Vertrauter Koran
Sandow Birk kombiniert in »American Qur’an« Koran-Suren mit Bildern aus dem US-Alltag »Reue ist der Versuch, in sich zu gehen, nachdem man gerade so schön aus sich herausgegangen ist.« Hans Clarin
Sie haben viele Jahre damit verbracht, den Koran abzuschreiben und mit Bildern aus dem US-amerikanischen Alltagsleben zu illustrieren. Wozu? Amerikaner beziehen sich andauernd auf die Bibel als Kern des USamerikanischen Selbstverständnisses – ein altertümliches Buch aus dem Nahen Osten. Ein anderes altertümliches Buch aus dem Nahen Osten – der Koran – gilt uns hingegen als fremd und bedrohlich. Vor allem seit 9/11 hatte ich irgendwann genug davon, dass mir Leute im Radio erzählen, was der Islam ist und was nicht, und ich wollte es einfach selbst herausfinden. Dass alles hat mich auf die Idee gebracht, einen bebilderten Koran zu schaffen, der die Botschaft zugänglicher macht für die amerikanische Öffentlichkeit. Ich habe mir dann einfach einen Koran im Buchladen gekauft und angefangen zu lesen. Und was stand drin? Das Bemerkenswerteste am Koran war, dass er so vertraut wirkte. Jeder, der denkt, dass der Koran gewalttätiger ist als die Bibel, hat entweder keine Ahnung oder ist voreingenommen. Beide erzählen dieselben Geschichten: Adam und Eva, Arche Noah, Abraham und Isaak, Moses und die zehn Gebote, Maria und Jesus. Der Koran ist keine Geschichte über Mohammed – im ganzen Koran kommt er überhaupt nur viermal vor. Trotzdem passiert es doch eher selten, dass jemand den Koran interessant findet und ihn dann gleich abschreibt, bebildert und als Buch herausbringt. Woher stammt Ihre Beziehung zum Islam? Vom Surfen. Ich bin in einem Vorort von Los Angelas aufgewachsen. Seitdem ich elf Jahre alt bin, surfe ich, bis heute mache ich das vier oder fünf Tage pro Woche. Durch das Surfen bin ich auch in den Kontakt zum muslimischen Teil der Welt gekommen. Ich habe zehn oder elf lange Reisen in islamische Regionen der Welt gemacht und es waren immer fantastische Erfahrungen mit fantastischen Menschen. Später wollte ich einfach mehr über diese Religion wissen, um die Welt, meine Nachbarn und globale Ereignisse besser zu verstehen. Mit all seinen Vor- und Nachteilen ist der Koran wahr- Die Zeichnungen in Sandow Birks »American Qur’an« zeigen brennende Twin-Towers, Migranten an der mexikanischen Grenze, vor allem aber viel Alltagsleben: Vorstädter beim BBQ, Amerikaner beim Shoppen, Surfen, Entenschießen, Farmer bei der Arbeit. Man könnte das neue Buch von Sandow Birk für einen Bildband zum American Way of Life halten. Im Gespräch mit Fabian Köhler erzählt der kalifornische Künstler über seine Motive und die Reaktionen der US-amerikanischen Öffentlichkeit. scheinlich das wichtigste Buch der Welt. Für einen durchschnittlichen, intelligenten, kosmopolitischen, engagierten Westler ist es beschämend, keine Ahnung davon zu haben. Der Inhalt des Koran sollte einfach zum Allgemeinwissen gehören. Ihr Buch heißt »American Qur’an«. Wie kann ein Buch, das im siebten Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel entstanden ist, US-amerikanisch sein? Der bessere Titel wäre »Der Koran für Amerikaner«, aber das klang einfach nicht so gut. Mein Buch umfasst den gesamten Koran auf Englisch – jedes Wort, per Hand aufgeschrieben und bebildert mit Szenen aus dem Alltagsleben der Vereinigten Staaten. Mein Ziel ist es, dem Koran etwas von seiner Exotik zu nehmen, indem