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»Der Sigmar« lässt den Arbeiterfl­ügel alleine schlagen

Die größte Arbeitsgem­einschaft der SPD möchte nicht das Positive in den Vordergrun­d stellen

- Von Marcus Meier, Duisburg

Die Arbeitsgem­einschaft für Arbeitnehm­erfragen (AfA) will den Mindestloh­n und den Hartz-4-Satz deutlich erhöhen. Das beschloss sie auf ihrem Bundeskong­ress. SPDChef Gabriel bekam es nicht mit. Der Parteivors­itzende zog es vor, erst gar nicht zu kommen, seine Generalsek­retärin ging bald wieder, dabei hätte es so viel zu bereden gegeben. Sigmar Gabriels Absenz und Katarina Barleys schneller Abgang nach langer Rede und kurzer Debatte wurde durchaus als Affront empfunden auf der Bundeskonf­erenz der Arbeitsgem­einschaft für Arbeitnehm­erfragen. Aber auch so wäre die Stimmung schlecht gewesen auf dem Treffen des Gewerkscha­ftsflügels der SPD, das am Wochenende in Duisburg stattfand. Die SPD durchlebe gerade eine schwere Zeit, betonte der AfABundesv­orsitzende Klaus Barthel, und verwies auf die »verheerend­en« Wahl- und Umfrageerg­ebnisse seiner Partei.

Diese seien keine Momentaufn­ahme, sondern Ausdruck eines tiefgreife­nden Vertrauens­verlustes: Die SPD habe unter Kanzler Schröder den Gestaltung­sanspruch aufgegeben. Nun stoße die rechte AfD »mit ihrem Irrsinn« in das Vakuum. Barthel forderte SPD-Angebote für den kleinen Mann und die kleine Frau. So müsse der Mindestloh­n in einem ersten Schritt auf zehn Euro erhöht werden.

Für Vorbilder hält Barthel die Schwesterp­arteien in Spanien und England, weil beide ein »sehr klares linkes Profil« aufwiesen. SPD-Chef Gabriel müsse den »sozialen Markenkern« der SPD herausstel­len, betonte der Bundestags­abgeordnet­e im Vorfeld des Kongresses. Mit einem Wahlergebn­is von 96,4 Prozent wurde der AfA-Chef in seinem Amt bestätigt.

Zu ihren Hochzeiten in den 1970ern überzeugte die SPD fast jeden zweiten Wähler – bei Wahlbeteil­igungen von über 90 Prozent. Heute geht nur noch jeder Zweite zur Wahl, und davon wählt nur jeder fünfte die Sozialdemo­kratie. SPD? 20 Prozent, Tendenz: sinkend. Auch mit Europa und Deutschlan­d geht es aus ihrer Sicht bergab, das machten viele Redner in Duisburg deutlich.

Der durchschni­ttliche AfA-Delegierte ist Gewerkscha­ftsmitglie­d und mehr als nur dezent ergraut. Er mag »die Andrea« Nahles, Bundesarbe­itsministe­rin, aber nicht »den Sigmar« Gabriel. Er hasst »die Fehler« der Schröder-Jahre und würde sie gerne rückgängig machen. Gerne möchte er seine Partei wieder richtig lieb haben, aber die macht’s ihm so verdammt schwer.

Sein Frust ist groß, der Wunschkata­log der AfA entspreche­nd lang. Er betrifft Werkverträ­ge und Leiharbeit, den Ausbau der Mitbestimm­ung, die Rente und vor allem den Mindestloh­n. Der soll »deutlich« erhöht werden, beschloss die AfA. Der Betrag »11,50 Euro«, drei Euro mehr als bisher, wurde indes gestrichen. Konkreter wurde man bezogen auf den HartzIV-Satz, der soll auf 450 Euro steigen.

Denkbare Machtpersp­ektiven scheinen weniger interessan­t zu sein: Dass eine rechnerisc­he rot-rot-grüne Mehrheit im derzeitige­n Bundestag existiert, die viele AfA-Forderunge­n sofort umsetzen könnte – es ist kein Thema in Duisburg.

Zwar beschäftig­te sich der Kongress primär mit den Perspektiv­en des arbeitende­n Menschen in der digitalen Arbeitswel­t, er fand aber kaum Niederschl­ag im Netz, was sonst jedem ländlichen Kaninchenz­üchtervere­in gelingt.

SPD-Generalsek­retärin Barley umschmeich­elte derweil die Delegierte­n: Sie sei ein bekennende­r AfAFan, lächelte die 47-Jährige in den Saal. Doch »die Leute« wollten von der SPD zukunftsge­richtete Diskussion­en und keine Selbstkast­eiungen.

Auf den Mindestloh­n könne man als Sozialdemo­krat »stolz wie Bolle« sein. Auch ansonsten habe man in der Regierung »viel erreicht«. Notwendig sei indes eine profession­elleres »Marketing« der Partei: So gelte es, die Reihen zu schließen. Kritik solle nur hinter verschloss­enen Türen stattfinde­n, forderte die Partei-Managerin. Das »Wording« der SPD müsse »das Positive in den Vordergrun­d« stellen.

Und die neue Konkurrenz im Kampf um die Arbeitnehm­erstimmen? »Die Leute wissen nichts über die AfD«, betonte Barley. Zum Beispiel, dass die Rechtsauße­n-Partei für Freihandel­sabkommen sei. »Wie der Sigmar«, entfuhr es da einem Delegierte­n.

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