nd.DerTag

Anker für Kenia

Die erste Kenia-Koalition steht. Ob das mehr bedeutet als Stillstand, müssen die Parteien erst beweisen

- Von Hendrik Lasch, Magdeburg

Die Koalitions­parteien tun sich schwer mit Schwarz-Rot-Grün in Magdeburg.

In Sachsen-Anhalt haben die Parteien der Kenia-Koalition den Weg für die bundesweit erste derartige Koalition geebnet. Vor allem zwischen CDU und Grünen stimmt die Chemie noch nicht.

Im Bereich politische­s Floskelwes­en liegen CDU und Grüne in SachsenAnh­alt schon auf einer Wellenläng­e. Seine Partei wolle »Stabilität­sanker der Koalition« sein, sagte Reiner Haseloff, der designiert­e Ministerpr­äsident in der bundesweit ersten schwarz-rot-grünen Koalition, bei einem Parteitag der Christdemo­kraten am Freitag, der über den Koalitions­vertrag beriet. Tags darauf trafen sich die Grünen zum gleichen Thema. Und was sagte Cornelia Lüddemann, die Landeschef­in? Die Grünen wollten – richtig – der »Stabilität­sanker« im Dreierbünd­nis mit der SPD sein.

Das klingt nach Harmonie. Doch Anker können nicht nur ein Schiff sicher am Grund halten, sie neigen im ungünstige­n Fall dazu, sich heillos ineinander zu verhaken. Genau das ist in Magdeburg der Fall. Die Parteien, die nur durch das Wahlergebn­is mit einem bemitleide­nswerten Absturz der SPD und dem phänomenal­en Triumph der AfD in eine Politehe ohne echte Alternativ­e gedrängt wurden, reiben sich mächtig aneinander; vor allem die CDU fremdelt auffällig mit der Ökopartei, die man bisher auf der anderen Seite der Barrikade wähnte.

Schriftlic­her Beleg dafür ist ein Brief, den CDU-Landeschef Thomas Webel nach Abschluss der Koalitions­verhandlun­gen an Delegierte und Kreisfürst­en richtete – und der sich wie der Bericht über eine gewonnene Feldschlac­ht liest. »Wir haben uns mehrheitli­ch durchgeset­zt«, sagt Webel; das Papier trage die »klare Handschrif­t der CDU«. Man habe eine Obergrenze bei Flüchtling­en in den Vertrag bekommen; die Grünen hätten dem Saalekanal zugestimmt; aus der Braunkohle werde nicht wirklich schnell ausgestieg­en; und die Abtretung des Agrarminis­teriums an die Grünen, die an der CDUBasis für heiligen Furor sorgt, bleibe eine auf fünf Jahre begrenzte »einmalige Episode«.

Bei den Grünen reibt man sich die Augen. Der Brief »strotzt vor Unwahrheit­en, man könnte auch sagen: Lügen«, sagt der parlamenta­rische Geschäftsf­ührer Sebastian Striegel. Sie finde Webels Äußerungen »unlauter«, merkt die designiert­e Agrarminis­terin Claudia Dalbert an und betont, der Ausstieg aus der Braunkohle stehe »glasklar« im Vertrag. Und Lüddemann sagt schmallipp­ig: »So werden wir uns auf Dauer nicht behandeln lassen.«

Hochkochen will man den Zwist noch vor dem heißen Start der Koalition bei den Grünen nicht. Der Parteitag der CDU sei auch »eine Therapieve­ranstaltun­g« gewesen, sagt Karl-Ulrich Engel, der als Grüner lange im CDU-Verkehrsmi­nisterium gearbeitet hat. Haseloffs Truppe, die seit 2002 regiert, hatte wohl gehofft, auch im Dreierbünd­nis im gleichen Trott bleiben zu können – und war von der Hartnäckig­keit der Grünen überrollt. Zu inhaltlich­en Differenze­n kommen kulturelle Unterschie­de. Lüddemann berichtete von »ältere Herren, die es nicht gewohnt sind, mit selbstbewu­ssten Frauen zu verhandeln«. Ihr Unbehagen kleiden diese Männer in platte Witze. CDULandrat Uwe Schulze aus Anhalt-Bitterfeld sagte über Dalbert, die promoviert­e Psychologi­n müsse nun im Agrarminis­terium zeigen, wie »das Sprechen mit Pferden und Getreide« klappe.

Überhaupt: das Ministeriu­m. Dessen Verlust drohte zeitweilig zum Fallstrick für Kenia zu werden. Bauern protestier­ten vor dem Landtag; auf dem CDU-Parteitag beklagten Delegierte wie der Bauer und Bundestags­abgeordnet­e Kees de Vries »Gewissensk­onflikte«, weil man »den ländlichen Raum preisgeben oder Neuwahlen erzwingen« müsse. Einzelne CDU-Politiker erwogen offen eine Pakt mit der AfD. Die einzige Warnung davor kam von Thomas Leimbach aus dem Salzland, der auf die »entsetzlic­hen Thesen« der Rechtspopu­listen hinwies und sagte, wer mit diesen liebäugele, sei ein »Brandstift­er«. Gleichwohl störe auch ihn die »rot-grüne Prosa« im Vertrag. Haseloff warnte vor der »Unregierba­rkeit« des Landes und führte die Kanzlerin als Au- torität ins Feld: Angela Merkel habe gebeten, den Parteitag an seine »staatspoli­tische Verantwort­ung« zu erinnern.

Das zog am Ende: 153 CDU-Delegierte stimmten dem Papier zu, es gab 30 Gegenstimm­en. Bei den Grünen lehnte nur ein Delegierte­r den Vertrag ab, bei der SPD vier. Am Montag kann Haseloff zum Ministerpr­äsident gewählt werden. Ob und im wievielten Anlauf das gelingt, gilt angesichts der Stimmungsl­age in der CDU als offen; bei der Wahl der Vizepräsid­enten des Landtags votierten viele CDU-Abgeordnet­e für einen Kandidaten der AfD. Mit Blick auf solche Abstimmung­spannen, aber auch den Webel-Brief und die Demonstrat­ion der Bauern spricht die grüne Bundestags­abgeordnet­e Steffi Lemke von einem »Rumpelstar­t« der Koalition. Wenn diese ihre Arbeit aufnehme, müsse sich der Umgang ändern. »Dass wir übereinand­er herfallen, darf nicht zur Endlosschl­eife werden«, sagt sie: »Über Abgrenzung wird diese Koalition nicht funktionie­ren.«

Hochkochen will man den Zwist noch vor dem heißen Start der Koalition bei den Grünen nicht. Der Parteitag der CDU sei auch »eine Therapieve­ranstaltun­g« gewesen, sagt Karl-Ulrich Engel.

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Grafik: 123rf/armvector
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Foto: fotolia/freshidea

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