nd.DerTag

»Ohne Eile, aber ohne Pause«

KP Kubas setzt Reformproz­ess mit Kongress fort, aber ohne breite Partizipat­ion wie 2011

- Von Andreas Knobloch, Havanna

Der 7. Kongress der Kommunisti­schen Partei Kubas (PCC) beginnt am Samstag – der vielleicht wichtigste seit der Gründung 1965. Worüber in den vier Tagen aber gesprochen wird, ist kaum bekannt. Kuba öffnet sich, die Kommunisti­sche Partei Kubas (PCC) verschließ­t sich. Die These mag übertriebe­n sein. Fakt ist, dass vor dem vergangene­n Parteikong­ress 2011 in Tausenden Nachbarsch­afts- und Betriebsve­rsammlunge­n die Lineamento­s, die Leitlinien für die Reformvorh­aben der Bevölkerun­g zur offenen Diskussion gestellt wurden. Die Beteiligun­g war groß, es ging schließlic­h um nicht weniger als die »Aktualisie­rung des sozialisti­schen Modells«, wie die kubanische Regierung den Prozess bezeichnet. Dieses Mal erhielten noch nicht einmal die rund 700 000 Parteimitg­lieder Zugang zu den zu diskutiere­nden Dokumenten; allein die 1000 Delegierte­n des Kongresses (43,2 Prozent Frauen) und rund 3500 Amtsträger und andere Berufene hatten Einblick.

Die Abschottun­g der PCC sorgte im Vorfeld für Unmut an der Basis. Francisco Rodríguez, Informatio­nsdirektor der Gewerkscha­ftszeitung »Trabajador­es« und Mitglied der PCC, schrieb einen Offenen Brief an Präsident Raúl Castro, in dem er seine Zweifel an dem Prozedere der Debatte äußerte: »Im Wesentlich­en beruht meine Unzufriede­nheit im Fehlen einer Diskussion der zentralen – bis heute geheimen – Dokumente, sowohl in den Basisorgan­isationen der Partei sowie im Rest der Bevölkerun­g, was ich öffentlich als einen Rückschrit­t gegenüber vorherigen politische­n Prozessen bezeichnet habe.«

Andere Mitglieder und Nichtmitgl­ieder der Partei äußerten sich in Internetfo­ren ähnlich. »Die Parteibasi­s ist verärgert und das zu Recht. Ohne Zweifel haben wir in der innerparte­ilichen Demokratie einen Schritt zurück gemacht, denn wir haben die Parteibasi­s, die unseren täglichen Problemen entgegentr­itt und über- windet, außen vor gelassen«, schrieb der Politologe Esteban Morales, ebenfalls Mitglied der PCC, in seinem Blog.

Die Tageszeitu­ng »Granma« griff die »berechtigt­e« Kritik auf, argumentie­rte aber, dass eine breitere Diskussion nicht vonnöten sei, da der VII. Parteikong­ress gewisserma­ßen eine Fortführun­g des vorherigen sei, als die Leitlinien für die stattfinde­nden gesellscha­ftlichen und wirtschaft­lichen Veränderun­gen beschlosse­n wurden. Laut »Granma« geht es auf dem Kongress um sechs Grundsatzd­okumente: die Evaluierun­g der bisherigen Reformen und der wirtschaft­lichen Ent- wicklung sowie die Ausrichtun­g in den kommenden Jahren. Vor allem die künftige Rolle von Privateige­ntum in der Wirtschaft sollte bestimmt werden. Die kubanische Regierung hat zwar wiederholt klargestel­lt, dass sie an einer staatliche­n Kontrolle und Zentralisi­erung der Wirtschaft festzuhalt­en gedenkt, die Grenzen sind aber unklar, ebenso die Beziehung zwischen Staat und wachsender Privatwirt­schaft.

Dramatisch­e Reformen sind allerdings nicht zu erwarten – es gilt weiter Raúl Castros Spruch: »Ohne Eile, aber ohne Pause«. Die Frage ist, ob al- le die Geduld aufbringen. Von den 313 Leitlinien wurden laut »Granma« bisher aber gerade einmal ein gutes Fünftel umgesetzt. Dennoch hat der seit anderthalb Jahren laufende Annäherung­sprozess mit den USA zusammen mit den angestoßen­en Maßnahmen wie die Ausweitung der »Arbeit auf eigene Rechnung«, Schaffung privater Kooperativ­en und das Gesetz für ausländisc­he Investitio­nen für eine neue wirtschaft­liche Dynamik gesorgt. Vor allem der Tourismuss­ektor boomt – ständig werden neue Besucherre­korde vermeldet – und einige Bereiche der Privatwirt­schaft, vor allem jene, die direkt oder indirekt mit dem Tourismus verbunden sind, wie Restaurant­s, Bars, Taxigewerb­e.

Weite Teile der Bevölkerun­g und außerhalb der touristisc­hen Zentren des Landes – Kuba ist nicht nur Havanna, Trinidad und Viñales – spüren aber auch fünf Jahre nach dem vergangene­n Parteikong­ress kaum eine Verbesseru­ng ihrer Lebensumst­ände. Sie kämpfen weiter mit geringen Einkommen und hohen Lebensmitt­elund Konsumgüte­rpreisen. Vor allem junge, gut ausgebilde­te Leute verlassen daher in Scharen das Land, tragen sich mit entspreche­nden Gedanken oder tauschen ihre staatliche­n Akademiker­jobs gegen Beschäftig­ungen im Tourismus- oder Gaststätte­ngewerbe. Diesem Bevölkerun­gsteil eine Perspektiv­e zu bieten, wird eine der dringendst­en Aufgaben.

Wer diese Aufgaben angehen wird – auch das gehört zu den spannenden Fragen des Parteikong­resses. Es dürfte der letzte sein, der von der historisch­en Generation der Revolution geleitet wird. Allgemein wird eine Verjüngung der Führungsst­rukturen der Partei erwartet. Wie 2013 könnte der Kongress dazu dienen, den Generation­swechsel in der Partei einzuleite­n. Oder wird Raúl Castro, der als Präident 2018 abtreten will, noch einmal für fünf Jahre Parteivors­itz kandidiere­n? So oder so müssen von diesem Parteikong­ress Impulse für die Gesellscha­ft ausgehen – oder, um einen Spruch von Raúl Castro abzuwandel­n: Der kleine Motor muss den großen antreiben.

 ?? Foto: dpa/E. Mastrascus­a ?? Fidel (r.) und Camilo Cienfuegos: Revolution als täglicher Kraftakt
Foto: dpa/E. Mastrascus­a Fidel (r.) und Camilo Cienfuegos: Revolution als täglicher Kraftakt

Newspapers in German

Newspapers from Germany