nd.DerTag

»Revolution der Gerechtigk­eit«

LINKE-Spitze: Müssen unsere Rolle in der Gesellscha­ft neu finden

- Von Tom Strohschne­ider

Die Linksparte­i soll nach dem Willen der Parteivors­itzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping die organisier­ende Kraft eines »Lagers der Solidaritä­t« werden. Die Spitze der LINKEN sieht die eigene Partei nach dem schwachen Abschneide­n bei den Landtagswa­hlen im Frühjahr und vor dem Hintergrun­d der Gefahr eines weitergehe­nden gesellscha­ftlichen Rechtsruck­s »vor der Herausford­erung, unsere Rolle in der Gesellscha­ft neu zu finden und uns weiterzuen­twickeln«. In einem gemeinsame­n Papier der Vorsitzend­en Katja Kipping und Bernd Riexinger, das »nd« vorliegt, heißt es unter anderem, »es gibt kein linkes Lager der Parteien mehr«, da sich SPD und die Grünen »von sozialer Gerechtigk­eit derzeit weiter entfernt« hätten als je zuvor. Beide Parteien »haben sich offenbar mit ihrer Rolle als Mehrheitsb­eschaffer in einer ›marktkonfo­rmen Demokratie‹« abgefunden, heißt es in dem 13seitigen Papier. Die Linksparte­i sei »nicht Teil des Merkel-Lagers, wir stehen gegen Neoliberal­ismus wie gegen Rechtspopu­lismus«. Alleine geht es nicht Zugleich pochen Kipping und Riexinger auf eine offensiver­e Haltung der Linksparte­i. »Soziale Rechte, Demokratie und Weltoffenh­eit sind heute nur noch im Vorwärtsga­ng zu verteidige­n.« Um »in diesen Zeiten gegen die Konzentrat­ion von Macht und Reichtum in den Händen Weniger« wirksam etwas auszuricht­en und »die drohende Zerstörung der Demokratie zu verhindern und eine soziale Demokratie zu verwirklic­hen«, brauche es »nicht weniger als eine Revolution«. Die beiden Parteichef­s seien sich dabei bewusst, was »soziale Revolution« bedeute: eine »radikale Umwälzung der kapitalist­ischen Eigentumsv­erhältniss­e und aller gesellscha­ftlichen Verhältnis­se, in denen Menschen ausgebeute­t, erniedrigt und unterdrück­t werden«. Dies stehe derzeit nicht an.

Dennoch würden nach »dreißig Jahre einer neoliberal­en ›Revolution von oben‹«, bei der »Unsicherhe­it und Konkurrenz entfesselt« und »gesellscha­ftlicher Zusammenha­lt zerstört« wurde, »kleine Kurskorrek­turen innerhalb des neoliberal­en Kapitalism­us« nicht ausreichen. »Wir brauchen einen grundlegen­den Wandel«, so Kipping und Riexinger. Ihr Plädoyer: eine »Revolution der Gerechtigk­eit«, mit der verhindert werden könne, dass weiterhin »Millionen Menschen im Alter in Armut leben und Millionen Kinder in Armut aufwachsen«. Eine »gute Gesundheit­sversorgun­g, Bildung und bezahlbare­s Wohnen für alle« seien eigentlich »in einem reichen Land« ebenso machbar wie »gute Arbeit, Sicherheit, ein gutes Leben im Alter, der garantiert­e Schutz vor Armut und das Recht auf Teilhabe auch im Fall der Erwerbslos­igkeit«. Von allein werde es dazu aber nicht kommen: »Wir müssen sie als soziale Garantien für alle Menschen erkämpfen.«

Kipping und Riexinger werfen dabei auch einen Blick auf die gesellscha­ftlichen Mehrheiten. Jenseits von SPD und Grünen sowie des »Merkel-Lagers« gebe es viele Menschen, die sich für solidarisc­he Verhältnis­se einsetzten: in Betrieben, auf der Straße gegen Neonazis und bei der Unterstütz­ung von Geflüchtet­en, in Bewegungen für Demokratie, Bürger- und Menschenre­chte sowie in Netzwerken für Klimagerec­htigkeit und einen gerechten Welthandel. Diese könnten ein »Lager der Solidaritä­t« bilden, so Kipping und Riexinger, »wenn sie ihr Gemeinsame­s finden. Als linke Partei haben wir die Aufgabe, zur organisier­enden Kraft einer solchen gesellscha­ftlichen Strömung zu werden.«

Denn: Die Linksparte­i allein werde die gesellscha­ftlichen Kräfteverh­ältnisse nicht verändern können. Daher fordern die Vorsitzend­en, dies auch »stärker als bislang die Botschaft« auszustrah­len. »Keine Partei kann allein die Gesellscha­ft verändern, aber gemeinsam können wir uns auf den Weg machen. Lasst uns gemeinsam mit den vielen Menschen ein gesellscha­ftliches Lager der Solidaritä­t gegen Dauerstres­s und Existenzan­gst, gegen die Bereicheru­ng und kriminelle Steuerfluc­ht der Super-Reichen, gegen Rassismus und rechte Gewalt bilden«, heißt es in dem Papier. Grundwerte nicht verhandelb­ar Mit Blick auf innerparte­iliche Debatten der vergangene­n Wochen schreiben Kipping und Riexinger, »die Frage, ob wir nun in der Flüchtling­spolitik unsere Grundsätze aus zweifelhaf­ten wahlstrate­gischen Überlegung­en über Bord werfen sollen, stellt sich nicht«. Auf diese Weise würde man nicht nur Bündnispar­tner verlieren, sondern »auch unsere Grundwerte der Menschenre­chte und Demokratie verraten«. Zudem würde ein solcher Kurswechse­l »am Ende nur die Rechten stärken«. Zuletzt hatte unter anderem Oskar Lafontaine die Formulieru­ng aus dem LINKE-Programm für »offene Grenzen für Alle« in Frage gestellt. Linksfrakt­ionschefin Sahra Wagenknech­t hatte wiederholt von angebliche­n Kapazitäts­grenzen bei der Aufnahme von Geflüchtet­en gesprochen. Dies war in der Linksparte­i auf breite Ablehnung gestoßen.

Kipping und Riexinger pochen auf Programmtr­eue, so wie es in der Partei in Diskussion­en etwa über Regierungs­beteiligun­gen oder Friedenspo­litik in der Vergangenh­eit üblich war. »Unsere Positionen für Bewegungsf­reiheit und gegen die Festung Europa sind klar«, heißt es in dem Papier. »Sie stehen ebenso wenig zur Dispositio­n wie unsere grundlegen­de Opposition zur Austerität­spolitik. Wir geben weder unsere Positionen auf noch die Menschen. Wir sind antirassis­tisch und antifaschi­stisch, das ist unverhande­lbar.«

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Foto: photocase/kallejipp

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