nd.DerTag

Die Herren plaudern aus himmlische­n Höhen

Hans-Dieter Schütt hat elf »unmögliche Interviews« geführt

- Von Matthias Biskupek Hans-Dieter Schütt: Besuchen Sie mich, bin im Himmel. Elf unmögliche Interviews. Eulenspieg­el Verlag. 192 S., geb., 9,99 €.

In manchen Gegenden und Gesellscha­ften wird die InterviewF­orm etwas merkwürdig genutzt. Die jeweils Herrschend­en teilen mit, was sie zu sagen wünschen und die Redakteure suchen die dazu passenden Fragen.

Der einstige DDR-Journalist HansDieter Schütt, seit 1990 durch mindestens zwei Dutzend gescheite Interviewb­ücher ausgewiese­n, hat jene merkwürdig­e Form offenbar noch im Speicher. Nur suchte er sich für seine »elf unmögliche­n Interviews« nicht gegenwärti­ge Machthaber aus, sondern einstige Herrscher des Geistes, die in den Jahren 1805 bis 1904 verstarben, also zumeist das 19. Jahrhunder­t mit ihren Ideen bevölkerte­n.

Nach dem Geburtsjah­r geordnet (aufsteigen­d, wie es einer optimistis­chen Welt-Anschauung gebührt) handelt es sich um Friedrich Schiller (mit Goethe-Anhang), Jean Paul, Heinrich von Kleist, Charles Darwin, Robert Schumann, Richard Wagner, Georg Büchner, Theodor Fontane, Fjodor Dostojewsk­i, Arthur Rimbaud und Anton Tschechow. Oder: Ein Engländer, ein Franzose, zwei Russen, der Rest Deutsche. Oder: Keine Frau. Vielleicht hängt letzteres damit zusammen, dass man für ein solches Buch eine große Menge an Selbstauss­agen benötigt; vielleicht waren Frauen – damals – damit zurückhalt­ender. Und wie bereitwill­ig beispielsw­eise ein Richard Wagner seine sehr verschiede­nen Wahr- und Weisheiten in die Welt streute, ist ja bekannt.

Seinen Partnern (Partner? – wir könnten gleich wieder einen ganzen Essay der Infrageste­llung anfügen) stellt Schütt recht verschiede­ne Fragen. Jean Paul soll ihm zunächst er- zählen, wie sein Tag beginnt, später gerät dieses Interview mehr oder weniger zu einander bestätigen­den Aussagen. Jean Paul mag es dabei leicht fallen, auf Schütts Frage: »Welches ist ihre Freiheitsf­ahne?« herauszupl­at- zen: »Der Federkiel.« Manche Fragen ähneln jenen, die der MDR seinen Prominente­n stellt: »Was ist erhebend?«. Kleist muss dann einfach antworten: »Ein Sonnenaufg­ang, ein Choral am Morgen.«

Rimbaud, ein Pop-Künstler des 19. Jahrhunder­ts, fährt dem Interviewe­r auch mal über den Mund: »Auf Fragen und blöde und bösartige Anwürfe antworte ich lediglich mit Schweigen und zeige mich so meiner Stellung außerhalb der Gesetze würdig.« Wenn dann, quasi bestätigen­d, gefragt wird: »Sie mögen die Provinz nicht, deren Absteigen und Fuselkneip­en aber durchaus, oder?« kann der politisch unkorrekte Mensch, der mit zwanzig keine Lust mehr zum Dichten verspürte, mitteilen: »Hoch lebe die Akademie des Absumpfs, auch wenn die Kellner bösartig sind. Ein feines und zartes zitterndes Kleid, den Rausch, den dieser Salbei der Gletscher uns schenkt, ein Absumpf.«

Nicht alle Interviews sind in allen Teilen wirklich unterhalte­nd, manchmal langweilte sich der Rezensent, was er vielleicht sich selbst zuschreibe­n muss, wenn er Büchners Fort- schrittsge­danken nicht so prickelnd findet.

Bei dem mit Anmerkunge­n geizenden Büchlein ist noch eines zu vermerken: Die Quellen der Weisheiten und Sprüche, der Invektiven und länglichen Bemerkunge­n werden verschwieg­en. Gewiss könnten hartnäckig­e Googler Herkünfte finden und Kenner wüssten auch, welchen Briefen welche Zitate entnommen wurden – doch ob der Interviewe­r immer redlich abschrieb? – Wir zitieren einen Dichter des 20. Jahrhunder­ts, leider auch schon verstorben, Kurt Bartsch: »Ich schreibe nur ab und zu. / Ich schreibe von Brecht ab / Und was ich zuschreibe, stammt / Von den Expression­isten.«

Zwischen Kleists Sonnenaufg­ang und Rimbauds »Absumpf«

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