Schönspieler und Schlammcatcher
Für Pep Guardiolas Bayern ist Diego Simeones Atlético Madrid ein ganz unangenehmer Gegner
Zwei Trainer, zwei Spielphilosophien: Im Halbfinale der Champions League kommt den Abwehrkämpfern von Atlético Madrid der Ballbesitzfußball des FC Bayern München durchaus entgegen. Pep Guardiola spielt seit einigen Tagen Verstecken. Am Dienstag, beim letzten Training vor der Abreise zum Halbfinalhinspiel der Champions League bei Atlético Madrid, ließ der Trainer von Bayern München seine Spieler im Geheimen üben. Auf die sonst eher übliche Einheit in der Stadt des Gastgebers verzichtet er komplett. Auch mit dem letzten Bundesligaspiel am vergangenen Sonnabend bei Hertha BSC gab er in Sachen Aufstellung und Taktik nur Rätsel auf.
Guardiola sucht mehr denn je den Überraschungseffekt. Weil er seinen Münchner Dreijahresplan, der den Gewinn der Königsklasse mit dem FC Bayern als oberstes Ziel hat, unbedingt erfüllen will. Und weil sich dieser unbequeme Halbfinalgegner ein- fach nicht überraschen lassen will. Der FC Barcelona hat es im Viertelfinale probiert – und ist gescheitert. Auch Real Madrid verließ in der Primera División nach dem letzten Stadtderby das heimische Stadion als Verlierer.
Vom Klang des Namens und der Stärke ihrer Mannschaften, vor allem in der Offensive, sind Barça und Real durchaus vergleichbar mit dem FC Bayern. Doch in der spanischen Liga hat sich Atlético drei Spieltage vor Schluss genau zwischen die beiden Schwergewichte geschoben, punktgleich mit dem Spitzenreiter aus Barcelona und einen Zähler vor dem Erzrivalen aus der eigenen Stadt. Nur in der Trefferstatistik sind Barça (102 Saisontore) und Real (104) dem Klub aus dem Süden Madrids weit enteilt. Aber weil Atléticos große Stärke die Abwehr ist (16 Gegentore in 35 Ligaspielen), genügen den Rot-Weißen die bislang 59 erzielten Treffer.
Atlético Madrid ist besonders stark, wenn der Gegner das Spiel machen muss. Beim 1:0-Sieg im Estadio Santiago Bernabéu hatte Real 69 Prozent Ballbesitz. Der FC Barcelona kam im Viertelfinalrückspiel der Champions League sogar auf 72 Prozent, verlor trotzdem 0:2. Das schöne Spiel von Barça prallte an der taktisch nahezu perfekt organisierten und immer wieder leidenschaftlich mit zehn Mann aufgebauten Abwehrmauer einfach ab. Und wie gefährlich das eigene, schnelle Umschaltspiel nach Ballgewinnen ist, zeigte die Torschussstatistik: Atlético 6 - Barça 5.
Was die Gegner aber am meisten verzweifeln lässt, ist der schier unbändige Wille dieser Mannschaft zu kämpfen, sich selbst und den Gegner zu quälen. »Wenn ich Schlamm sehe, werfe ich mich hinein. Arbeit ist alles.« Das ist das Motto von Diego Simeone. Seit 2011 ist der Argentinier Trainer von Atlético. Seit 2011 ist der Klub wieder erfolgreich: 2012 Sieg in der Europa League, 2013 Pokalsieger, 2014 Meister und Finalist in der Champions League.
Der 45-jährige Simeone war schon als Spieler, auch im Trikot von Atlético, ein Kämpfer. Als Trainer ist er es geblieben. Er lebt es vor, seine Mannschaft folgt ihm bedingungslos. »Wir gehen in jeden Ball wie in den Tod, wie in ein Finale«, sagte Mittelfeldspieler Saúl Níguez vor der Partie gegen den FC Bayern. Sein Team beschreibt Simeone wie folgt: »Wir sind einfach ein Gruppe ehrlicher Arbeiter, da gibt es schlechtere Werte in der heutigen Gesellschaft.« Getreu dem Motto des Trainers könnte die Devise im Estadio Vicente Calderón lauten: Elf Schlammcatcher müsst ihr sein.
Die Spielweise von Atlético Madrid ist relativ ausrechenbar. Ihre Eigenschaften machen dieses Team dennoch zu einem sehr unangenehmen und unglaublich schwer zu bezwingenden Gegner. Wer weiß, wie akribisch Pep Guardiola seine Mannschaft auf jedes Spiel vorbereitet, der ahnt, wie intensiv sich der Spanier mit diesem Halbfinalduell beschäftigt haben muss. Den Vorteil, dass die Münchner Mannschaft seiner Idee des schönen Spiels und seinem Dreijahresplan bedingungslos folgt, hat auch Guardiola auf seiner Seite. »Halbfinale ist gar nichts, ich will das Finale spielen«, sagte Xabi Alonso vor der Abreise in die spanische Hauptstadt.