Der Egozentriker hat das letzte Wort
Superstar Kobe Bryant erzielt in seinem letzten NBA-Spiel 60 Punkte und überstrahlt ein letztes Mal die Revolutionäre des Basketballs
Der 37-jährige Basketballstar Kobe Bryant bestritt am Mittwoch sein letztes Spiel. Mit 60 Punkten stahl er dabei den neuen Stars noch einmal die Show. In PISA-Studien der OECD nehmen die Schüler der USA bei Mathematikkenntnissen stets hintere Plätze ein. Beim Rechnen hapert es gewaltig, und doch messen die Amerikaner selbst die metaphorische Größe eines Menschen gern in Zahlen. So verwunderte es nicht, dass Earvin »Magic« Johnson in seiner Lobrede auf Kobe Bryant vor dessen letztem Karrierespiel in der NBA viele Zahlen auflistete, die die Ausnahmestellung des 37-jährigen Basketballers aufzeigen sollten.
Zu fünf Meisterschaften hat Bryant seine Los Angeles Lakers geführt. Die letzte liegt allerdings schon sechs Jahre zurück. 25 Mal gelangen ihm 50 Punkte in einem Spiel, fünf Mal sogar 60. Dies hatte er zwar auch schon vor sieben Jahren letztmals geschafft. Doch die 19 000 Fans im Staples Center feierten ihren Helden, als wenn es gestern gewesen wäre. Nach 20 Jahren für die Lakers wollten sie ihm etwas zurückgeben. Da ahnten sie und Johnson noch nicht, dass Kobe Bryant, der so viele Spiele mit dem letzten Wurf entschied, auch an diesem Mittwochabend das letzte Wort haben würde. Bryant ging nicht wie ein abgehalfterter Altstar. Er packte noch einmal 60 Punkte aus. So verabschiedet sich eine Legende.
Ja, die Gegner aus Utah hatten kurz vor Spielbeginn erfahren, dass sie ebenso wie die Lakers keine Chance mehr auf das Erreichen der Playoffs hatten, doch den Weg zum Korb machten sie Bryant deswegen nicht frei. Sie führten fast über die gesamte Partie hinweg, bis die »Schwarze Mamba« gut 90 Sekunden vor Schluss ihre Punkte 50 und 51 erzielte und dann mit den nächsten neun das Spiel auf der Zielgeraden zum 101:96 noch drehte. Ein Sieg ohne Drama am Ende hätte irgendwie auch nicht Kobe Bryants Stil entsprochen.
Dessen Vorgänger als Star der Lakers, »Magic« Johnson, hatte noch eine andere Zahl genannt: »Kobe hält neun NBA-Rekorde.« Das schien dem Gepriesenen offenbar nicht genug und so schnappte er sich in seinem letzten Spiel den zehnten, der gleichzeitig auch die 60 Punkte erklärt. Denn dafür brauchte Bryant 50 Würfe. So viele Wurfversuche zählten die Statistiker der NBA nie zuvor. Der bisherige Rekordhalter Mi- US-Fernsehsender Sportsnet vor der Bryants letztem Spiel chael Jordan hatte mal 49 Würfe abgefeuert, allerdings in einer Partie mit Verlängerung.
Nun hält Bryant also auch diese Bestmarke für Alleinunterhalter. Dass es dazu kommen könnte, beschworen schon die Moderatoren des übertragenden Fernsehsenders »Sportsnet« herauf. Die führen vor den Partien der Lakers üblicherweise drei mit Statistiken überladene »Schlüssel zum Sieg« auf. Da sollten dann eben mindestens 40,8 Rebounds gesammelt werden, höchstens 13,4 Ballverluste passieren und 78,3 Prozent der Freiwürfe getroffen werden. Am Mittwoch hießen die drei Schlüssel zum Sieg nur: 1. Gebt – 2. Kobe – 3. den Ball! »Das war schon lustig«, sagte Bryant später. »20 Jahre lang haben mir alle zugerufen: Pass den Ball! Gib doch mal ab! Heute sagten alle plötzlich: Gib bloß nicht ab!«
Kobe Bryant spielte immer nur für seinen Lieblingsklub, die Los Angeles Lakers. Meist vor den Augen von Edelfan Jack Nicholson und vielen anderen Hollywood-Größen. Am Mittwoch saßen neben dem Oscar-Gewinner auch Jay Z, Kanye West und David Beckham in den vorderstem Reihen, und alle nickten, als »Magic« Johnson sagte, dass Bryant in den vergangenen 20 Jahren der »größte Prominente der Stadt« gewesen sei. Nun ja, Widerspruch wäre an diesem Abend auch unangebracht gewesen.
Bryant widersprach ebenfalls nicht. Dazu war er schon immer viel zu sehr Egozentriker. Und so passte es, dass er mit einem sportlich völlig unbedeutenden Spiel noch einmal die Blicke der gesamten Liga auf sich zog, obwohl nur eine Flugstunde entfernt in Oakland bedeutendere Rekorde gebrochen wurden. Dort gewannen die Golden State Warriors zur selben Zeit gerade gegen die Memphis Grizzlies 125:104 und somit ihr 73. Spiel der Saison. Das hatten weder Johnson oder Bryant mit den Lakers jemals geschafft – nicht mal die übermächtigen Chicago Bulls unter Superstar Michael Jordan, der an diesem Abend also gleich zwei Rekorde verlor.
Meister Golden State ist gerade dabei, den Spielstil der gesamten Liga zu revolutionieren: weg vom Heldenball à la Jordan und Bryant, hin zum Mannschaftssport mit Hang zum Distanzwurf. Seit zwei Jahren werfen und treffen die Warriors so oft von der Dreipunktlinie und teils noch weit dahinter wie kein Team je zuvor. Allein Stephen Curry traf gegen Memphis zehn Dreier, und damit 402 in der Saison. Natürlich brach er damit seinen eigenen Rekord aus dem Vorjahr, der aber »nur« bei 286 stand. Den hätte Teamkollege Klay Thompson mit 276 Dreiern auch fast noch gebrochen.
Der Trainer der Warriors, Steve Kerr, war einst selbst ein begnadeter Dreipunktschütze. Allerdings stand er immer im Schatten von Jordan oder später Tim Duncan, die meist näher am Korb die meisten Punkte einsammeln durften. Kerr, der Teil der legendären Chicago Bulls war, die 1996 den bisherigen Siegrekord aufgestellt hatten, vertraute nun in Oakland seinesgleichen, den kleinen Spielern, die nur selten spektakulär den Ball von oben durch den Ring stopfen, um die eigene Bestmarke mit Sieg Nummer 73 auszulöschen.
So gehen die Warriors ab Samstag als Favoriten in die NBA-Playoffs. Trotzdem sprach am Donnerstag kaum jemand über sie, denn irgendwie ist 60 größer als 73. Amerikanische Mathematik eben.
»Die Schlüssel zum Sieg: 1. Gebt 2. Kobe 3. den Ball!«