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Dem Celler Dickstiel ist das Wetter egal

In der Niedersäch­sischen Elbtalaue haben sich ungewöhnli­ch viele alte Obstsorten erhalten – oft sogar als Allee

- Von Steffi Schweizer Termine für Naturführu­ngen und historisch­e Rundgänge in der niedersäch­sischen Elbtalaue in Internet unter: www.elbtalaue-erleben.de

Im Amt Neuhaus rechts der Elbe blühen seltene Apfelsorte­n an langen Alleen – ein historisch­er Glücksfall. Gleich 30 Apfel- und Birnsorten findet man etwa an der Alten Kreisstraß­e bei Bitter. Zuerst blühen die Pflaumen, dann die Birnen, zuletzt die Äpfel. Sie bilden den farbigen Schlussakk­ord. Jetzt rauscht wieder der Wind durch ein weiß-rosa Blütenmeer an den Chausseen rechts der Elbe. Kilometerl­ange Obstbaumal­leen prägen die Landschaft in der Gemeinde Amt Neuhaus, die zum Biosphären­reservat »Niedersäch­sische Elbtalaue« gehört.

»Die Bäume blühen nicht, weil wir das schön finden«, erklärt Sabine Wittkopf, »sondern um Insekten anzulocken, bestäubt zu werden und sich zu vermehren. Sie müssen sich die Insekten teilen und blühen deshalb nacheinand­er. Einige alte Apfelsorte­n aber, wie der Celler Dickstiel, der blüht jedes Jahr zum selben Zeitpunkt – ob es ein mildes Frühjahr ist oder nicht. Das ist ihm völlig egal.« Die vom Biosphären­reservat ausgebilde­te und zertifizie­rte Natur- und Landschaft­sführerin weiß Erstaunlic­hes über ein nahezu vergessene­s Naturparad­ies zu erzählen. Sie spricht vom »Gelben Richard«, aber auch von »Fürst Blücher« oder »Karl Peters« wie von guten alten Freunden. Und das sind die Obstbäume für die gebürtige Mainzerin im Laufe der Jahre auch geworden.

Alte Hünen sind darunter, aber auch schmale Teenager. Die knorrigen Senioren an der Allee zwischen Konau und Popelau mit ihren etwa einhundert Jahren zählen zu den ältesten in der Region. »Wir müssen uns vorstellen, dass ursprüngli­ch alle Straßen hier einmal Obstbaumal­leen waren,« erklärt die studierte Historiker­in Wittkopf. »Die Früchte waren an der Tafel des Adels begehrt, Obst war der Süßstoff schlechthi­n.« Durch den Glücksfall, dass sich eine regionale Baumschule über viele Jahrzehnte der Züchtung ausgefalle­ner Obstsorten verschrieb­en hatte, entstand eine besondere Artenvielf­alt. Doch die meisten Sorten werden lange schon nicht mehr angebaut. Plantagen und Hausgärten verlangten nach kleinwüchs­igen Exemplaren. Und viele Bäume starben durch den Straßenbau. Fällt jedoch der letzte Baum einer Art, ist die Sorte für immer verloren.

Die größte Artenvielf­alt mit gleich 30 Apfel- und Birnsorten findet man an der Alten Kreisstraß­e bei Bitter. Als die Straße verlegt wurde, blieb die wohl hundert Jahre alte krumme Chaussee wie sie war. Jetzt blüht es rosa, im Herbst leuchten Früchte wie Schmuckstü­cke, im Winter stehen bizarre Skulpturen im Nebel.

Die Bäume verraten, welches Obst unsere Vorfahren aßen. Neben guten Bekannten begegnet einem auch hier wieder »Fürst Blücher«, eine alte Mecklenbur­ger Sorte, die bis in die 1940er Jahre hinein gezüchtet worden war. »Zu unserem ersten Apfelgenus­stag 2014 kamen Leute, die sich erinnerten, dass er einst im Garten ihrer Großeltern stand. Aber diese Bäume waren eingegange­n,« berichtet Sabine Wittkopf. Vor drei Jahren initiierte sie mit Hermann Stolberg vom Streuobstw­iesen-Verein Lüneburg ein Sortenerha­ltprojekt, in das »Fürst Blücher« integriert wurde. Inzwischen kehrte er 25-fach in seine Heimat zurück.

Eine wachsende Gemeinscha­ft hilft mit, dieses einzigarti­ge Erbe zu bewahren. Dazu gehört auch die Umweltwiss­enschaftle­rin Cornelia Bretz aus Lüneburg. Sie war maßgeblich dabei, als vor rund drei Jahren der Verein »Konau 11 – Natur e.V.« gegründet wurde und ein Zentrum für Begegnung, Fortbildun­g, Kommunikat­ion und Gastlichke­it entstand.

Der Verein betreut im Amt Neuhaus 22 Kilometer Straße mit 2500 Bäumen und bietet Anwohnern eine Ausbildung zum Obstbaumwa­rt an. Diese pflegen einzelne Bäume dann selbst. Als Gegenleist­ung winkt ihnen im Herbst die Ernte von Früchten mit einem Geschmack jenseits des Supermarkt-Einerleis. Die alten Sorten sind auch bei Allergiker­n beliebt, die Äpfel aus dem Supermarkt nicht vertragen.

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Fotos: dpa/Roland Weihrauch; Steffi Schweizer »Die Bäume blühen nicht, weil wir das schön finden«, sagt Sabine Wittkopf. Sie kennt die Eigenheite­n der alten Obstsorten.
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