Erst lachen, dann den Krankenwagen rufen
Ein weiterer Band mit Texten und Strichzeichnungen von Ahne: »Ab heute fremd«
Er solle mehr Geschichten erzählen, habe ihm mal ein Kollege geraten, »das würde ansonsten so zerfasern bei mir«. Dass Ahne dem sicherlich gut gemeinten Rat auch in seinem neusten Band nicht Folge leistet – seine Fans werden es ihm danken. Unter all den Berliner Lesebühnenveteranen, die längst mit selbst vollgeschriebenen Büchern im Literaturbetrieb mitspielen, ist Ahne derjenige, dessen unverwechselbare Komik genau daraus schöpft: aus dem scheinbar zusammenhanglosen Draufloserzählen, das allerdings nie lange braucht, um auch auf die brennenden Themen der Gegenwart – Flüchtlinge, Gentrifizierung, Martinsumzüge – zu sprechen zu kommen.
Wo der Witz liegt, scheint Ahne oft selber nicht zu wissen, wenn er einen Text mit der Reflexion einer x-beliebigen Situation beginnt, die ihm eben in den Sinn kommt. Als Zuhörer oder Leser seiner Assoziationseskapaden kann man aber sicher sein, dass er, der Witz, spätestens hinter der übernächsten Windung zum Vorschein kommt. Man darf sich Ahnes Hirn als Rumpelkammer vorstellen, die mit Lebenserfahrung, Weltwissen und irgendwo Aufgeschnapptem zugestellt ist. Sich vom Autor auf Irrwegen durch diesen absonderlichen Raum führen zu lassen und dabei hier und da ein unförmiges Hindernis aus dem Weg zu räumen, ist auch nach zwanzig Schreib- und Vorlesejahren noch jedes Mal ein kurioses Vergnügen.
Die Nicht-Geschichte beispielsweise, in welcher der Rat vorkommt, mehr Geschichten zu erzählen, hängt sich auf am »Nasenhaareherausziehen«, um dann über gewisse Finessen der Pigmentierung zu räsonieren, diverse Redewendungen beim Wort zu nehmen und über die Widernisse des heftigen Harndrangs auf Grundkonflikte menschlicher Zweierbeziehungen zu sprechen zu kommen. Auch die spezifische Schadenfreude der Japaner spielt auf den zwei Buchseiten eine Rolle: Sie »lachen sich häufig schlapp, läuft jemand desorientiert vor eine Laterne oder fällt in ein Loch. ›Erst lachen, dann den Krankenwagen rufen‹ ist ein altes japanisches Sprichwort. Wir Deutschen empfinden übrigens genauso, nur trauen wir uns nicht, dies auch zu zeigen. Wir sind immerzu ängstlich, alleine, nur in der Masse sind wir stark, da lachen wir gerne oder überfallen andere Länder.«
Der erste der rund fünfzig Kurztexte im neuen Band – auf der beiliegenden CD finden sich weitere – fällt allerdings aus der Reihe. Hier erzählt der Autor – für den »die Wende ein Glücksfall« war, denn: »Er wurde arbeitslos und Hausbesetzer« –, wie er in den Neunzigern über das »Erweckungserlebnis« Punk zum Bühnenliteraten wurde. Seine Ästhetik fasst er in Frageform: »Kannst du nicht wirklich singen, kannst du nicht wirklich schreiben, kannst du alles nicht wirklich, was hindert dich daran, es zu tun?« So professionell nicht-
»Nur in der Masse sind wir stark, da lachen wir gerne oder überfallen andere Länder.«
schreiben wie Ahne kann sonst allerdings keiner.
Meisterhaft auch die Krakelzeichnungen zwischen den Geschichten. Ein Kreuz im Rechteck zum Beispiel, dazu die Bildunterschrift: »ein Fenster mit Blick aufs Meer an einem nebligen Tag«. Ahne: »Etwas Richtiges wollte ich nie machen.« Gott sei Dank. Ach, apropos Gott: Auch einige von Ahnes grandiosen Zwiegesprächen mit diesem enthält das Buch. Ahne: Ab heute fremd. Texte & Strichzeichnungen. Voland & Quist. 160 S., br., mit Audio-CD, 14,90 €.