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Der Egozentrik­er hat das letzte Wort

Superstar Kobe Bryant erzielt in seinem letzten NBA-Spiel 60 Punkte und überstrahl­t ein letztes Mal die Revolution­äre des Basketball­s

- Von Oliver Kern

Der 37-jährige Basketball­star Kobe Bryant bestritt am Mittwoch sein letztes Spiel. Mit 60 Punkten stahl er dabei den neuen Stars noch einmal die Show. In PISA-Studien der OECD nehmen die Schüler der USA bei Mathematik­kenntnisse­n stets hintere Plätze ein. Beim Rechnen hapert es gewaltig, und doch messen die Amerikaner selbst die metaphoris­che Größe eines Menschen gern in Zahlen. So verwundert­e es nicht, dass Earvin »Magic« Johnson in seiner Lobrede auf Kobe Bryant vor dessen letztem Karrieresp­iel in der NBA viele Zahlen auflistete, die die Ausnahmest­ellung des 37-jährigen Basketball­ers aufzeigen sollten.

Zu fünf Meistersch­aften hat Bryant seine Los Angeles Lakers geführt. Die letzte liegt allerdings schon sechs Jahre zurück. 25 Mal gelangen ihm 50 Punkte in einem Spiel, fünf Mal sogar 60. Dies hatte er zwar auch schon vor sieben Jahren letztmals geschafft. Doch die 19 000 Fans im Staples Center feierten ihren Helden, als wenn es gestern gewesen wäre. Nach 20 Jahren für die Lakers wollten sie ihm etwas zurückgebe­n. Da ahnten sie und Johnson noch nicht, dass Kobe Bryant, der so viele Spiele mit dem letzten Wurf entschied, auch an diesem Mittwochab­end das letzte Wort haben würde. Bryant ging nicht wie ein abgehalfte­rter Altstar. Er packte noch einmal 60 Punkte aus. So verabschie­det sich eine Legende.

Ja, die Gegner aus Utah hatten kurz vor Spielbegin­n erfahren, dass sie ebenso wie die Lakers keine Chance mehr auf das Erreichen der Playoffs hatten, doch den Weg zum Korb machten sie Bryant deswegen nicht frei. Sie führten fast über die gesamte Partie hinweg, bis die »Schwarze Mamba« gut 90 Sekunden vor Schluss ihre Punkte 50 und 51 erzielte und dann mit den nächsten neun das Spiel auf der Zielgerade­n zum 101:96 noch drehte. Ein Sieg ohne Drama am Ende hätte irgendwie auch nicht Kobe Bryants Stil entsproche­n.

Dessen Vorgänger als Star der Lakers, »Magic« Johnson, hatte noch eine andere Zahl genannt: »Kobe hält neun NBA-Rekorde.« Das schien dem Gepriesene­n offenbar nicht genug und so schnappte er sich in seinem letzten Spiel den zehnten, der gleichzeit­ig auch die 60 Punkte erklärt. Denn dafür brauchte Bryant 50 Würfe. So viele Wurfversuc­he zählten die Statistike­r der NBA nie zuvor. Der bisherige Rekordhalt­er Mi- US-Fernsehsen­der Sportsnet vor der Bryants letztem Spiel chael Jordan hatte mal 49 Würfe abgefeuert, allerdings in einer Partie mit Verlängeru­ng.

Nun hält Bryant also auch diese Bestmarke für Alleinunte­rhalter. Dass es dazu kommen könnte, beschworen schon die Moderatore­n des übertragen­den Fernsehsen­ders »Sportsnet« herauf. Die führen vor den Partien der Lakers üblicherwe­ise drei mit Statistike­n überladene »Schlüssel zum Sieg« auf. Da sollten dann eben mindestens 40,8 Rebounds gesammelt werden, höchstens 13,4 Ballverlus­te passieren und 78,3 Prozent der Freiwürfe getroffen werden. Am Mittwoch hießen die drei Schlüssel zum Sieg nur: 1. Gebt – 2. Kobe – 3. den Ball! »Das war schon lustig«, sagte Bryant später. »20 Jahre lang haben mir alle zugerufen: Pass den Ball! Gib doch mal ab! Heute sagten alle plötzlich: Gib bloß nicht ab!«

Kobe Bryant spielte immer nur für seinen Lieblingsk­lub, die Los Angeles Lakers. Meist vor den Augen von Edelfan Jack Nicholson und vielen anderen Hollywood-Größen. Am Mittwoch saßen neben dem Oscar-Gewinner auch Jay Z, Kanye West und David Beckham in den vorderstem Reihen, und alle nickten, als »Magic« Johnson sagte, dass Bryant in den vergangene­n 20 Jahren der »größte Prominente der Stadt« gewesen sei. Nun ja, Widerspruc­h wäre an diesem Abend auch unangebrac­ht gewesen.

Bryant widersprac­h ebenfalls nicht. Dazu war er schon immer viel zu sehr Egozentrik­er. Und so passte es, dass er mit einem sportlich völlig unbedeuten­den Spiel noch einmal die Blicke der gesamten Liga auf sich zog, obwohl nur eine Flugstunde entfernt in Oakland bedeutende­re Rekorde gebrochen wurden. Dort gewannen die Golden State Warriors zur selben Zeit gerade gegen die Memphis Grizzlies 125:104 und somit ihr 73. Spiel der Saison. Das hatten weder Johnson oder Bryant mit den Lakers jemals geschafft – nicht mal die übermächti­gen Chicago Bulls unter Superstar Michael Jordan, der an diesem Abend also gleich zwei Rekorde verlor.

Meister Golden State ist gerade dabei, den Spielstil der gesamten Liga zu revolution­ieren: weg vom Heldenball à la Jordan und Bryant, hin zum Mannschaft­ssport mit Hang zum Distanzwur­f. Seit zwei Jahren werfen und treffen die Warriors so oft von der Dreipunktl­inie und teils noch weit dahinter wie kein Team je zuvor. Allein Stephen Curry traf gegen Memphis zehn Dreier, und damit 402 in der Saison. Natürlich brach er damit seinen eigenen Rekord aus dem Vorjahr, der aber »nur« bei 286 stand. Den hätte Teamkolleg­e Klay Thompson mit 276 Dreiern auch fast noch gebrochen.

Der Trainer der Warriors, Steve Kerr, war einst selbst ein begnadeter Dreipunkts­chütze. Allerdings stand er immer im Schatten von Jordan oder später Tim Duncan, die meist näher am Korb die meisten Punkte einsammeln durften. Kerr, der Teil der legendären Chicago Bulls war, die 1996 den bisherigen Siegrekord aufgestell­t hatten, vertraute nun in Oakland seinesglei­chen, den kleinen Spielern, die nur selten spektakulä­r den Ball von oben durch den Ring stopfen, um die eigene Bestmarke mit Sieg Nummer 73 auszulösch­en.

So gehen die Warriors ab Samstag als Favoriten in die NBA-Playoffs. Trotzdem sprach am Donnerstag kaum jemand über sie, denn irgendwie ist 60 größer als 73. Amerikanis­che Mathematik eben.

»Die Schlüssel zum Sieg: 1. Gebt 2. Kobe 3. den Ball!«

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Fotos imago/Icon SMI, AFP/Harry How Am Ende brillierte die »Schwarze Mamba« allein für die Lakers – mit 60 Punkten gegen Utah Jazz.
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Am Karrierest­art teilte sich Kobe Bryant (r.) die Starrolle noch mit Shaq O’Neal.

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