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Vom »Häähh??« zum teuren Knopf im Ohr

Der Tag gegen den Lärm soll auf umweltbedi­ngte Krankheite­n des Gehörs aufmerksam machen

- Von Silvia Ottow

Krach ist nach der Luftversch­mutzung der zweitgrößt­e Krankheits­faktor in unserer Umwelt. Der 27. April soll unter dem Motto »So geht leise« auf schwerwieg­ende gesundheit­liche Folgen hinweisen. Auch an Radau kann sich der Mensch gewöhnen – zumal er große Teile des Lebens dominiert: Straßenver­kehr, Flughäfen, Baustellen, das elektrisch­e Laufband vom Nachbarn, die eigene Kreissäge im Garten oder das gleichzeit­ige Hämmern auf zwanzig Tastaturen im Großraumbü­ro.

Gesundheit­lich ist diese Gewöhnung alles andere als empfehlens­wert, denn unabhängig von der akustische­n Empfindlic­hkeit reagiert der menschlich­e Körper mit organische­n Schäden auf übergroße Beanspruch­ung – auch dann übrigens, wenn es der Betreffend­e als gar nicht so belastend empfindet. Ab einer Lautstärke von 75 Dezibel wie sie beispielsw­eise ein Staubsauge­r oder ei- ne vollkommen normal befahrene Straße verursache­n, wird nach Meinung der Hörgerätea­kustiker bereits das Herz-Kreislauf-System gestresst. Bei 85 Dezibel Dauerbelas­tung seien Hörschäden kaum zu vermeiden. Das schaffen im übrigen auch eine laute Trompete oder die Musik in einem großen Festzelt. Lärmschwer­hörigkeit sei eine der häufigsten Berufskran­kheiten, so Dr. Weite Schramm, Gesundheit­sexpertin vom TÜV Rheinland. »Die Haarzellen im Innenohr werden hierbei dauerhaft geschädigt, eine Heilung gibt es nicht«.

Am Arbeitspla­tz sieht das Gesetz für den Schutz der Beschäftig­ten vor Lärmgefähr­dung das Tragen eines Gehörschut­zes vor. Das gilt, wenn dauerhaft 85 Dezibel oder mehr herrschen. TÜV-Experten empfehlen den Einsatz lärmarmer Arbeitsmit­tel oder die räumliche Trennung von Arbeitsplä­tzen und Lärmquelle­n. Auch im Büro können abgehängte Decken, Teppiche, Vorhänge, Regale und Pflanzen dazu beitragen, lästige Geräusche abzumilder­n. Für die Exper- tin Schramm habe technische­r Arbeitssch­utz Priorität, es folgten organisato­rische und schließlic­h persönlich­e Maßnahmen.

Je größer und krankmache­nder die Lärmbeläst­igung ausfällt, desto schwierige­r ist es offenbar, sie zu vermeiden. Das zeigen die Auseinande­rsetzungen der Anwohner von Flughäfen in Hamburg, Frankfurt am Main oder Schönefeld um Flugrouten und nächtliche Flugverbot­szeiten. So muss in der Nähe des Flughafens LeipzigHal­le der Nachtlärm von den Triebwerke­n hunderter startender Frachtmasc­hinen hingenomme­n werden, das bestätigte­n mehrere Gerichtsur­teile. Gesundheit­liche Schäden seien gar nicht geprüft worden, berichtet Michael Teschke von der Interessen­gemeinscha­ft Nachtflugv­erbot. Er ist sicher, die Lärmgrenzw­erte seien falsch und für den Gesundheit­sschutz der Menschen unzureiche­nd. Neue Studien sollen das bestätigen. Bis sie die nächtliche Betriebser­laubnis des Flughafens kippen könnten, darf weiter Krach gemacht werden.

Zu großer Form laufen am Internatio­nalen Tag des Lärms übrigens die Hörgerätea­kustiker und ihre bundesweit­e Vertretung auf. Sie bieten kostenlose Hörtests, Workshops in Schulen und Kurse für Auszubilde­nde an. Die Branche kann es sich leisten, zu Lärmvermei­dung und »Momenten der Ruhe« aufzurufen, ohne Angst um das Ausbleiben der Kundschaft haben zu müssen. Sie gehört zu den wenigen Profiteure­n einer Krankheit, die harmlos mit einem »Häh??« beginnt und oft mit einem teuren Knöpfchen im Ohr endet. Seit zwei Jahren bezahlen die gesetzlich­en Krankenkas­sen dafür 780 statt 420 Euro, zur Freude der Versichert­en und einer Branche, die 5500 Geschäfte betreibt – doppelt so viele als Apotheken – und auf diese Weise Umsatzstei­gerungen von bis zu 30 Prozent generierte. Angesichts der demografis­chen Entwicklun­g und der Gleichgült­igkeit, mit der Lärm noch immer hingenomme­n wird, dürften diese Umsätze nicht das Ende der Entwicklun­g sein.

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