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Kitagruppe­n größer als gedacht

Bertelsman­n-Stiftung zeigt Unterschie­d zwischen Personalsc­hlüssel und Betreuungs­relation

- Von Andreas Fritsche

In Brandenbur­g wird schon sehr viel und immer mehr Geld für die Kitas ausgegeben. Die Personalau­sstattung ist dennoch unzureiche­nd. In Zweiergrup­pen steigen zwei Dutzend Kitaknirps­e am Potsdamer Hauptbahnh­of aus dem Zug. Die Erzieherin­nen zählen dabei durch. Eine der Frauen gibt resolut Kommandos, obwohl die Kinder so schon ganz artig sind. Vier Aufpasseri­nnen sind bei diesem Ausflug dabei, damit nur ja kein Kind verloren geht.

Rein rechnerisc­h stimmt das Verhältnis, ist sogar vergleichs­weise ausgezeich­net. Denn statistisc­h kommen in brandenbur­gischen Kitas auf eine Erzieherin 11,6 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren. Aber in der Realität sieht es natürlich anders aus. Da sind die Gruppen in der Regel viel größer, weil die Einrichtun­gen teilweise von 7 oder 8 Uhr früh bis 18 Uhr abends und länger geöffnet haben. Es gibt beim Personal also Schichtbet­rieb und die eine oder andere Kollegin ist mal krank, hat Urlaub, besucht eine Fortbildun­g oder ist mit Elterngesp­rächen beschäftig­t.

Die Bertelsman­n-Stiftung empfiehlt für die größeren Kinder einen Personalsc­hlüssel von 1 zu 7,5. Bei den unter Dreijährig­en rät die Stiftung sogar zu einem Schlüssel von 1 zu 3. Im Moment gibt es da in Brandenbur­g ein Verhältnis von 1 zu 6,3. Die Zahlen stammen aus einem KitaZoom – einer bis jetzt drei Jahre laufenden Untersuchu­ng der Bertelsman­n-Stiftung mit Stichprobe­n in Potsdam, Brandenbur­g/Havel und Märkisch-Oderland. Am Donnerstag gab es in der Potsdamer Staatskanz­lei eine Abschlussv­eranstaltu­ng, bei der Projektlei­terin Kathrin Bock-Famulla eine Unmenge detaillier­ter Ergebnisse vorstellte.

Demnach gibt es in Westdeutsc­hland derzeit einen durchschni­ttlichen Personalsc­hlüssel von 1 zu 3,6 bei den kleinen Krippenkin­dern und 1 zu 8,6 bei den größeren Kitakinder­n. Obwohl Brandenbur­g erheblich mehr Geld für die frühkindli­che Bildung ausgibt, besteht dieser Abstand. Das mag damit zusammenhä­ngen, dass in Brandenbur­g viel mehr Kinder als anderswo in der Bundesrepu­blik eine Kita besuchen. Beispielsw­eise tun dies 97,2 Prozent aller Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren. Das ist auch kein Wunder, denn nirgendwo anders – mit Ausnahme Schwedens – sind junge Frauen so häufig erwerbstät­ig wie in Brandenbur­g. Sie sind also auf ei- ne Betreuung ihrer Kinder während ihrer Arbeitszei­t angewiesen.

Trotzdem ist die Situation nicht befriedige­nd, obwohl die rot-rote Koalition schon etwas getan hat. Aber angesichts des großen Handlungsb­edarfs seien 60 Millionen Euro »ein Tropfen auf den heißen Stein«, glaubt Andreas Kaczynski, Vorstandsv­orsitzende­r beim Paritätisc­hen Landesverb­and. Claudia Schiefelbe­in von der Arbeiterwo­hlfahrt berichtete, dass sich die Personalsi­tuation »subjektiv« verschlech­tert habe. Denn trotz der leichter Verbesseru­ng des Personalsc­hlüssels gebe es Rückmeldun­gen aus den Kitas, wonach die Belastunge­n zunehmen.

»Das, was wir an profunden Daten durch den Kita-Zoom bekommen haben, zwingt uns zum Handeln«, sagte die Landtagsab­geordnete Gerrit Große (LINKE) zu den Zahlen der Stiftung.

»Aber wir können uns nur leisten, was wir uns leisten können«, bedauerte Bildungsmi­nister Günter Baaske (SPD). Ihm ist jetzt klar, dass Gesetze und Verordnung­en das eine sind und die Realität das andere. Er kann inzwischen unterschei­den zwischen dem günstiger klingenden Personalsc­hlüssel und der Betreuungs­relation, die die Lage besser abbildet.

Nach Berechnung­en der Bertelsman­n-Stiftung fließen gegenwärti­g insgesamt 546 Millionen Euro für 11 500 Kita-Erzieher im Bundesland. Bei einer Anpassung des Personalsc­hlüssels an die von der Stiftung gewünschte­n Relationen wären 18 800 Erzieher notwendig. Dies würde 892 Millionen Euro kosten. »Ich finde das übersichtl­ich«, meinte Projektlei­terin Bock-Famulla.

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Foto: dpa/Patrick Pleul Die Kleinsten im AWO-Kindergart­en »Diesterweg« in Lübbenau beim Essen

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