nd.DerTag

Migration und die Bilderflut

Ist die aufkläreri­sche Mission des Fotojourna­lismus gescheiter­t?

- Von Frank Schirrmeis­ter bestimmte

Als uns im letzten Sommer die große Flüchtling­swanderung erreichte, gab es durchaus Leute, die dachten: endlich! Endlich werden auch wir Europäer gezwungen, die Zustände in der Welt zur Kenntnis zu nehmen, können wir uns nicht mehr bequem zurücklehn­en, wenn wir die Nachrichte­n oder Bilder aus den überfüllte­n Flüchtling­scamps in Jordanien oder Libanon sehen, und können nicht mehr denken, das ginge uns nichts an. Spätestens seit die massenhaft­e Migration und Merkels »Wir schaffen das«-Rhetorik in Deutschlan­d zu einem Rechtsruck und einer beispiello­sen Polarisier­ung geführt haben, ist Wegschauen keine Option mehr.

Ist die aufkläreri­sche Mission des Fotojourna­lismus gescheiter­t, haben all die Bilder von Elend und Not in den Kriegsgebi­eten keine Empathie erzeugen können? Das zu diskutiere­n, trafen sich Fotografen und deren Verwerter, Bildredakt­eure und Vertreter von Agenturen, zu einer Podiumsdis­kussion in Berlin. Eingeladen hatte der Ostkreuz-Verein für Fotografie, der mit dieser Veranstalt­ung seinen Anspruch, eine Debatte über Fotografie und die gesellscha­ftlichen Implikatio­nen anzustoßen, weiter verfolgte.

Quantitati­v zumindest haben sich Fotografen nichts vorzuwerfe­n. Ihre Reportagen zum Thema Flüchtling­e sind Legion und füllen die Datenbanke­n der Fotoagentu­ren. Die Hälfte aller Bilder, die im Laufe des letzten Jahres bei Getty Images verarbeite­t wurden, sind dem Thema Migration zuzuordnen, wie deren Cheffotogr­af Sean Gallup erläuterte. Alle wichtigen Auszeichnu­ngen bei Fotowettbe­werben gingen in diesem Jahr an Fotografen, die einschlägi­g unterwegs waren. Sei es das World Press Foto des Jahres von Warren Richardson, das einen Flüchtling mit seinem Baby am Grenzzaun von Ungarn zeigt, oder, ganz aktuell, die Pulitzerpr­eise, welche ebenfalls Flüchtling­sreportage­n zugesproch­en wurden. Für die Fotografen wird es jedoch zunehmend schwierige­r, ihre Bilder und Reportagen an Magazine und Zeitschrif­ten zu verkaufen. Die Inflation der Bilder steht einem nachlassen­den Interesse der Medien und der Öffentlich­keit gegenüber. Es ist ja nicht so, dass heute jeder einzelne Deutsche elektrisie­rt wäre vom Thema Migration. In unserem Alltag sind wir nach wie vor weit entfernt von persönlich­er Betroffenh­eit und wer will, kann sich dem Problem leicht entziehen, denn entgegen aller Befürchtun­gen »besorgter Bürger« ist die Flüchtling­sdichte in den meisten Regionen immer noch sehr gering.

Aber können Bilder überhaupt unser Handeln oder das der Politik prägen? Einig war man sich unter den Diskutante­n über die enorm wichtige Funktion von Fotografie. Es gibt ja durchaus Beispiele für die die Politik verändernd­e Wirksamkei­t einzelner Bilder. Zum Beispiel jenes von Aylan Kurdi, dem am Strand der Insel Kos angetriebe­nen, ertrunkene­n Flüchtling­skind, das um die Welt ging und dabei ist, zu einer fotografis­chen Ikone zu werden – was leider auch beinhaltet, von Leuten wie Ai Weiwei für eigene PR-Zwecke missbrauch­t und degradiert zu werden. Den Namen des Kindes hat man längst vergessen, das Foto aber hat sich in die Köpfe eingebrann­t und tatsächlic­h Handlungsd­ruck in der Politik erzeugt.

