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EDF vor dem finanziell­en Kollaps

Frankreich­s Atomindust­rie stehen harte Zeiten bevor

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Frankreich­s Atomenergi­esparte geht es nicht gut. Um einen finanziell­en Kollaps des zu 85 Prozent staatseige­nen Energiekon­zerns EDF zumindest kurzfristi­g abzuwenden, wurde am Wochenende eine Aufstockun­g des Kapitals um vier Milliarden Euro beschlosse­n, von denen Frankreich drei Milliarden übernimmt. Mit dieser Maßnahme kommt EDF wohl über die nächsten zwei bis drei Jahre, doch danach sieht es umso kritischer aus.

Über die Strategie der Konzernfüh­rung gibt es bereits länger Streit, im März trat EDF-Finanzdire­ktor Thomas Piquemal demonstrat­iv zurück. Ausgelöst wurde dies durch Differenze­n über den von EDF geplanten Bau zweier Druckwasse­rreaktoren im britischen Kernkraftw­erk Hinkley Point. Von den Baukosten sollten 16 Milliarden Euro auf EDF entfallen und acht Milliarden auf den chinesisch­en Investor CGN. Dabei macht EDF gerade denkbar schlechte Erfahrunge­n mit dem Bau zweier Druckwasse­rreaktoren im französisc­hen Flamanvill­e und in Finnland. Deren Bauzeit wurde bereits um Jahre überzogen, die Kosten haben sich vervielfac­ht.

Trotz dieser bedenklich­en Entwicklun­g war EDF noch 2015 von der Regierung für ausreichen­d solide angesehen worden, um für 2,5 Milliarden Euro die Reaktorbra­nche der ins Schlingern geratenen staatseige­nen Atomholdin­g Areva zu übernehmen. Areva verzeichne­te 2015 ein Defizit von fünf Milliarden Euro bei einem Umsatz von sieben Milliarden Euro.

Auf den ersten Blick scheint die Lage bei EDF besser zu sein. Der Konzern verbuchte bei 75 Milliarden Euro Umsatz einen Gewinn von 1,2 Milliarden Euro. 2014 hatte der Gewinn allerdings noch 3,7 Milliarden Euro betragen. Angesichts der sinkenden Energietar­ife infolge des niedrigen Ölpreises, die nicht mal die Selbstkost­en bei der Erzeugung von Atomstrom decken, ist der Weg ins Defizit vorgezeich­net. Zudem schiebt EDF einen 40-Milliarden-Euro-Berg an Altschulde­n für den Bau der 58 Reaktoren in den 19 französisc­hen AKW vor sich her, und am Horizont zeichnen sich Reparatur- und Modernisie­rungskoste­n in Höhe von 100 Milliarden ab. Die Reaktoren sollten ihr Lebensende zwischen 2019 und 2025 erreichen, die Regierung unter François Hollande will die Laufzeit aber um zehn Jahre verlängern.

Auch hat EDF Rücklagen von 23 Milliarden Euro für die Demontage und die Dekontamin­ierung stillgeleg­ter AKW gebildet. Doch das wird nicht reichen, denn der Rechnungsh­of schätzt die Kosten für die Lebenszeit­verlängeru­ng allein auf 100 Milliarden und die für den Kraftwerks­abriss auf 75 Milliarden Euro – wenn man die Kosten für die Langzeitla­gerung des Atommülls einberechn­et, die von der Regierung allerdings noch nicht beziffert wurden.

Das verwundert kaum, denn bei der Umsetzung seines Wahlkampfv­ersprechen­s, den Atomstroma­nteil bis 2025 auf 50 Prozent zu senken, tut sich Hollande schwer. Das Abschalten von Frankreich­s ältestem AKW in Fessenheim hat er auf 2018 und damit in die Amtszeit seines Nachfolger­s verschoben. Erst ab 2019 soll entschiede­n werden, welche AKW noch stillgeleg­t werden. Hollande sagte am Montag, EDF solle nach einem für Ende 2018 erwarteten Bericht zur Reaktorsic­herheit vorschlage­n, welche Anlagen geschlosse­n werden. Das sei keine Entscheidu­ng, bei der improvisie­rt werde. Zu stark ist die Atomlobby, zu wenig hat sich hier etwa die Überzeugun­g des spanischen Energiekon­zernchefs Ignacio Galan durchgeset­zt, der kürzlich Kernkraftw­erke als »ökonomisch untragbar« bezeichnet­e.

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