»Revolution der Gerechtigkeit«
LINKE-Spitze: Müssen unsere Rolle in der Gesellschaft neu finden
Die Linkspartei soll nach dem Willen der Parteivorsitzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping die organisierende Kraft eines »Lagers der Solidarität« werden. Die Spitze der LINKEN sieht die eigene Partei nach dem schwachen Abschneiden bei den Landtagswahlen im Frühjahr und vor dem Hintergrund der Gefahr eines weitergehenden gesellschaftlichen Rechtsrucks »vor der Herausforderung, unsere Rolle in der Gesellschaft neu zu finden und uns weiterzuentwickeln«. In einem gemeinsamen Papier der Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger, das »nd« vorliegt, heißt es unter anderem, »es gibt kein linkes Lager der Parteien mehr«, da sich SPD und die Grünen »von sozialer Gerechtigkeit derzeit weiter entfernt« hätten als je zuvor. Beide Parteien »haben sich offenbar mit ihrer Rolle als Mehrheitsbeschaffer in einer ›marktkonformen Demokratie‹« abgefunden, heißt es in dem 13seitigen Papier. Die Linkspartei sei »nicht Teil des Merkel-Lagers, wir stehen gegen Neoliberalismus wie gegen Rechtspopulismus«. Alleine geht es nicht Zugleich pochen Kipping und Riexinger auf eine offensivere Haltung der Linkspartei. »Soziale Rechte, Demokratie und Weltoffenheit sind heute nur noch im Vorwärtsgang zu verteidigen.« Um »in diesen Zeiten gegen die Konzentration von Macht und Reichtum in den Händen Weniger« wirksam etwas auszurichten und »die drohende Zerstörung der Demokratie zu verhindern und eine soziale Demokratie zu verwirklichen«, brauche es »nicht weniger als eine Revolution«. Die beiden Parteichefs seien sich dabei bewusst, was »soziale Revolution« bedeute: eine »radikale Umwälzung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und aller gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen Menschen ausgebeutet, erniedrigt und unterdrückt werden«. Dies stehe derzeit nicht an.
Dennoch würden nach »dreißig Jahre einer neoliberalen ›Revolution von oben‹«, bei der »Unsicherheit und Konkurrenz entfesselt« und »gesellschaftlicher Zusammenhalt zerstört« wurde, »kleine Kurskorrekturen innerhalb des neoliberalen Kapitalismus« nicht ausreichen. »Wir brauchen einen grundlegenden Wandel«, so Kipping und Riexinger. Ihr Plädoyer: eine »Revolution der Gerechtigkeit«, mit der verhindert werden könne, dass weiterhin »Millionen Menschen im Alter in Armut leben und Millionen Kinder in Armut aufwachsen«. Eine »gute Gesundheitsversorgung, Bildung und bezahlbares Wohnen für alle« seien eigentlich »in einem reichen Land« ebenso machbar wie »gute Arbeit, Sicherheit, ein gutes Leben im Alter, der garantierte Schutz vor Armut und das Recht auf Teilhabe auch im Fall der Erwerbslosigkeit«. Von allein werde es dazu aber nicht kommen: »Wir müssen sie als soziale Garantien für alle Menschen erkämpfen.«
Kipping und Riexinger werfen dabei auch einen Blick auf die gesellschaftlichen Mehrheiten. Jenseits von SPD und Grünen sowie des »Merkel-Lagers« gebe es viele Menschen, die sich für solidarische Verhältnisse einsetzten: in Betrieben, auf der Straße gegen Neonazis und bei der Unterstützung von Geflüchteten, in Bewegungen für Demokratie, Bürger- und Menschenrechte sowie in Netzwerken für Klimagerechtigkeit und einen gerechten Welthandel. Diese könnten ein »Lager der Solidarität« bilden, so Kipping und Riexinger, »wenn sie ihr Gemeinsames finden. Als linke Partei haben wir die Aufgabe, zur organisierenden Kraft einer solchen gesellschaftlichen Strömung zu werden.«
Denn: Die Linkspartei allein werde die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nicht verändern können. Daher fordern die Vorsitzenden, dies auch »stärker als bislang die Botschaft« auszustrahlen. »Keine Partei kann allein die Gesellschaft verändern, aber gemeinsam können wir uns auf den Weg machen. Lasst uns gemeinsam mit den vielen Menschen ein gesellschaftliches Lager der Solidarität gegen Dauerstress und Existenzangst, gegen die Bereicherung und kriminelle Steuerflucht der Super-Reichen, gegen Rassismus und rechte Gewalt bilden«, heißt es in dem Papier. Grundwerte nicht verhandelbar Mit Blick auf innerparteiliche Debatten der vergangenen Wochen schreiben Kipping und Riexinger, »die Frage, ob wir nun in der Flüchtlingspolitik unsere Grundsätze aus zweifelhaften wahlstrategischen Überlegungen über Bord werfen sollen, stellt sich nicht«. Auf diese Weise würde man nicht nur Bündnispartner verlieren, sondern »auch unsere Grundwerte der Menschenrechte und Demokratie verraten«. Zudem würde ein solcher Kurswechsel »am Ende nur die Rechten stärken«. Zuletzt hatte unter anderem Oskar Lafontaine die Formulierung aus dem LINKE-Programm für »offene Grenzen für Alle« in Frage gestellt. Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht hatte wiederholt von angeblichen Kapazitätsgrenzen bei der Aufnahme von Geflüchteten gesprochen. Dies war in der Linkspartei auf breite Ablehnung gestoßen.
Kipping und Riexinger pochen auf Programmtreue, so wie es in der Partei in Diskussionen etwa über Regierungsbeteiligungen oder Friedenspolitik in der Vergangenheit üblich war. »Unsere Positionen für Bewegungsfreiheit und gegen die Festung Europa sind klar«, heißt es in dem Papier. »Sie stehen ebenso wenig zur Disposition wie unsere grundlegende Opposition zur Austeritätspolitik. Wir geben weder unsere Positionen auf noch die Menschen. Wir sind antirassistisch und antifaschistisch, das ist unverhandelbar.«