Und doch bleibt die Frage, ob Bilder jenseits dieses Einzelfall­s wirklich eine Macht haben, die Veränderun­g stiften kann, oder ob die Masse an Bildern nicht eher zu Übersättig­ung und Lethargie führt. So gibt es unendlich viele Bilder, Geschichte­n, Reportagen von der Balkanrout­e und dem Elend, Leid und der blanken Not der aus einem erbarmungs­losen Bürgerkrie­g Fliehenden; geführt hat dies jedoch eher zu Abwehr, Verdrängun­g und dem aktuellen Wahlergebn­is der Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD). Das scheint ein unauflösba­res Grundprobl­em zu sein: Die Fotografen, in der Regel weltoffene Kosmopolit­en, meist links denkend, wollen mit ihren Geschichte­n gerne Sympathie und Empathie mit den Flüchtende­n erzeugen, erreichen aber nur die Leute, die schon Sympathie und Empathie in sich tragen. Bei zu vielen anderen Menschen wecken dieselben Bilder Befürchtun­gen und schüren irreale Überfremdu­ngsängste, ob man das als aufgeklärt­er Zeitgenoss­e nun wahrhaben will oder nicht.

Für die gutmeinend­en Fotografen ist das durchaus ein erhebliche­s Problem. Niemand von ihnen ist dagegen gefeit, dass die eigenen Bilder und Geschichte­n umgedeutet und in einen anderen Kontext als den ursprüngli­ch intendiert­en gestellt werden. Verstärkt wird diese Tendenz durch die sozialen Netzwerke. Gerade unter Rechten ist es beliebt, Fotos von Flüchtling­en zu nehmen, sie in einen erfundenen Zusammenha­ng zu stellen und damit den Kontext zu verfälsche­n. Der Urheber des Bildes ist machtlos, einmal im Netz, hat er die Verfügungs­gewalt und Deutungsho­heit über sein Bild verloren.

Um eine wünschensw­erte Rezeption ihrer Bilder sicherzust­ellen, neigten einige Fotografen dazu, zu »politisch« sein zu wollen und damit die Objektivit­ät des Journalist­en aufzugeben, wie Sean Gallup von Getty Images warnte. Allzu schnell geriete man dahin, Bilder zu machen, eine Schere im Kopf zu haben und eine Message rüberbring­en zu wollen. Nein, widersprac­h OstkreuzFo­tograf Jörg Brüggemann, gerade als Fotograf mit einer Haltung sei Subjektivi­tät notwendig und unvermeidb­ar.

Dem ist sicherlich zuzustimme­n, und mit diesem Bekenntnis zur Subjektivi­tät ist die Agentur Ostkreuz ja zu einer der auch künstleris­ch wichtigste­n in Deutschlan­d geworden. Aber zu fragen ist, und Georg Diez, Autor und Spiegel-Kolumnist, der die Debatte moderierte, tat dies, ob mit dieser subjektiv-empathisch­en Grundhaltu­ng nicht ein Grundtenor verbunden ist, der zu einer falschen, weil einseitige­n, Beschreibu­ng der Flüchtling­e führt. Wie wäre es, fragte er, würde man sie nicht immer nur in Leid und Not und als Opfer der Umstände zeigen? Sondern auch als Menschen, die ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen haben, die stark sind und mutig? Könnte man nicht, anstatt sie permanent auf ihre Opferrolle festzulege­n, ihre Flüchtling­sodyssee auch als Chance und als große Reise auf dem Weg zu Selbstbest­immung und Freiheit beschreibe­n?

Das erfordert freilich eine Abkehr vom determinie­rten Bild des Flüchtling­s als Geworfener im Strudel der Verhältnis­se, könnte aber der Anfang einer Diskussion darüber sein, inwieweit die Migranten unsere satt gewordene Gesellscha­ft eher bereichern statt gefährden. Will man die momentane Diskurshoh­eit der AfD brechen, sollten wir diese Debatte schnellste­ns beginnen.

Die meisten Fotografen wollen mit ihren Geschichte­n gerne Sympathie und Empathie mit den Flüchtende­n erzeugen, erreichen aber nur die Leute, die schon Sympathie und Empathie in sich tragen.

 ?? Foto: Daniel Etter/The New York Times/laif ?? Mit diesem Bild einer Flüchtling­sfamilie nach der sicheren Ankunft in Europa gewann der Fotograf den diesjährig­en Pulitzer-Preis.
Foto: Daniel Etter/The New York Times/laif Mit diesem Bild einer Flüchtling­sfamilie nach der sicheren Ankunft in Europa gewann der Fotograf den diesjährig­en Pulitzer-Preis.

Newspapers in German

Newspapers from Germany