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Der lange Kampf der Tessiner Bahnarbeit­er

In Bellinzona könnte es wieder zu Streiks kommen

- Von Peter Nowak

Vor acht Jahren hatten Bahnarbeit­er die Schließung des Ausbesseru­ngswerkes in der Schweizer Stadt Bellinzona verhindert. Nun steht es erneut vor dem Aus. Das Städtchen Bellinzona im Schweizer Kanton Tessin steht für den erfolgreic­hen Kampf gegen eine Werkschlie­ßung. 2008 hatten 400 Beschäftig­te der Schweizer Bundesbahn (SBB) das von der Schließung bedrohte Ausbesseru­ngswerk besetzt. Die große Unterstütz­ung in der Region und die Entschloss­enheit der Beschäftig­ten führten nach Jahren zum Erfolg: Die SBB nahm die Pläne zurück. In einer 2013 abgeschlos­senen Vereinbaru­ng verpflicht­ete sie sich, für ein mit den Vorjahren vergleichb­ares Auftragsvo­lumen zu sorgen. Zudem sollte dem Werk eine größere Autonomie eingeräumt werden.

Nur eingehalte­n hat die SBB die Abmachung nicht, moniert Gianni Frizzo. Der UNIA-Gewerkscha­fter war 2008 als Stimme des Widerstand­s über die Schweiz hinaus bekannt geworden. Ein neuer Arbeitskam­pf scheint wahrschein­lich, nachdem die SBB ein Ultimatum der Belegschaf­t ignoriert hatte. Bis zum 15. April sollte das Unternehme­n mit konkreten Maßnahmen beweisen, dass sie die Vereinbaru­ngen künftig umsetzen wird.

In der vergangene­n Woche diskutiert­en die Beschäftig­ten auf einer Vollversam­mlung die weiteren Schritte. Die Belegschaf­tsvertrete­r sind aus dem 2013 geschaffen­en Kompetenzz­entrum ausgetrete­n, in dem strittige Fragen einvernehm­lich geklärt werden sollten. Außerdem wurde die Tes- siner Regierung aufgeforde­rt, die SBB zur Einhaltung ihrer vertraglic­h vereinbart­en Verpflicht­ungen aufzuforde­rn. Die Versammlun­g endete mit einer lautstarke­n Demonstrat­ion.

Acht Jahre nach dem letzten Streit gibt sich Frizzo kämpferisc­h: »Der Ball liegt bei der SBB. Auf unserer Seite gibt es eine große Entschloss­enheit«, beantworte­te der Gewerkscha­fter die Frage eines Fernsehrep­orters, ob die Beschäftig­ten von Bellinzona auch Kampfmaßna­hmen außerhalb ihres Betriebs vorbereite­n. Konkret wollte der Journalist wissen, ob während der Einweihung­sfeier des neuen Gotthard-Tunnels am 1. Juni Proteste geplant sind. Frizzo ließ das offen. Deutlicher wurde Ivan Cozzaglio, der 2008 Mitglied des Streikkomi­tees war. Der Metallkeil, mit dem damals die Zufahrtsgl­eise zugeschwei­ßt worden waren, passe perfekt auf die Schienen des Alpen-Transit, erklärte er.

»Die Unterstütz­ung in der Region für die Forderunge­n der Beschäftig­ten ist unveränder­t groß«, erklärt Uwe Krug gegenüber »nd«. Der in der GDL organisier­te Bahnbeschä­ftigte aus Berlin hatte im März eine Versammlun­g in Bellinzona besucht. Krug bezweifelt aber, dass ein Arbeitskam­pf wie 2008 heute in Bellinzona möglich ist. Die Basis der kämpferisc­hen Beschäftig­ten habe sich kaum erweitert. Zudem sei die Solidaritä­t in der Schweizer Bevölkerun­g bisher sehr gering. Es gebe einen Konkurrenz­kampf unter den Ausbesseru­ngswerken, so Krug.

Gewerkscha­fter im europäisch­en Ausland hingegen verfolgen die Entwicklun­g um Bellinzona mit großem Interesse – in mehreren Ländern gibt es Informatio­nsveransta­ltungen.

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