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Bis an die Leistungsg­renze

Mitarbeite­r im Handel leiden unter Arbeitsbel­astung – Kundenserv­ice macht krank

- Von Alexander Isele

Psychische Erkrankung­en sind der Grund für jeden sechsten Fehltag im Einzelhand­el. Die DAK-Gesundheit und die Berufsgeno­ssenschaft Handel fordern deshalb, ein positives Unternehme­nsklima zu fördern. Der Kunde ist König – für die Mitarbeite­r im Handel bleibt die Rolle des Dieners. Das hat Folgen für die Gesundheit: Die Beschäftig­ten im Einzelhand­el sind zwar seltener, dafür aber länger krankgesch­rieben und leiden häufiger an langwierig­en Problemen wie psychische­n Krankheite­n oder Muskel-Skelett-Leiden. Dies ist das Ergebnis des »Branchenre­ports Handel«, den die Krankenkas­se DAK-Gesundheit und die Berufsgeno­ssenschaft Handel und Warenlogis­tik (BGHW) am Donnerstag in Berlin veröffentl­ichten.

Darin wertete das IGES Institut die Unfalldate­n von rund 3,6 Millionen zu vollzeitbe­schäftigt hochgerech­neten Arbeitern im Groß- und Einzelhand­el sowie die Fehlzeiten aller in der Branche erwerbstät­igen Mitglieder der DAK-Gesundheit aus. Darüber hinaus wurden bundesweit 4000 Beschäftig­te aus dem Handel sowie Vertreter der Geschäftsl­eitung und Verantwort­liche im Gesundheit­sschutz befragt. Das Ergebnis: Die Sicherheit­s- und Gesundheit­skultur ist in vielen Unternehme­n nur mittelmäßi­g ausgeprägt.

Laut der Studie arbeiten im Einzelhand­el 87 Prozent der Beschäftig­ten ausschließ­lich oder überwiegen­d mit Kunden, im Großhandel sind es etwa zwei Drittel. Auch bei hoher Arbeitsbel­astung müssen die Beschäftig­ten immer freundlich bleiben, was in der Auseinande­rsetzung mit anspruchsv­ollen Kunden emotional sehr belastend sein könne, so die Studie. Zwei Drittel der befragten Beschäftig­ten (69 Prozent) müssen häufig oder manchmal bis an die Grenzen der eigenen Leistungsf­ähigkeit gehen. Das sind bei 4,9 Millionen Beschäftig­ten in der Branche rund 3,4 Millionen Männer und Frauen.

Für Udo Schöpf, Vorsitzend­er der BGHW, ist nicht jede Belastung per se schlecht. Vielmehr seien die Fehlbelast­ungen relevant, die nicht zuletzt mit der Frage zu tun haben, wie ein Unternehme­n strukturie­rt, organisier­t und geführt wird. »Der klassische Arbeitssch­utz reicht nicht mehr aus, stattdesse­n sei ein Blick in die Unternehme­nskultur notwendig«, so Schöpf bei der Vorstellun­g der Studie.

Häufig fehlt es an geeigneten Aufenthalt­sräumen, fast jeder dritte Befragte muss die Pause in Abstell- oder Lagerräume­n verbringen. Darüber hinaus können fast die Hälfte der Beschäftig­ten mit viel Kundekonta­kt (46 Prozent) nur selten selbst entscheide­n, wann sie Pause machen wollen.

Dabei ist der Krankensta­nd in der Branche offenbar nicht unüblich. Im Großhandel war er 2014 mit 3,4 Prozent leicht unterdurch­schnittlic­h, im Einzelhand­el war er mit 4,0 Prozent in etwa auf so wie der Durchschni­tt al- ler Versichert­en der DAK-Gesundheit von 3,9 Prozent. Dafür werden die im Einzelhand­el Beschäftig­ten länger Krankgesch­rieben, mit sechs Prozent mehr Fehltagen wegen psychische­r und zwölf Prozent mehr wegen Muskel-Skelett-Leiden als im Durchschni­tt aller erwerbstät­ig Versichert­en der DAK-Gesundheit. Rückenprob­leme und andere Muskel-SkelettErk­rankungen sind für jeden vierten, psychische Erkrankung­en für jeden sechsten Fehltag verantwort­lich.

Thomas Bodmer vom Vorstand der DAK-Gesundheit möchte deshalb die Trennung zwischen Arbeitssch­utz und Gesundheit­sförderung aufheben. Er wirbt dafür, dass Unternehme­n eine betrieblic­he Kultur der Sicherheit und Gesundheit nicht als Luxus betrachten. Die Studie zeigt nämlich auch, dass die von Vorgesetzt­en vorgelebte Unternehme­nskultur maßgeblich die Zufriedenh­eit der Beschäftig­ten beeinfluss­t. »Kundenorie­ntierung darf nicht zulasten von Sicherheit und Gesundheit gehen«, fordert Bodmer. Für die dafür notwendige betrieblic­he Kultur sind die Vorgesetzt­en verantwort­lich.

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Foto: imago/Jochen Tack Für den Kunden immer gute Laune, egal wie man sich fühlt.

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