Forscher verteidigen EZB
Ökonomen senken Prognose für deutsche Wirtschaft auf 1,6 Prozent Wachstum für 2016
Die Europäische Zentralbank ist zum Lieblingsgegner vieler Politiker geworden. Dabei profitierte Deutschland besonders stark vom billigen Euro. Geht es nach den Konjunkturexperten von vier führenden deutschen Wirtschaftsinstituten, dann macht die Europäische Zentralbank derzeit eigentlich alles richtig. Ihre Niedrigzinspolitik sei »grundsätzlich angemessen«, erklärten sie am Donnerstag bei der Vorstellung ihrer Gemeinschaftsdiagnose »Frühjahr 2016«. Damit wenden sich das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, das Leibnitz-Instiut für Wirtschaftsforschung Halle (IW Halle), das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung und das Münchner ifo Institut gemeinsam gegen Stimmen der hiesigen Finanzwelt und Politik, die eine Zinswende verlangt haben.
In letzter Zeit überschlugen sich nämlich solche Forderungen aus den Reihen der Union. »Die EZB fährt einen hoch riskanten Kurs und nimmt enorme Risiken in Kauf«, meinte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Sein Parteikollege, Bayerns Finanzminister Markus Söder, nannte die EZB-Politik einen »Angriff auf das Vermögen von Millionen Deutschen, die ihr Geld auf Sparkonten und in Lebensversicherungen angelegt haben«. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) machte EZB-Chef Mario Draghi sogar mitverantwortlich für die Wahlerfolge der rechtspopulistischen AfD.
Mitte März senkte die EZB ihren Leitzins, mit dem sich Banken bei ihr Geld leihen können auf null Prozent, den Strafzins für Einlagen erhöhte sie auf 0,4 Prozent und weitete ihr Anleihenkaufprogramm auf monatlich 80 Milliarden Euro aus. Dies soll zusätzliches Geld in den Wirtschaftskreislauf bringen und so die Kon- junktur und die Inflation auf ihren Zielwert von knapp zwei Prozent anheizen. So lange die Kapazitäten in der Produktion der EU »nicht wieder normal ausgelastet sind«, wie Timo Wollmershäuser, vom ifo Institut sagte, sei die expansive Geldpolitik »in Ordnung«.
Das Problem, das Europas oberste Währungshüter dabei haben: Sie machen eine Geldpolitik für derzeit 19 Mitgliedsstaaten und deren Volkswirtschaften. Da könnten die Maßnahmen nicht »für jedes Land einzeln passen«, erklärte Oliver Holtemöller vom IW Halle. Was für das eine Land vielleicht zu viel billiges Geld sein kann, ist für das andere Land unter Umständen noch nicht genug.
Doch halten die Wirtschaftsforscher auch für Deutschland die Konjunktur nicht überhitzt. Sie senkten im Vergleich zu ihrer Herbstdiagnose sogar ihre Prognose für dieses und das kommende Jahr. Demnach wird die Wirtschaft 2016 vermutlich um 1,6 und 2017 um 1,5 Prozent wachsen. Der Grund für die eingetrübten Aussichten ist der Dämpfer, den die Weltwirtschaft Ende vergangenen Jahres erhielt. Den Einschätzungen der Ökonomen zufolge wird Schäuble mit einem weitaus niedrigeren Staatsüberschuss auskommen müssen als noch im vergangenen Jahr. Sie rechnen mit einem Finanzierungssaldo für dieses Jahr von 11 und für das nächste Jahr von 9,8 Prozent.
Dabei verdankt CDU-Mann Schäuble seine Schwarze Null gerade denjenigen, die er kürzlich so sehr angegriffen hat. So profitiere der Staat derzeit von »den deutlichen Zinsausgaben aufgrund des Niedrigzinsumfeldes«, wie die Ökonomen in ihrer Studie schreiben. Will heißen: Wenn die europäischen Währungshüter wieder den Geldhahn zudrehen, dann wird es auch Schäuble schwerer fallen, zu sparen, weil er mehr Zinsen auf die Bundesanleihen zahlen muss. Zudem profitierte gerade die exportorientierte deutsche Wirtschaft besonders stark vom schwachen Eurokurs, der eine Folge von Mario Draghis Maßnahmen ist.