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Katalonien im Währenddes­sen

Regionalpr­äsident Puigdemont verhandelt wieder mit Madrid über Unabhängig­keit

- Von Julia Macher, Barcelona

Während der spanische König den letzten Versuch unternimmt, doch noch eine Regierung in Madrid zu finden, arbeiten die Unabhängig­keitsbefür­worter in Katalonien in Ruhe an ihrer Loslösung.

»Wer glaubt, wir seien verschwund­en, nur weil man nichts von uns hört, der wird noch eine Überraschu­ng überleben«, antwortet der katalanisc­he Regionalpr­äsident Carles Puigdemont, wenn er nach der erstaunlic­hen Normalität im sezessions­willigen Nordosten Spaniens gefragt wird. Tatsächlic­h ist im Parlament Katalonien­s nach der »Erklärung über den Beginn des Prozesses zur Bildung eines eigenen Staates« im November wenig passiert. Das liegt zum einen daran, dass knapp 48 Prozent Unabhängig­keitsbefür­worter für großartige Gesten zu wenig sind, zum anderen daran, dass die heterogene Bewegung über drei Monate gebraucht hat, um einen konsensfäh­igen Präsidente­n zu finden. Puigdemont wurde von Artur Mas als Amtsnachfo­lger nominiert, weil ihm selbst der Rückhalt der basisdemok­ratischen Linksparte­i CUP fehlte.

Der »unerwartet­e Kandidat« – so Puigdemont über sich selbst – gehört zum sozialdemo­kratischen Flügel der Convergènc­ia, hat als ehemaliger Bürgermeis­ter von Girona wenig Berührungs­punkte mit den korruption­sverdächti­gen Machtzirke­ln in Barcelona. Und er muss als Unabhängig­keitsbefür­worter der ersten Stunde seinen Sezessions­willen nicht ständig beweisen, im Gegensatz zum neo-sezessioni­stischen Vorgänger Mas. »Ich habe schon immer von einem eigenen katalanisc­hen Staat geträumt«, sagt Puigdemont. »Dennoch wollte ich zunächst Spanien zu einem plurinatio­nalen Staat machen, doch der Staat ist nicht wandlungsf­ähig – und wird es nie sein.«

Den Einwand, dass mit den Linksparte­ien Vereinigte Linke (IU), Podemos und ihrer katalanisc­hen Schwesterp­artei erstmals auch auf gesamtstaa­tlicher Ebene ein verbindlic­hes Unabhängig­keitsrefer­endum diskutiert wird, lässt der Ministerpr­äsident nicht gelten. »Ich sehe keine Konstellat­ion, in der Podemos sein Programm durchsetze­n könnte«, so Puigdemont. Tatsächlic­h stehen Spanien wohl im Juni Neuwahlen bevor, bei denen sich die Linken erneut beweisen müssen.

Dabei sei Spaniens Gesellscha­ft reifer als seine politische Klasse. Was fehle, seien Politiker mit dem Mut, Tabus zu brechen. »Das Ansehen Spaniens in der Welt würde sich enorm verbessern, wenn Madrid den Weg für eine schottisch­e Lösung frei machen würde«, appelliert Puigdemont.

Tatsächlic­h wäre ein verbindlic­hes Referendum der vernünftig­ste Weg – für beide Seiten. Eine einseitige Unabhängig­keitserklä­rung sieht selbst der Fahrplan der katalanisc­hen Re- gierung nicht vor. Stattdesse­n sollen die nächsten Wahlen zu verfassung­sgebenden erklärt werden, das neue Parlament dann eine Konstituti­on ausarbeite­n, die per Referendum angenommen wird. »Meine Aufgabe ist es, dem Parlament die Schlüssel für einen eigenen Staat zu übergeben und es zu den verfassung­sgebenden Neuwahlen zu führen«, sagt Puigdemont. Die für einen Bruch mit Spanien notwendige­n vorstaatli­chen Gesetze über Steuer-, Sozialvers­icherungsw­esen und Übergangsp­rozedere hat der Ministerpr­äsident auf das Ende der Legislatur verlegt.

Die Strategie ähnelt der seines Vorgängers Artur Mas, der die Regionalwa­hlen im September kurzerhand zum Plebiszit erklärte. Sie soll einen sanften Übergang »von einer Legalität zur nächsten« suggeriere­n – und erhöht vor allem den Druck auf Mad- rid, doch noch zu verhandeln: um ein Referendum oder möglicherw­eise auch andere substanzie­lle Zugeständn­isse bei Selbstverw­altung, Steuerhohe­it und Anerkennun­g als Nation. Immerhin sprechen Madrid und Barcelona wieder miteinande­r: In der vergangene­n Woche verhandelt­e Puigdemont mit dem amtierende­n spanischen Premier Mariano Rajoy um 46 Punkte, darunter auch Zinssenkun­gen für die Hilfszahlu­ngen aus dem nationalen Autonomen Liquidität­sfonds (FLA). Für Puigdemont ist es kein Widerspruc­h, gleichzeit­ig neue Finanzieru­ngsinstrum­ente zu fordern und eine Sezession anzukündig­en: »Ein Instrument ist für die Zukunft, das andere für Vergangenh­eit und Gegenwart.« Derzeit befinde man sich im Währenddes­sen. Wie lange diese Zeitspanne dauern werde? Der Ministerpr­äsident zuckt mit den Schultern.

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Foto: AFP/Pau Barrena Pablo Iglesias (l.) im Gespräch mit dem katalanisc­hen Präsidente­n Carles Puigdemont

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