Chinas Verkehr unter Strom
In China werden E-Autos gefördert, aber nicht geliebt
Hätte Ju Zhanpeng die Wahl gehabt, würde er jetzt einen VW Tiguan fahren. Der kompakte Geländewagen der Wolfsburger ist nicht so teuer wie ein BMW oder Mercedes. »Aber ein Deutscher«, das war dem markenbewussten Pekinger wichtig. Aus Jus Traum wurde nichts. Weil knapp sechs Millionen Autos schon jetzt die Straßen in Peking verstopfen und die Luft verpesten, greift die Regierung durch: Nummernschilder für Autos mit Benzinmotor werden in Peking und sieben weiteren Großstädten wie Shanghai und Guangzhou seit Jahren nur noch verlost. Die Chance, eine Lizenz zu ergattern, liegt bei unter fünf Prozent. Wer dagegen ein E-Auto kauft, ist von der Regel ausgenommen. Ju versuchte drei Jahre lang sein Lotterieglück. Dann entschied er sich für einen Stromer des heimischen Anbieters BAIC mit 160 Kilometer Batteriereichweite. »Er ist okay«, sagt Ju emotionslos.
Wie dem 35-Jährigen geht es vielen Großstadt-Chinesen. Weil sie an kein Kennzeichen für einen Benziner kommen, kaufen sie ein E-Auto, weil sie sonst komplett auf Bus oder U-Bahn angewiesen wären. Eine Horrorvorstellung für die Mittelschicht, wo Autos noch als Statussymbol gelten – auch wenn man damit meist nur im Stau steht.
»Die Beschränkung der Nummernschilder ist der Hauptgrund, warum sich der Elektromarkt so rasant entwickelt«, sagt Cui Dongshu von der Vereinigung der PkwHersteller. Die Regierung will bis 2020 fünf Millionen E-Autos auf der Straße haben. 2015 zogen die Verkäufe in China stärker an als sonst auf der Welt. Die Zahl der verkauften Elektro- und Plug-inHybrid-Pkw vervierfachte sich auf 180 000. China ist damit noch vor den USA zum größten Markt aufgestiegen. Auch auf der am Montag gestarteten Pekinger Automesse werben Hersteller mit Elektrokonzepten. Sie wissen: Die E-Revolution ist politisch gewollt, es warten fette Geschäfte.
Deutsche Hersteller fürchten, abgehängt zu werden. »Aus meiner Sicht ist das eine Gefahr für Europa«, sagt VW-Markenchef Herbert Diess. Ohne starken Heimatmarkt könnten sich die Hersteller im Wettbewerb bei Kosten und Technologie nicht durchsetzen. Während in Berlin noch diskutiert wird, lockt Chinas Regierung bereits mit Vorteilen: Von dem Fahrverbot einmal die Woche, das in Peking für Benziner gilt, sind die Neulinge ausgenommen. Auch bekommen Autokäufer bis zu 45 000 Yuan (6140 Euro) vom Staat erstattet. Einige Lokalregierungen geben den gleichen Betrag noch obendrauf. Ju bezahlte so für seinen BAIC statt 186 000 nur 96 900 Yuan. Auch die Steuern fallen weg.
Experten halten die hohen Subventionen für weniger wichtig. In Städten ohne Nummernschild-Beschränkung wie Shenzhen oder Hangzhou sind E-Autos nach wie vor Ladenhüter, vor allem wegen mangelnder Lademöglichkeiten. »Die Situation ist absurd«, berichtet Zhang Haibo, der sich vor fünf Monaten in Peking ein E-Auto kaufte: Zwar übernimmt die Regierung die Kosten für eine private Ladestation vor der Haustür, Zhangs Hausverwaltung untersagte ihm den Bau jedoch. So muss er seinen Wagen über Nacht an einer der öffentlichen Säulen aufladen, die weit entfernt liegen. »Die Stationen sind fast immer überfüllt, oft muss man Schlange stehen.« Über Wechat, Chinas WhatsApp, informieren sich E-Auto-Besitzer über neue Stationen, und wo gerade mal eine nicht besetzt ist.
BAIC-Besitzer Ju sagt, er hätte lieber länger sein Losglück versuchen sollen. Am Wochenende will er mit seiner Familie einen Ausflug zur Chinesischen Mauer machen. Die rund 170 Kilometer für Hin- und Rückfahrt kann er mit seinem Wagen vergessen. »Wir mieten uns ein Auto.«