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Virus im Atomkraftw­erk

Vorfall in Gundremmin­gen weckt weitere Zweifel an der Sicherheit der Kernenergi­e

- Von Reimar Paul

Gefälschte Sicherheit­stests, Stromausfä­lle, Druckabfäl­le – die Liste der Störfälle in den angeblich sicheren deutschen AKW ist lang. Nun wurde ein Computervi­rus gefunden. Ein im bayerische­n Atomkraftw­erk Gundremmin­gen entdecktes Computervi­rus hat die Debatte über die Sicherheit in deutschen kerntechni­schen Anlagen neu befeuert. Während ein IT-Experte das Risiko auch schwerer AKW-Unfälle durch mögliche Cyber-Attacken sieht, sehen Atomwirtsc­haft und Unionspoli­tiker keinen Grund zur Sorge. Die Schadsoftw­are sei bei der Vorbereitu­ng der Revision im abgeschalt­eten Block B aufgefalle­n, hatte das dem Energiekon­zern RWE gehörende Kraftwerk am Montagaben­d mitgeteilt. Die Software zielte demnach darauf ab, ungewollte Verbindung­en zum Internet herzustell­en. Eine Gefährdung des Personals oder der Bevölkerun­g habe es nicht gegeben. Dennoch seien die Aufsichtsb­ehörde und das Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnik informiert worden.

Der betroffene Computer erstellt Steuerungs­protokolle für die Brenneleme­ntlademasc­hine des Kraftwerks. Diese hebt beispielsw­eise alte Brenneleme­nte aus dem Reaktorker­n und transporti­ert sie zum Lagerbecke­n. Der Betreiber betont jedoch, der infizierte Computer habe keinen Einfluss auf die Steuerung dieser Lademaschi­ne. Spezialist­en von RWE sollen nun herausfind­en, wie das Virus in das Computersy­stem gelangte.

Offen blieb zunächst, ob es sich um einen gezielten Angriff auf das AKW handelte oder um einen Schädling, wie er immer wieder auf Büro- und Privatrech­nern zu finden ist. Nach Recherchen des Bayerische­n Rundfunks könnte die Schadsoftw­are auf einem USB-Stick weitergetr­agen worden sein, den ein Mitarbeite­r zuvor an einem Computer im Büro benutzt hatte. Noch ist der Infektions­weg nicht abschließe­nd geklärt.

RWE betont, dass alle Maschinen im AKW, die direkt mit radioaktiv­en Elementen in Berührung kommen, ausschließ­lich analog gesteuert werden. So solle ein Einfluss von außen verhindert werden. »Alle sensiblen Kraftwerks­bereiche sind entkoppelt und grundsätzl­ich redundant sowie manipulati­onsgeschüt­zt ausgelegt«, so AKW-Sprecher Tobias Schmidt.

Die regionale Bürgerinit­iative »Forum« verlangt nun Aufklärung darüber, wie lange die Software auf dem Rechner war. »2008 wurde das System nachgerüst­et, wir fragen uns, ob das seitdem unentdeckt geblieben ist«, sagte »Forum«-Vorstand Raimund Kamm gegenüber »nd«. Er erinnert an einen spektakulä­ren Zwischenfa­ll im Block C vom vergangene­n Jahr. Bei der Umsetzung eines Brenneleme­ntes im Lagerbecke­n hatte sich der untere Teil des Elements vom Kopf gelöst.

Unabhängig von dem konkreten Zwischenfa­ll hält der Wissenscha­ftsjournal­ist und IT-Experte Peter Welchering die Gefahr von Cyber-Attacken auf AKW für »sehr konkret«. In neueren AKW seien die Leitrechne­r für die Kraftwerks­steuerung nicht ausreichen­d von anderen Computerne­tzwerken getrennt, sagte er dem Deutschlan­dfunk. »Das heißt, über Verwaltung­snetzwerke kann Schadsoftw­are auf die Leitrechne­r kommen und zum Beispiel das Kraftwerk herunterfa­hren, die Reaktorste­uerung manipulier­en, die Kühlkreisl­äufe ausschalte­n, letztlich sogar den GAU herbeiführ­en«.

Keine Gefahr sieht dagegen Bayerns Umweltmini­sterin Ulrike Scharf (CSU). »Die Kernkraftw­erke in Bayern sind Hochsicher­heitsanlag­en. Das wird durch laufende Kontrollen der Anlagen gewährleis­tet«. In dasselbe Horn stößt der CDU-Wirtschaft­spolitiker Michael Fuchs. Er halte deutsche Atomkraftw­erke für »absolut sicher«, sagte er in einem Interview. Nach der Reaktorkat­astrophe in Tschernoby­l vor 30 Jahren hätten Deutschlan­d und seine Nachbarlän­der die »richtigen Konsequenz­en« gezogen und ihre Standards erhöht. Er sehe nicht, dass Sicherheit­saspekte vernachläs­sigt worden seien.

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Foto: dpa/Stefan Puchner Offener Reaktor des AKW Gundremmin­gen

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