumt, mit einer Frau als Präsidenti­n würde Russland womöglich besser fahren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany