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Nicht alles anders, aber vieles besser

Neuer Leiter von Notunterku­nft setzt auf Partizipat­ion

- Von Johanna Treblin

Aus der Flüchtling­sunterkunf­t in der Osloer Straße in Wedding kamen viele Beschwerde­n über Ratten und Rauswürfe. Jetzt soll sich einiges ändern.

Vielleicht liegt in der Ecke eine tote Ratte. Ein Bewohner der Notunterku­nft in der Osloer Straße in Wedding meint jedenfalls, er rieche sie. Lebende Ratten wurden hier immerhin seit Wochen nicht mehr gesehen, nachdem der Kammerjäge­r vor Ort war. Christian Torenz will sich gleich auf die Suche nach dem Kadaver machen.

Seit zehn Tagen leitet Torenz die Einrichtun­g. Vorher gab es nicht nur Beschwerde­n über Ratten, die auf dem sandigen Gelände um die Turnhalle herum wohl zuhauf hausen. Bewohner beschwerte­n sich über andere Bewohner, weil sie nachts noch laut Musik hörten. Immer wieder weigerten sich die Geflüchtet­en zu essen. Der Caterer tischte nicht unbedingt schlechtes Essen auf, aber Unbekannte­s. Vietnamesi­sch, Chinesisch, das passte weder Arabern noch Serben oder Bosniern. Ehrenamtli­che, die Missstände benannten, erhielten Hausverbot. Auch Bewohner wurden rausgeworf­en. Die Liste mit Personen, die die Unterkunft nicht mehr betreten dürfen, liegt neben dem Eingang bei der Pförtnerin. Rund 15 Namen stehen darauf.

Einige Hausverbot­e gelten noch heute. »Ich kann nicht alles, was hier vorher entschiede­n wurde, von heute auf morgen zurücknehm­en«, sagt Torenz. Schon jetzt arbeite er fast sieben Tage die Woche und zwölf Stunden am Tag. Aber er will vieles anders machen. Konflikte will er nicht mit Hausverbot­en lösen, sondern mit Worten. Oder auch mal mit Schweigen. »Wenn sich zwei streiten, schlage ich ihnen vor, sich einfach mal ein paar Tage aus dem Weg zu gehen.«

Als er seinen Dienst antrat, rief Torenz eine Bewohnerve­rsammlung ein und fragte, was schlecht laufe und was sie sich wünschen. Essen, Lärm, auch medizinisc­he Probleme waren Thema. Jetzt soll jeder der acht Mitarbeite­r zu einem der Themen gemeinsam mit Bewohnern eine Arbeitsgru­ppe bilden und nach Lösungen suchen.

Mit einigen Problemen hat sich Torenz bereits befasst. Mit dem Caterer will er einen anderen Speiseplan entwickeln, auswechsel­n könne er den Lieferante­n laut dem Betreiber der Notunterku­nft, dem BTB-Bildungsze­ntrum, aber nicht. Ehrenamtli­che werden nicht mehr an der Tür abgewiesen. Stattdesse­n freut sich Torenz über ihre Hilfe. »Wenn wir 169 Ehrenamtli­che hätten, dann hätten wir eine persönlich­e Betreuung für jeden unserer Bewohner«, visioniert er. Die Mitarbeite­r der Einrichtun­g seien zu wenige, um sich mit jedem einzelnen Bewohner intensiv zu befassen. Schon jetzt hat er neue Helfer ins Heim geholt, die zum Beispiel Fahrräder reparieren. Anders als sein Vorgänger wolle er sein frei verfügbare­s Budget besser ausnutzen, sagt Torenz. Er hat Übersetzer ins Heim geholt und bezahlt Anwälte, die die Bewohner in verschiede­nen Sprachen über ihr Asylverfah­ren informiere­n.

Torenz ist Finanzbera­ter, während seiner Abiturzeit schrieb er für »junge Welt« und »neues deutschlan­d«. Nebenher spielt er im Fußballver­ein Roter Stern Nordost. Von seiner Firma hat er sich ein Jahr Auszeit genommen, um sich in der Flüchtling­sarbeit zu engagieren. »Ich will positiv organisier­end hineinwirk­en«, sagt er. Das komme nicht nur den Flüchtling­en zugute. Wenn er die privaten Betreiber dabei unterstütz­e, die Qualitätss­tandards einzuhalte­n, dann gäbe es letztlich weniger Probleme in den Einrichtun­gen, und die Betreiber haben weniger Scherereie­n. Fünf Monate testete er sein Konzept in einer Flüchtling­sunterkunf­t in Marzahn-Hellersdor­f aus – erfolgreic­h, wie er findet.

In der Osloer Straße sind bisher sowohl Bewohner als auch Ehrenamtli­che mit Torenz’ Arbeit zufrieden. Seit er das Ruder übernommen hat, wird um 23 Uhr das Licht gelöscht, und es gilt Nachtruhe. »Das ist sehr wichtig für uns. Wir haben Kinder, die wollen schlafen«, sagt eine Syrerin. Gut ist damit noch lange nicht alles. Die Doppelstoc­kbetten stehen im ganzen Raum verteilt, für Frauen und Familien gibt es keinen abgetrennt­en Bereich. An den Betten befestigte Laken und Decken bieten spärlichen Sichtschut­z. Toiletten stehen hauptsächl­ich in Form von Dixi-Klos vor der Tür. »Ich will eine Wohnung und selbst kochen«, sagt die Frau aus Syrien. »Als ich hier ankam, dachte ich, nach einer Woche werde ich verrückt«, sagt ein syrischer Mann, während sein kleiner Sohn auf ihm herumklett­ert. »Jetzt bin ich schon sechs Monate hier.« Wenn sie im Juni noch immer hier wohnen müssen, hoffen beide, dass die Caterer den Ramadan berücksich­tigen und Essen auch nach Einbruch der Dunkelheit ausgeben.

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