ich zeige, wie er sich auf das Leben des Durchschnittsamerikaners beziehen lässt – oder auch das des Durchschnittseuropäers. Wie die Bibel sollte der Koran auch als etwas mit einer universellen Botschaft für mehr als eine Milliarde Menschen weltweit verstanden werden, nicht als irgendein kulturelles Etwas aus dem Nahen Osten. Letztlich leben 80 Prozent aller Muslime nicht im Nahen Osten. Die meisten leben in Asien und sprechen nicht einmal Arabisch. Dennoch verbinden wir den Islam immer mit politischen Ereignissen in einer Ecke der Welt. Allerdings erinnert auch der Stil von »American Qur’an« an eine Ecke der Welt. Man könnte die Bil- der von brennenden Twin-Towers und US-Amerikanern beim Entenschießen auch für persische Malerei halten. War das Absicht? Ja, ich habe mich im Rahmen des Projekts mit Persischen Miniaturen und anderen Formen islamischer Kunst beschäftigt. Ich habe mir viele Manuskripte des Koran aus ver- schiedenen Zeiten, Gemälde und andere Miniaturen angeschaut. Ich wollte, dass mein Projekt als Fortführung dieser Traditionen wahrgenommen wird. Ihr Koran bricht allerdings auch mit der islamischen Tradition. Persische Miniaturen oder überhaupt Bilder von Menschen in einen Koran zu malen, würden wahrscheinlich viele islamische Theologen verurteilen. Haben Sie sich über das islamische Bilderverbot Gedanken gemacht? Natürlich bin ich mir der eher modernen Tradition, heilige Texte nicht zu bebildern, bewusst. Mir war es auch wichtig, darüber nachzudenken. Letztlich sind US-Amerikaner es aber gewohnt, heilige Texte in bebilderter Form nahegebracht zu bekommen. Ich wollte auch ein Buch schaffen, das meine eigenen kulturellen Traditionen widerspiegelt. Ich hoffe, dass mein Buch letztlich ein Treffen von Westen und Osten in neuer Form darstellt. Diese Botschaft stößt in den USA auf immer mehr Ablehnung. Laut FBI haben sich anti-muslimische Hate-Crimes in den letzten Jahren verfünffacht. Waren sie besorgt darüber, wie Leute reagieren könnten, wenn da jemand den American Way of Life in den Kontext eines Buches stellt, das für viele als Manifest der Barbarei und Unzivilisiertheit gilt? Ich stimme zu, dass Islamophobie immer weiter zunimmt, und das nicht nur in den USA. Als ich vor zehn Jahren mit dem Projekt begann, sagten viele: »Das kommt jetzt gerade recht.« Ein Jahrzehnt später sagen sie es leider immer noch. Das ist traurig. Jeder mit ein bisschen Ahnung weiß doch, dass islamische Kulturen alles andere als »unzivilisiert« waren und sind. Ist Singapur unzivilisiert, Kuala Lumpur, Jakarta? Angst vor den Reaktionen hatte ich nicht. Nur davor, dass niemand mein Buch zu Gesicht bekommt.
»Angst vor den Reaktionen hatte ich nicht. Nur davor, dass niemand mein Buch zu Gesicht bekommt.«
Gegenüber der »New York Times« haben Sie einmal gesagt, sie befürchten, von der muslimischen Community missverstanden zu werden. Damals hatten Sie erst einige Seiten ihres Buchs ausgestellt. Mittlerweile kann es jeder bei Amazon kaufen. War ihre Befürchtung berechtigt? Ich denke, jetzt, da das Projekt beendet und das Buch veröffentlicht ist, spricht es für sich selbst. US-Amerikaner reagieren mir gegenüber meist mit Überraschung und Neugier. Von der muslimischen Community wurde es durchgehend gelobt, vor allem von jüngeren muslimischen USAmerikanern. Oft danken sie mir, weil mein Buch ihre US-amerikanische Kultur mit ihrer Religion kombiniere. Es tut gut, das zu hören.