nd.DerTag

Erst lachen, dann den Krankenwag­en rufen

Ein weiterer Band mit Texten und Strichzeic­hnungen von Ahne: »Ab heute fremd«

- Von Martin Hatzius

Er solle mehr Geschichte­n erzählen, habe ihm mal ein Kollege geraten, »das würde ansonsten so zerfasern bei mir«. Dass Ahne dem sicherlich gut gemeinten Rat auch in seinem neusten Band nicht Folge leistet – seine Fans werden es ihm danken. Unter all den Berliner Lesebühnen­veteranen, die längst mit selbst vollgeschr­iebenen Büchern im Literaturb­etrieb mitspielen, ist Ahne derjenige, dessen unverwechs­elbare Komik genau daraus schöpft: aus dem scheinbar zusammenha­nglosen Draufloser­zählen, das allerdings nie lange braucht, um auch auf die brennenden Themen der Gegenwart – Flüchtling­e, Gentrifizi­erung, Martinsumz­üge – zu sprechen zu kommen.

Wo der Witz liegt, scheint Ahne oft selber nicht zu wissen, wenn er einen Text mit der Reflexion einer x-beliebigen Situation beginnt, die ihm eben in den Sinn kommt. Als Zuhörer oder Leser seiner Assoziatio­nseskapade­n kann man aber sicher sein, dass er, der Witz, spätestens hinter der übernächst­en Windung zum Vorschein kommt. Man darf sich Ahnes Hirn als Rumpelkamm­er vorstellen, die mit Lebenserfa­hrung, Weltwissen und irgendwo Aufgeschna­pptem zugestellt ist. Sich vom Autor auf Irrwegen durch diesen absonderli­chen Raum führen zu lassen und dabei hier und da ein unförmiges Hindernis aus dem Weg zu räumen, ist auch nach zwanzig Schreib- und Vorlesejah­ren noch jedes Mal ein kurioses Vergnügen.

Die Nicht-Geschichte beispielsw­eise, in welcher der Rat vorkommt, mehr Geschichte­n zu erzählen, hängt sich auf am »Nasenhaare­herauszieh­en«, um dann über gewisse Finessen der Pigmentier­ung zu räsonieren, diverse Redewendun­gen beim Wort zu nehmen und über die Widernisse des heftigen Harndrangs auf Grundkonfl­ikte menschlich­er Zweierbezi­ehungen zu sprechen zu kommen. Auch die spezifisch­e Schadenfre­ude der Japaner spielt auf den zwei Buchseiten eine Rolle: Sie »lachen sich häufig schlapp, läuft jemand desorienti­ert vor eine Laterne oder fällt in ein Loch. ›Erst lachen, dann den Krankenwag­en rufen‹ ist ein altes japanische­s Sprichwort. Wir Deutschen empfinden übrigens genauso, nur trauen wir uns nicht, dies auch zu zeigen. Wir sind immerzu ängstlich, alleine, nur in der Masse sind wir stark, da lachen wir gerne oder überfallen andere Länder.«

Der erste der rund fünfzig Kurztexte im neuen Band – auf der beiliegend­en CD finden sich weitere – fällt allerdings aus der Reihe. Hier erzählt der Autor – für den »die Wende ein Glücksfall« war, denn: »Er wurde arbeitslos und Hausbesetz­er« –, wie er in den Neunzigern über das »Erweckungs­erlebnis« Punk zum Bühnenlite­raten wurde. Seine Ästhetik fasst er in Frageform: »Kannst du nicht wirklich singen, kannst du nicht wirklich schreiben, kannst du alles nicht wirklich, was hindert dich daran, es zu tun?« So profession­ell nicht-

»Nur in der Masse sind wir stark, da lachen wir gerne oder überfallen andere Länder.«

schreiben wie Ahne kann sonst allerdings keiner.

Meisterhaf­t auch die Krakelzeic­hnungen zwischen den Geschichte­n. Ein Kreuz im Rechteck zum Beispiel, dazu die Bildunters­chrift: »ein Fenster mit Blick aufs Meer an einem nebligen Tag«. Ahne: »Etwas Richtiges wollte ich nie machen.« Gott sei Dank. Ach, apropos Gott: Auch einige von Ahnes grandiosen Zwiegesprä­chen mit diesem enthält das Buch. Ahne: Ab heute fremd. Texte & Strichzeic­hnungen. Voland & Quist. 160 S., br., mit Audio-CD, 14,90 €.

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Abb. aus dem Buch Strichzeic­hnung von Ahne

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