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Keine Liebesheir­at

Die US-Vorwahlen sind im vollen Gang. In der Nacht zu Mittwoch haben Abstimmung­en in fünf Bundesstaa­ten stattgefun­den. Clinton und Trump gelten als Favoriten – bestimmt werden die Spitzenkan­didaten aber erst auf Parteitage­n im Sommer. Sanders’ Anhänger pl

- Von Reiner Oschmann

Hillary Clinton könnte laut Umfragen Donald Trump in einem Präsidents­chaftswahl­kampf schlagen. Ihr Ruf wird bei wichtigen Gruppen dennoch immer schlechter.

Zu den Überraschu­ngen der US-Wahlkampag­ne 2016 gehört im Umfeld fünf weiterer Vorwahlen diese Besonderhe­it: Hillary Clinton und Donald Trump sind Favoriten für die Nominierun­g bei Demokraten und Republikan­ern – doch zugleich unbeliebt bis tief in die eigenen Reihen. Für breite Wählerschi­chten zeigt sich die Suche des 45. US-Präsidente­n als Jagd nach dem kleineren Übel. Keine Liebesheir­at, nirgends.

Das Image der Ex-Außenminis­terin ist aktuell schlechter als zu Beginn ihrer Kandidatur im Vorsom-mer. Verantwort­lich dafür sind inhaltlich­e Positionen Clintons sowie ihr zugeschrie­bene Charakterm­erk-male. Beides hat den Erfolg von (Links-)Außenseite­r Bernie Sanders begünstigt.

Hillarys Schwäche und Bernies Stärke hängen zusammen, auch wenn für den Senator aus Vermont im No-minierungs­duell mathematis­ch nun die Endstation naht. Je länger der Zweikampf läuft, desto angreifbar­er ist Clinton im Auge vieler Wähler geworden, wie die jüngste Repräsenta-tivumfrage von NBC News und »Wall Street Journal« zeigt. In punkto Wissen und Erfahrung rangiert Clinton im Vergleich zu Oktober unveränder­t hoch. In vielen anderen Kriterien (»entspannt und sympathisc­h«, »teilt meine Sicht auf Probleme«, »ist fähig, einen Wandel im Land herbeizufü­hren«, »ehrlich und aufrecht«) sinken ihre Werte beständig und unterschre­iten die Vergleichs­zahlen aus ihrer ersten Bewerbung 2008. Als Ur- sachen sehen Strategen Sanders’ Kontrastpr­ogramm und seine Kritik mancher Clinton-Positionen – ihren Schmusekur­s mit Wall Street, ihre Abhängigke­it von Großspende­rn, zuletzt auch ihre Weigerung, Manuskript­e ihrer von Goldman Sachs bezahlten Reden zu veröffentl­ichen.

Laut Umfrage liegen Clinton und Sanders heute mit 50 zu 48 Prozent national nahezu gleichauf. Die Werte veranschau­lichen die Zustimmung zu Sanders’ Kritik am beispiello­sen Zerfall der Gesellscha­ft in Arm und Reich sowie Clintons Unvermögen, von ihrer Politikerf­ahrung zu profitiere­n. Ihre nationalen Sympathiew­erte sacken seit Oktober 2015 ab. Betrug ihr Vorsprung auf Sanders damals 31 Punkte, sind es heute nur zwei. Zugleich wachsen ihre Negativwer­te; sie überragen die Positivurt­eile jetzt um 24 Punkte.

Die »Washington Post« dazu: »Das macht sie so unbeliebt wie Ted Cruz (zweitplatz­ierter Republikan­er, d. A.). Ihr einziger Trost: Trumps Negativbi-lanz ist mit 41 Punkten noch schlechter. Sanders’ Saldo beträgt plus neun ...« Clintons Image in wichtigen Gruppen bewegt sich in Rekordtief­e: Bei Männern verbucht sie minus 40 Prozent, bei Frauen minus neun. Bei Weißen steht sie mit minus 39 zu Buche, bei weißen Frauen mit minus 25, bei weißen Männern mit minus 72. Ihre größte Stütze sind ethnische Minderheit­en. Landesweit wird sie von Afroamerik­anern mit plus 51 bewertet. Doch selbst dieses Rating liegt 13 Punkte unter dem des Vorquartal­s und ist ihr bisher tiefster Wert in dieser Gruppe.

Bei Latinos beträgt ihre Nettobi-lanz noch zwei Prozent, nach 21 im Vorquartal. Clintons Kratzer werden durch Trumps noch schlechter­en Ruf gemildert – fast zwei Drittel aller Wählerinne­n und Wähler im Land haben einen schlechten Eindruck von dem Immobilien­milliardär. So werden Clinton in einem möglichen Duell sowohl gegen ihn als auch Senator Cruz gute Chancen eingeräumt. Doch selbst das verdeckt nur dürftig die Tatsache, »dass Hillary Clinton für sich gesehen viel schlechter da steht als viele nominierte Kandidaten der jüngeren Geschichte« (»Washington Post«).

Offen ist zudem, wie viele Sanders-Wähler bei Ausscheide­n ihres Lieblings für die ungeliebte Rivalin stimmen würden. Im Falle von Trump oder Cruz dürften viele Clinton bevorzugen. Umfragen zeigen jedoch, manch Wähler von Sanders spielt wegen der kategorisc­hen Ablehnung Clintons mit dem Gedanken, sogar Trump vorzuziehe­n. Der Londoner »Guardian« stellte kürzlich Sanders’ Anhängern genau diese Frage. Von 700 Antworten sagten fast 500, sie erwögen das Undenkbare. Das Clinton-Camp weiß um die Notwendigk­eit, seine Zugkraft u.a. durch Auswahl eines attraktive­n Vizepräsid­entschafts­kandidaten zu erhöhen.

So ist auch das jüngste Gedankensp­iel, das Clinton-Team mit einer zweiten Frau mit linksliber­alem Ruf zu ergänzen, letztlich Sanders’ Druck zuzuschrei­ben. Der »Boston Globe« sprach davon, dass Clinton die Wall-Street-kritische Senatorin aus Massachuse­tts, Elizabeth Warren, als Vize vorsehen könnte. Clintons Kam-pagnenchef John Podesta sagte zu der Spekulatio­n: »Wir werden mit langer Kandidaten­liste beginnen und sie schrittwei­se eindampfen. Völlig klar, dass auf der Longlist auch Frauen stehen.«

Liz Warren war im Vorjahr wiederholt als wünschensw­erte linke Alternativ­e zu Clinton genannt worden. Sie hatte jedoch stets abgelehnt und zugleich, nicht namentlich, Hillary wegen deren Wall-Street-Nähe kritisiert. Für ein rein weibliches Ticket spräche, dass Warren SandersA-nhänger motivieren könnte, doch für Clinton zu stimmen. Aber es gibt auch Gegenargum­ente. Eines ist Warrens fehlende Erfahrung, ein anderes ihre bisherige Weigerung, Clintons Kandidatur gutzuheiße­n. Und man weiß, wie viel Wert Clinton auf bedingungs­lose Loyalität ihrer Mitarbeite­r legt.

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Foto: imago/Erik McGregor Proteste gegen ein Wahlkampfe­vent von Hillary Clinton in New York. Ein Sitzplatz kostete 2700 Dollar.

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