Böhmermann, die Justiz und das »uneigentliche Sprechen«
Netzwoche
Das deutsche Strafgesetzbuch kennt einen Paragrafen, mit einem für heutige Zeiten doch recht merkwürdig klingenden Inhalt. Die Beleidigung von »Organen und Vertretern ausländischer Staaten« steht unter besonderer Strafe. Wer also ein ausländisches Staatsoberhaupt oder einen Vertreter einer ausländischen Regierung, der sich in Deutschland aufhält (ein Botschafter gilt in diesem Sprachduktus wohl als »Organ) übelst beschimpft, muss mit einer »Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe« rechnen. Laut dem Folgeparagrafen 104 können sogar leblose Dinge wie eine ausländische Flagge »verletzt« werden, und auch das ist strafbewehrt.
Den Paragrafen 103 gibt es im deutschen Strafrecht seit 1871, und er ist früher häufig, in den vergangenen Jahrzehnten nur noch gelegentlich angewandt worden. So zum Beispiel 1964, als der iranische Herrscher Schah Mohammad Reza Pahlavi sich durch eine karikierende Fotomontage im »Kölner Stadt-Anzeiger« beleidigt fühlte und die dafür verantwortlichen Mitarbeiter der Zeitung zur Zahlung einer Geldstrafe verurteilt wurden. Oder 1977 zur Zeit der Pinochet-Diktatur, als das Oberverwaltungsgericht in Nordrhein-Westfalen ein vor der chilenischen Botschaft in Bonn gezeigtes Transparent mit der Aufschrift »Mörderbande« laut wikipedia.de mit einer Verurteilung nach Paragraf 103 StGB ahndete.
Dann blieb es lange Zeit ruhig auf dem Felde der Majestätsbeleidigung. Bis Jan Böhmermann in seiner Satire-Show »Neo Magazin Royal« auf ZDFneo sein mittlerweile berühmtberüchtigtes Schmähgedicht auf den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan vortrug. Wenn man sich das mittlerweile aus der ZDFMediathek und von der Videoplattform Youtube entfernte Video (das an einigen Orten des Netzes doch noch auffindbar ist, so z.B. bei vimeo.com) ansieht und sich den Dialog zwischen Jan Böhmermann und seinem Assistenten Ralf Kabelka anhört, wird deutlich, dass den beiden Satirikern durchaus die juristische Tragweite des Auftritts bewusst war, ja, man kann sogar davon ausgehen, dass sie mit dem Gedicht eine öffentliche De- Foto: photocase/Thomas K. batte über die Frage des Verhältnisses zwischen Justiz und Satire provozieren wollten.
Ein wenig hat es allerdings gedauert, bis diese Debatte in Gang kam. Anfang dieser Woche äußerte sich der Staatsrechtler Alexander
Thiele auf verfassungsblog.de zur Causa Böhmermann. Eigentlich, so Thiele, seien »Böhmermanns Spottverse (…) als solche nicht von der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG gedeckt«. Allerdings sei der Vortrag des Gedichts auch eine Kunstaktion und der Verfasser habe mit dieser »Verpackung« deutlich gemacht, »dass es ihm erkennbar gerade nicht um den Inhalt der Schmähkritik selbst« gehe. »Im Ergebnis ist das Verhalten Böhmermanns damit von der Meinungsfreiheit gedeckt. Er hat sich in ausreichender Form vom Inhalt der dargestellten (fiktiven) Schmähkri- tik distanziert, sie nicht völlig anlasslos präsentiert und diese zudem in einen edukatorischen Gesamtkontext gestellt.« Die Bundesregierung sei »daher verfassungsrechtlich gehalten, die Ermächtigung zur Strafverfolgung zu verweigern«.
Was der Jurist mit diesen Worten ausdrückt, bezeichnet die Literaturkritik als »uneigentliches Sprechen«. In mehreren Interviews übertrug die Rechtsberaterin des Satire-Magazins »Titanic«, Gabriele Rittig, diese literaturkritische Kategorie auf die juristische Ebene. »Satire benutzt ja permanent Worte, die formal wie eine Beleidigung aussehen, aber keine sind, weil es ›uneigentliches Sprechen‹ ist«, erklärte Rittig in einem Interview mit dem Radiosender Bayern 2 ( br.de).
Dieses »uneigentliche Sprechen« sei jedoch eines der Probleme, die Satire im Streit mit der Justiz über ihre Wirkung habe, meinte die Anwältin wenige Tage später im Gespräch mit der FAZ ( faz.de). Die Frage, die sich auch beim Schmähgedicht von Böhmermann stelle, sei: »Ist das tatsächlich so gemeint? Und erkennt man das auch? Dazu entwickelte die Rechtsprechung die sogenannte Deckmantel-Theorie: Jemand benutzt die satirische Form nur als Vorwand, um jemanden zu beleidigen.« Auf Böhmermann treffe diese Theorie zwar nicht zu, betont die Anwältin, »aber es ist denkbar, dass Leute vor dem Fernseher saßen, die nur die Schmähung als solche zur Kenntnis genommen haben, nicht aber das, was Böhmermann noch dazu gesagt hat.« Auch diese Möglichkeit müsse ein Gericht in einem Verfahren berücksichtigen. Aber auch Rittig geht von einem glimpflichen Ausgang für Böhmermann aus. »Wenn alles in geordneten juristischen Bahnen läuft, wird man das Verfahren eigentlich einstellen müssen.«