Kampf um die TTIP-Hoheit
Obama wirbt für Freihandel, 90 000 protestieren in Hannover
Hannover. In vielen Facetten hat US-Präsident Barack Obama sein »Yes, we can« in den vergangenen Jahren gespiegelt bekommen. Zu seinem wohl letzten Staatsbesuch in Deutschland nutzten TTIP-Gegner den einstigen Wahlkampfspruch für die Forderung nach einem Stop der TTIP-Verhandlungen. Rund 90 000 Menschen demonstrierten am Samstag in Hannover gegen das Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa und für einen gerechten Welthandel. Zu sehen bekam das Staatsoberhaupt jedoch – wenn überhaupt – nur die rund 200 Demonstranten, die auch bei seiner Ankunft am Sonntag auf der Straße waren.
An diesem Montag eröffnet Obama gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Hannovermesse, deren Gastland in diesem Jahr die USA sind. Beide warben am Sonntag für TTIP und sprachen sich im Vorfeld für einen schnellen Abschluss der Verhandlungen aus. »Wir sollten uns sputen«, sagte die Bundeskanzlerin in Hannover nach ihrem Gespräch mit dem USPräsidenten. Merkel betonte, sie glaube, dass das Freihandelsabkommen aus europäischer Perspektive »absolut hilfreich ist, um die Wirtschaft in Europa besser wachsen zu lassen. Das ist für die deutsche Wirtschaft und die gesamte europäische Wirtschaft gut.« Angesichts der »weit fortgeschrittenen Verhandlungen beim transpazifischen Handelsabkommen« sei Eile geboten. Der geplante Handelspakt sei »einer der besten Wege, das Wachstum zu fördern und Arbeitsplätze zu schaffen«, beschwor auch Obama die Bedeutung der Verhandlungen. Er hoffe, dass die Verhandlungen bis zum Ende seiner Amtszeit im Januar abgeschlossen sind. Die 13. Verhandlungsrunde beginnt am Montag in New York.
Nach der Eröffnung der Hannovermesse ist für Montag ein Treffen des US-Präsidenten und der Kanzlerin mit dem britischen Premier David Cameron, Frankreichs Staatschef François Hollande und dem italienischen Regierungschef Matteo Renzi geplant. Themen sind die Terrorbekämpfung, der Krieg in Syrien und die Ukraine-Krise.
Wien, Sevilla, Köln, Birmingham, Madrid, Grenoble, Gorna Malina, Brüssel oder Korfu: Bürgermeister und Stadträte aus insgesamt 40 europäischen Städten und neun Ländern sind ins katalanische Barcelona gereist. Dort wurde am vergangenen Freitag der Grundstein zur Vernetzung von Kommunen und Regionen gegen umstrittene Freihandelsabkommen gelegt. Barcelona hatte die Initiative einer internationalen Koordination aufgegriffen und Lokalpolitiker zur Konferenz »Local Authorities and the New Generation of Free Trade Agreements« eingeladen, um ein Netzwerk gegen TTIP, CETA und TiSA zu gründen.
Neben der linken Stadtregierung war auch die Umweltschutzorganisation »Umweltschützer in Aktion« an der Vorbereitung beteiligt. Für deren Sprecher Tom Kucharz ist es »besonders bedeutsam«, dass sich eine so wichtige Stadt gegen TTIP stellt. Gegenüber »neues deutschland« unterstrich er, Barcelona habe sich bereits im vergangenen Oktober gegen TTIP ausgesprochen. Nun gehe die Stadt über das Verfassen von Erklärungen hinaus.
»Wir wollen informiert und zu den Entscheidungen gehört werden, die unser Leben beeinflussen«, erklärte Vize-Bürgermeister Gerardo Pisarello den Konferenzteilnehmern. »Wir wollen nicht, dass Entscheidungen getroffen werden, die nicht der Kontrolle gewählter Vertreter unterworfen sind«, kritisierte er die bisherige Intransparenz.
Diese Kritik schlägt sich auch in der »Barcelona-Erklärung« nieder, die gemeinsam verabschiedet wurde: »Diese Verträge werden intransparent ausgehandelt und erfüllen damit nicht die europäischen demokratischen und partizipativen Standards.« Diese dürften nicht Handelsgeheimnissen geopfert werden. Europa stehe am Scheideweg und die Lösung der derzeitigen Krisen müsste politischer Natur sein. »Daher sind wir der Meinung, dass Europa zentrale Werte wie Solidarität, die Achtung von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit in den Mittelpunkt seiner Politik stellen muss.« Diese neuen Abkommen basierten dagegen auf Freihandel, dabei müsse Europa »soziale und ökologische Rechte, ebenso wie Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern stärken«.
Gefordert wird, die »Verhandlungen über TTIP und TiSA so lange auszusetzen, bis den Anliegen von lokalen und regionalen Gebietskörperschaften bei der Ratifizierung eines jeden dieser Verträge in vollem Umfang Rechnung getragen wird.
Dass es auch in Nordamerika Widerstand gibt, machte Sharon Treat deutlich. Sie war aus dem US-Bundesstaat Maine angereist. »Die öffentlichen Verwaltungen und Gemeinderegierungen laufen die größte Gefahr, ihre Souveränität zu verlieren«, erklärte sie. Deshalb hätten sich schon mehr als 100 Städte gegen TTIP ausgesprochen, darunter Miami oder Seattle.
Die Beteiligung aus Deutschland war gering. Nur aus Köln war mit Frieder Wolf, Leiter für Internationale Angelegenheiten, ein Stadtvertreter angereist. Dabei haben sich rund 350 Kommunen kritisch oder ablehnend zu TTIP positioniert. Anwesend waren allerdings Vertreter von Nichtregierungsorganisationen wie Arno Behlau von Attac. Die Konferenz sei »sehr kurzfristig« angesetzt worden, erklärt der. Sie sei aber ein »wichtiger erster Schritt zur Vernetzung und als Beginn eines Prozesses zu sehen«. Schon jetzt lägen Einladungen von Kommunen vor, die nächste Konferenz auszurichten. Das Folgetreffen soll noch im Herbst im französischen Grenoble stattfinden.