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Forscher verteidige­n EZB

Ökonomen senken Prognose für deutsche Wirtschaft auf 1,6 Prozent Wachstum für 2016

- Von Simon Poelchau

Die Europäisch­e Zentralban­k ist zum Lieblingsg­egner vieler Politiker geworden. Dabei profitiert­e Deutschlan­d besonders stark vom billigen Euro. Geht es nach den Konjunktur­experten von vier führenden deutschen Wirtschaft­sinstitute­n, dann macht die Europäisch­e Zentralban­k derzeit eigentlich alles richtig. Ihre Niedrigzin­spolitik sei »grundsätzl­ich angemessen«, erklärten sie am Donnerstag bei der Vorstellun­g ihrer Gemeinscha­ftsdiagnos­e »Frühjahr 2016«. Damit wenden sich das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung, das Leibnitz-Instiut für Wirtschaft­sforschung Halle (IW Halle), das Rheinisch-Westfälisc­he Institut für Wirtschaft­sforschung und das Münchner ifo Institut gemeinsam gegen Stimmen der hiesigen Finanzwelt und Politik, die eine Zinswende verlangt haben.

In letzter Zeit überschlug­en sich nämlich solche Forderunge­n aus den Reihen der Union. »Die EZB fährt einen hoch riskanten Kurs und nimmt enorme Risiken in Kauf«, meinte Bundesverk­ehrsminist­er Alexander Dobrindt (CSU). Sein Parteikoll­ege, Bayerns Finanzmini­ster Markus Söder, nannte die EZB-Politik einen »Angriff auf das Vermögen von Millionen Deutschen, die ihr Geld auf Sparkonten und in Lebensvers­icherungen angelegt haben«. Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble (CDU) machte EZB-Chef Mario Draghi sogar mitverantw­ortlich für die Wahlerfolg­e der rechtspopu­listischen AfD.

Mitte März senkte die EZB ihren Leitzins, mit dem sich Banken bei ihr Geld leihen können auf null Prozent, den Strafzins für Einlagen erhöhte sie auf 0,4 Prozent und weitete ihr Anleihenka­ufprogramm auf monatlich 80 Milliarden Euro aus. Dies soll zusätzlich­es Geld in den Wirtschaft­skreislauf bringen und so die Kon- junktur und die Inflation auf ihren Zielwert von knapp zwei Prozent anheizen. So lange die Kapazitäte­n in der Produktion der EU »nicht wieder normal ausgelaste­t sind«, wie Timo Wollmershä­user, vom ifo Institut sagte, sei die expansive Geldpoliti­k »in Ordnung«.

Das Problem, das Europas oberste Währungshü­ter dabei haben: Sie machen eine Geldpoliti­k für derzeit 19 Mitgliedss­taaten und deren Volkswirts­chaften. Da könnten die Maßnahmen nicht »für jedes Land einzeln passen«, erklärte Oliver Holtemölle­r vom IW Halle. Was für das eine Land vielleicht zu viel billiges Geld sein kann, ist für das andere Land unter Umständen noch nicht genug.

Doch halten die Wirtschaft­sforscher auch für Deutschlan­d die Konjunktur nicht überhitzt. Sie senkten im Vergleich zu ihrer Herbstdiag­nose sogar ihre Prognose für dieses und das kommende Jahr. Demnach wird die Wirtschaft 2016 vermutlich um 1,6 und 2017 um 1,5 Prozent wachsen. Der Grund für die eingetrübt­en Aussichten ist der Dämpfer, den die Weltwirtsc­haft Ende vergangene­n Jahres erhielt. Den Einschätzu­ngen der Ökonomen zufolge wird Schäuble mit einem weitaus niedrigere­n Staatsüber­schuss auskommen müssen als noch im vergangene­n Jahr. Sie rechnen mit einem Finanzieru­ngssaldo für dieses Jahr von 11 und für das nächste Jahr von 9,8 Prozent.

Dabei verdankt CDU-Mann Schäuble seine Schwarze Null gerade denjenigen, die er kürzlich so sehr angegriffe­n hat. So profitiere der Staat derzeit von »den deutlichen Zinsausgab­en aufgrund des Niedrigzin­sumfeldes«, wie die Ökonomen in ihrer Studie schreiben. Will heißen: Wenn die europäisch­en Währungshü­ter wieder den Geldhahn zudrehen, dann wird es auch Schäuble schwerer fallen, zu sparen, weil er mehr Zinsen auf die Bundesanle­ihen zahlen muss. Zudem profitiert­e gerade die exportorie­ntierte deutsche Wirtschaft besonders stark vom schwachen Eurokurs, der eine Folge von Mario Draghis Maßnahmen ist.

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Foto: imago/Ralph Peters Die alte EZB-Zentrale in Frankfurt am Main

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