Die Herren plaudern aus himmlischen Höhen
Hans-Dieter Schütt hat elf »unmögliche Interviews« geführt
In manchen Gegenden und Gesellschaften wird die InterviewForm etwas merkwürdig genutzt. Die jeweils Herrschenden teilen mit, was sie zu sagen wünschen und die Redakteure suchen die dazu passenden Fragen.
Der einstige DDR-Journalist HansDieter Schütt, seit 1990 durch mindestens zwei Dutzend gescheite Interviewbücher ausgewiesen, hat jene merkwürdige Form offenbar noch im Speicher. Nur suchte er sich für seine »elf unmöglichen Interviews« nicht gegenwärtige Machthaber aus, sondern einstige Herrscher des Geistes, die in den Jahren 1805 bis 1904 verstarben, also zumeist das 19. Jahrhundert mit ihren Ideen bevölkerten.
Nach dem Geburtsjahr geordnet (aufsteigend, wie es einer optimistischen Welt-Anschauung gebührt) handelt es sich um Friedrich Schiller (mit Goethe-Anhang), Jean Paul, Heinrich von Kleist, Charles Darwin, Robert Schumann, Richard Wagner, Georg Büchner, Theodor Fontane, Fjodor Dostojewski, Arthur Rimbaud und Anton Tschechow. Oder: Ein Engländer, ein Franzose, zwei Russen, der Rest Deutsche. Oder: Keine Frau. Vielleicht hängt letzteres damit zusammen, dass man für ein solches Buch eine große Menge an Selbstaussagen benötigt; vielleicht waren Frauen – damals – damit zurückhaltender. Und wie bereitwillig beispielsweise ein Richard Wagner seine sehr verschiedenen Wahr- und Weisheiten in die Welt streute, ist ja bekannt.
Seinen Partnern (Partner? – wir könnten gleich wieder einen ganzen Essay der Infragestellung anfügen) stellt Schütt recht verschiedene Fragen. Jean Paul soll ihm zunächst er- zählen, wie sein Tag beginnt, später gerät dieses Interview mehr oder weniger zu einander bestätigenden Aussagen. Jean Paul mag es dabei leicht fallen, auf Schütts Frage: »Welches ist ihre Freiheitsfahne?« herauszuplat- zen: »Der Federkiel.« Manche Fragen ähneln jenen, die der MDR seinen Prominenten stellt: »Was ist erhebend?«. Kleist muss dann einfach antworten: »Ein Sonnenaufgang, ein Choral am Morgen.«
Rimbaud, ein Pop-Künstler des 19. Jahrhunderts, fährt dem Interviewer auch mal über den Mund: »Auf Fragen und blöde und bösartige Anwürfe antworte ich lediglich mit Schweigen und zeige mich so meiner Stellung außerhalb der Gesetze würdig.« Wenn dann, quasi bestätigend, gefragt wird: »Sie mögen die Provinz nicht, deren Absteigen und Fuselkneipen aber durchaus, oder?« kann der politisch unkorrekte Mensch, der mit zwanzig keine Lust mehr zum Dichten verspürte, mitteilen: »Hoch lebe die Akademie des Absumpfs, auch wenn die Kellner bösartig sind. Ein feines und zartes zitterndes Kleid, den Rausch, den dieser Salbei der Gletscher uns schenkt, ein Absumpf.«
Nicht alle Interviews sind in allen Teilen wirklich unterhaltend, manchmal langweilte sich der Rezensent, was er vielleicht sich selbst zuschreiben muss, wenn er Büchners Fort- schrittsgedanken nicht so prickelnd findet.
Bei dem mit Anmerkungen geizenden Büchlein ist noch eines zu vermerken: Die Quellen der Weisheiten und Sprüche, der Invektiven und länglichen Bemerkungen werden verschwiegen. Gewiss könnten hartnäckige Googler Herkünfte finden und Kenner wüssten auch, welchen Briefen welche Zitate entnommen wurden – doch ob der Interviewer immer redlich abschrieb? – Wir zitieren einen Dichter des 20. Jahrhunderts, leider auch schon verstorben, Kurt Bartsch: »Ich schreibe nur ab und zu. / Ich schreibe von Brecht ab / Und was ich zuschreibe, stammt / Von den Expressionisten.«
Zwischen Kleists Sonnenaufgang und Rimbauds »Absumpf«