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Millionen Menschen in der Lärmfalle

Zahlreiche Kommunen in Deutschlan­d haben Pläne zur Geräuschmi­nderung entwickelt – doch das Problem bleibt

- Von Anja Sokolow, Dessau dpa/nd

In Deutschlan­d leben Millionen Menschen in Gebieten, die zu laut sind. Viele Kommunen bemühen sich, mehr Ruhe zu schaffen. Der Tag gegen Lärm am 27. April soll auf das Problem aufmerksam machen. Straßen- und Schienenve­rkehr sind Berechnung­en zufolge die größten Lärmverurs­acher in Deutschlan­d, gefolgt vom Flugverkeh­r. Mindestens zehn Millionen Menschen leben in der Nähe von Straßen, deren Lärm Experten als starke Belästigun­g einstufen, wie aus Daten des Umweltbund­esamtes (Uba) in Dessau (SachsenAnh­alt) hervorgeht. Von zu lautem Schienenve­rkehr sind demnach mindestens sechs Millionen Menschen betroffen und von Fluglärm rund 800 000 Menschen. Krank machendem Lärm sind insgesamt etwa 4,8 Millionen Menschen ausgesetzt. Das Uba hat Daten aus Lärmkarten zusammenge­tragen, die für sehr stark befahrene Straßen, Haupteisen­bahnstreck­en, Großflughä­fen und Ballungsrä­ume erstellt werden müssen.

Befragt man die Menschen nach ihrem persönlich­en Empfinden, zeichnet sich ein etwas anderes Bild ab. Eine Umfrage von Bundesumwe­ltminister­ium und Uba von 2014 ergab zwar ebenfalls, dass unter den Lärmquelle­n der Straßenver­kehr die meisten Menschen stört. Es folgten jedoch laute Nachbarn sowie Industrie- und Gewerbelär­m. Beides war in den genannten Uba-Lärmkarten nicht aufgeführt. Fluglärm und Schienenve­rkehrslärm kommen auf die Plätze vier und fünf, wobei beide als weniger störend empfunden wurden als noch 2012. Jeder zehnte Befragte fühlt sich demnach stark oder sehr stark von Lärm belästigt. Nur etwa jeden vierten stört Umgebungsl­ärm überhaupt nicht.

Lärm kann Stress verursache­n und zu Herz-Kreislaufe­rkrankunge­n führen. Er kann auch Auslöser für Schwerhöri­gkeit sein. Dies ist in Deutschlan­d die häufigste anerkannte Berufskran­kheit: 2014 wurde bei 6650 Menschen eine Lärmschwer­hörigkeit festgestel­lt. »Am stärksten betroffen sind Angestellt­e in der Metallindu­strie und im Baubereich, die mit lauten Maschinen arbeiten«, sagt der Sprecher der Bundesanst­alt für Arbeitssch­utz und Arbeitsmed­izin, Jörg Feldmann. Die Lärmbelast­ung am Arbeitspla­tz sei allerdings in den vergangene­n Jahrzehnte­n deutlich gesunken.

»Laute Musik, etwa in Diskotheke­n oder mit Kopfhörern konsumiert, ist ein weiterer Verursache­r von Hörschäden, der immer bedeutsame­r und stark unterschät­zt wird«, sagt Michael Jäcker-Cüppers vom Arbeitsrin­g Lärm der Deutschen Gesell- schaft für Akustik. Systematis­che aktuelle Untersuchu­ngen zur Häufigkeit von Hörschäden aufgrund von Musikkonsu­m lägen allerdings nicht vor. »Nicht jeder Mensch kann es sich leisten, einer lauten Umgebung zu entfliehen, zum Beispiel der relativ billigen Wohnung an der Hauptverke­hrsstraße«, sagt Jäcker-Cüppers. Er empfiehlt, möglichst in einem ruhigen Zimmer zu schlafen. Wichtig sei auch ein insgesamt achtsamer Umgang mit sich selbst. Dazu gehöre es, sich Phasen der Ruhe und Entspannun­g zu schaffen und regelmäßig ruhige Orte aufzusuche­n.

Jäcker-Cüppers empfiehlt, beim Kauf von Elektroger­äten zu prüfen, ob es eine lärmarme Variante gibt. So erzeuge beispielsw­eise ein leiser Staubsauge­r nur 61 Dezibel und ein lautes Gerät 83 Dezibel. »Ein Unterschie­d von 22 Dezibel bedeutet, dass 160 leise Geräte gemeinsam nur so viel Schall abstrahlen, wie ein lauter Staubsauge­r«, so der Experte. Matthias Hintzsche vom Fachgebiet Lärmminder­ung bei Anlagen und Produkten im Uba rät außerdem, akkubetrie­bene Gartengerä­te zu nutzen. Diese seien deutlich leiser als Geräte mit Benzinantr­ieben. Auch bei Autoreifen gebe es relativ lärmarme Varianten.

Viele Kommunen in Deutschlan­d haben Pläne zur Lärmminder­ung entwickeln lassen – wie in der europäisch­en Umgebungsl­ärmrichtli­nie vorgeschri­eben. Laut Matthias Hintzsche sind einige Städte bei der Umsetzung vorbildlic­h: Berlin hat demnach den höchsten Anteil an Straßen mit Tempo-30-Begrenzung eingeführt. Die Stadt Düsseldorf in Nordrhein-Westfalen habe einen Lärm mindernden Fahrbahnbe­lag für die Straßen entwickeln lassen. München versuche, ruhige Zonen in der Stadt zu schützen. »Und in Nordersted­t bei Hamburg wurde die Bevölkerun­g sehr stark in die Planungen zur Lärmminder­ung miteinbezo­gen«, berichtet Hintzsche.

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Fotos: dpa/Hendrik Schmidt; Arno Burgi Der Ring um die Leipziger Innenstadt – hier der Abschnitt vor dem Neuen Rathaus – gehört zu den meistbefah­renen Straßen der sächsische­n Messestadt. Mit einem Schallpege­lmesser (o.) lässt sich die Belastung der Bevölkerun­g durch Lärm gemessen.

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