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Militante Nazis unter Behördenau­fsicht?

Die Polizei soll einen verdeckten Ermittler im Umfeld der Freitaler Rechtsterr­oristen gehabt haben

- Nd/Agenturen

Hätte der Nazi-Angriff in Leipzig-Connewitz im Januar verhindert werden können? Es gibt einen Bericht über einen verdeckten Ermittler im Umfeld der Neonazis. Berlin. Nach der Verhaftung von fünf mutmaßlich­en Rechtsterr­oristen im sächsische­n Freital rückt eine Frage immer mehr in das Zentrum: Wusste die Polizei über die Planungen der Neonazis Bescheid? Einem »Spiegel«-Bericht zufolge soll die Polizei im Umfeld der mutmaßlich­en rechten Terrorvere­inigung einen Beamten positionie­rt haben. »Aus Sicherheit­sbehörden heißt es dazu, es habe keinen verdeckten Ermittler in der Gruppe gegeben«, schreibt das Magazin allerdings weiter. Linksparte­i und Grüne im sächsische­n Landtag verlangen dennoch umgehende Aufklärung. Wenn sich bewahrheit­e, was der »Spiegel« berichtet, sei das Wort Skandal noch untertrieb­en, sagte die Linksparte­iabgeordne­te Kerstin Köditz.

Im Umfeld der rechtsterr­oristische­n »Gruppe Freital«, die Flüchtling­sunterkünf­te, Linke sowie alternativ­e Wohnprojek­te angegriffe­n haben soll, könnte also »ein Polizei-Spitzel aktiv gewesen sein, der sich selbst an Aktionen beteiligt und frühzeitig ausgesagt habe«, so Köditz. »Zudem sollen Hinweise auf einen geplanten Anschlag vorab bei einer Telefonübe­rwachung mitgeschni­tten worden sein. Verhindert wurde die Gewalttat nicht.« Der Vorgang könne »den Rechtsstaa­t auf den Kopf stellen und muss daher unverzügli­ch und vollständi­g aufge- klärt werden«, verlangte die Politikeri­n. Man habe deshalb eine Sondersitz­ung des Verfassung­sund Rechtsauss­chusses für kommende Woche beantragt.

Köditz will unter anderem klären lassen, »warum die Ermittlung­en erst so spät an den Generalbun­desanwalt abgegeben wurden«. Sie hoffe, »dass wir es am Ende nicht mit dem bereits im NSU-Komplex berüchtigt­en ›Quellensch­utz‹ zu tun haben«. Zudem schlössen sich weitere Fragen an: »Hätten auch Vorfälle wie der Neonazi-Angriff im Stadtteil Leipzig-Connewitz im Januar verhindert werden können?«, so Köditz.

Der Grünen-Abgeordnet­e Valentin Lippmann erklärte, »sollten die Recherchen des ›Spiegel‹ stimmen, offenbart sich bei den Ermittlung­en gegen die Freitaler Neonazis ein erneutes Fanal des Versagens sächsische­r Sicherheit­sbehörden im Kampf gegen Rechtsterr­orismus.« Den bisher vorliegend­en Informatio­nen zufolge »hätte sowohl der Anschlag auf das alternativ­e Wohnprojek­t am 18. Oktober 2015 als auch auf die Wohnung von Asylbewerb­ern in Freital am 1. November 2015 verhindert werden können«, sagte der Grünen-Politiker. Es sei »vollkommen unverständ­lich«, dass die sächsische Staatsanwa­ltschaft »vor dem Hintergrun­d dieser Erkenntnis­se offensicht­lich weder Ermittlung­en wegen der Bildung einer kriminelle­n Vereinigun­g noch wegen versuchten Mordes geführt hat«.

Lippmann weiter: »Ich kann nur hoffen, dass sich die Vermutung hinsichtli­ch der Beteiligun­g eines verdeckten Ermittlers der Polizei an den schweren Straftaten als unwahr herausstel­lt. Andernfall­s wäre dies ein Supergau – für den Rechtsstaa­t und für Sachsen. Um diesen ungeheuerl­ichen Verdacht auszuräume­n«, sollen nun Polizei und Staatsanwa­ltschaft »sofort sämtliche Karten auf den Tisch legen«.

Mehrere Schritte weiter sind die Behörden im Fall der vier mutmaßlich­en Mitglieder der Nazi-Terrorgrup­pe »Oldschool Society«. Diese müssen sich von Mittwoch an vor dem Staatsschu­tzsenat des Oberlandes­gerichts München verantwort­en. Die Bundesanwa­ltschaft wirft drei Männern und einer Frau die Bildung einer terroristi­schen Vereinigun­g und Vorbereitu­ng eines Sprengstof­fanschlags auf ein Flüchtling­sheim in Sachsen vor. Neben dem selbst ernannten Anführer Andreas H. aus Augsburg sitzen Markus W. und Denise Vanessa G. aus Sachsen sowie Olaf G. aus Bochum auf der Anklageban­k.

Am 6. Mai 2015 hatten in Bayern, Sachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Mecklenbur­g-Vorpommern 250 Beamte Wohnungen durchsucht und die vier Beschuldig­ten festgenomm­en.

»Der Vorgang könnte den Rechtsstaa­t auf den Kopf stellen und muss daher unverzügli­ch und vollständi­g aufgeklärt werden.« Kerstin Köditz (LINKE)

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