Vom »Häähh??« zum teuren Knopf im Ohr
Der Tag gegen den Lärm soll auf umweltbedingte Krankheiten des Gehörs aufmerksam machen
Krach ist nach der Luftverschmutzung der zweitgrößte Krankheitsfaktor in unserer Umwelt. Der 27. April soll unter dem Motto »So geht leise« auf schwerwiegende gesundheitliche Folgen hinweisen. Auch an Radau kann sich der Mensch gewöhnen – zumal er große Teile des Lebens dominiert: Straßenverkehr, Flughäfen, Baustellen, das elektrische Laufband vom Nachbarn, die eigene Kreissäge im Garten oder das gleichzeitige Hämmern auf zwanzig Tastaturen im Großraumbüro.
Gesundheitlich ist diese Gewöhnung alles andere als empfehlenswert, denn unabhängig von der akustischen Empfindlichkeit reagiert der menschliche Körper mit organischen Schäden auf übergroße Beanspruchung – auch dann übrigens, wenn es der Betreffende als gar nicht so belastend empfindet. Ab einer Lautstärke von 75 Dezibel wie sie beispielsweise ein Staubsauger oder ei- ne vollkommen normal befahrene Straße verursachen, wird nach Meinung der Hörgeräteakustiker bereits das Herz-Kreislauf-System gestresst. Bei 85 Dezibel Dauerbelastung seien Hörschäden kaum zu vermeiden. Das schaffen im übrigen auch eine laute Trompete oder die Musik in einem großen Festzelt. Lärmschwerhörigkeit sei eine der häufigsten Berufskrankheiten, so Dr. Weite Schramm, Gesundheitsexpertin vom TÜV Rheinland. »Die Haarzellen im Innenohr werden hierbei dauerhaft geschädigt, eine Heilung gibt es nicht«.
Am Arbeitsplatz sieht das Gesetz für den Schutz der Beschäftigten vor Lärmgefährdung das Tragen eines Gehörschutzes vor. Das gilt, wenn dauerhaft 85 Dezibel oder mehr herrschen. TÜV-Experten empfehlen den Einsatz lärmarmer Arbeitsmittel oder die räumliche Trennung von Arbeitsplätzen und Lärmquellen. Auch im Büro können abgehängte Decken, Teppiche, Vorhänge, Regale und Pflanzen dazu beitragen, lästige Geräusche abzumildern. Für die Exper- tin Schramm habe technischer Arbeitsschutz Priorität, es folgten organisatorische und schließlich persönliche Maßnahmen.
Je größer und krankmachender die Lärmbelästigung ausfällt, desto schwieriger ist es offenbar, sie zu vermeiden. Das zeigen die Auseinandersetzungen der Anwohner von Flughäfen in Hamburg, Frankfurt am Main oder Schönefeld um Flugrouten und nächtliche Flugverbotszeiten. So muss in der Nähe des Flughafens LeipzigHalle der Nachtlärm von den Triebwerken hunderter startender Frachtmaschinen hingenommen werden, das bestätigten mehrere Gerichtsurteile. Gesundheitliche Schäden seien gar nicht geprüft worden, berichtet Michael Teschke von der Interessengemeinschaft Nachtflugverbot. Er ist sicher, die Lärmgrenzwerte seien falsch und für den Gesundheitsschutz der Menschen unzureichend. Neue Studien sollen das bestätigen. Bis sie die nächtliche Betriebserlaubnis des Flughafens kippen könnten, darf weiter Krach gemacht werden.
Zu großer Form laufen am Internationalen Tag des Lärms übrigens die Hörgeräteakustiker und ihre bundesweite Vertretung auf. Sie bieten kostenlose Hörtests, Workshops in Schulen und Kurse für Auszubildende an. Die Branche kann es sich leisten, zu Lärmvermeidung und »Momenten der Ruhe« aufzurufen, ohne Angst um das Ausbleiben der Kundschaft haben zu müssen. Sie gehört zu den wenigen Profiteuren einer Krankheit, die harmlos mit einem »Häh??« beginnt und oft mit einem teuren Knöpfchen im Ohr endet. Seit zwei Jahren bezahlen die gesetzlichen Krankenkassen dafür 780 statt 420 Euro, zur Freude der Versicherten und einer Branche, die 5500 Geschäfte betreibt – doppelt so viele als Apotheken – und auf diese Weise Umsatzsteigerungen von bis zu 30 Prozent generierte. Angesichts der demografischen Entwicklung und der Gleichgültigkeit, mit der Lärm noch immer hingenommen wird, dürften diese Umsätze nicht das Ende der Entwicklung sein.