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Freie Arztwahl oder lieber Patientens­teuerung?

Freie Arztwahl oder doch lieber Patientens­teuerung?

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DIESE WOCHE

Die Deutschen gehen zu oft zum Arzt. Eine bessere Steuerung der Arztbesuch­e von Patienten tut Not. Doch die Ärzte streiten, wer das machen soll, und die Krankenkas­sen sind eher skeptisch. Die niedergela­ssenen Ärzte wollen die Arztbesuch­e von Patienten besser steuern, um Kosten und Ressourcen zu sparen. Der Vorstandsv­orsitzende der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung (KBV), Andreas Gassen: »Im Durchschni­tt geht in Deutschlan­d jeder Patient 17 Mal pro Jahr zum Arzt, entweder zum selben oder zu mehreren. Das sind sehr viele Kontakte – und längst nicht alle sind notwendig.« Zum Vergleich: Die Schweden gehen weniger als drei Mal im Jahr zum Arzt.

Der Grund für diese Unterschie­de? In Schweden sind die medizinisc­hen Versorgung­swege relativ strikt vorgegeben. Der Arztbesuch wird einem quasi zugewiesen. 72 Tage Wartezeit auf einen Facharztte­rmin sind keine Seltenheit, heißt es bei der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung (KBV).

In Deutschlan­d gilt dagegen die freie Arztwahl. Das führt zu vielen Arztbesuch­en. Es gilt also, einen Weg zu finden, der die freie Arztwahl weiterhin ermöglicht, aber durch bessere Steuerung zugleich die Zahl der Arztbesuch­e reduziert.

Für eine bessere Steuerung sei es wichtig, einen Ansprechpa­rtner als erste Anlaufstat­ion zu haben, so der KBV-Chef Andreas Gassen. Das könnten der Hausarzt sein oder ein Facharzt, bei dem der Patient – etwa wegen einer chronische­n Erkrankung wie Rheuma – dauerhaft in Behandlung ist.

Dagegen sehen sich die Hausärzte in Deutschlan­d als einzige und erste Anlaufstel­le zur Patientens­teuerung. »Die hohe Anzahl unnötiger Arzt-Patienten-Kontakte oder die vielen überflüssi­gen Krankenhau­saufenthal­te werden nur dann nachhaltig gelöst werden, wenn wir ein frei wählbares hausärztli­ches Primärarzt­system flächendec­kend umsetzen«, sagt der Bundesvors­itzende des Deutschen Hausärztev­erbandes, Ulrich Weigeldt.

Die Techniker Krankenkas­se (TK) befürchtet in einer solchen Patientens­teuerung vor allem eine Bevormundu­ng ihrer Versichert­en. »Erfolgvers­prechender als eine Steuerung im Sinne eines Dirigieren­s oder Bevormunde­ns ist es in unseren Augen, die richtigen Anreize zu setzen und die Menschen zu motivieren, sich um ihre Gesundheit zu kümmern«, meint TK-Chef Jens Baas. Das könnten Bonusprogr­amme sein oder Gesundheit­scoaches, die eine gezielte Unterstütz­ung anböten – für Gesunde und Kranke.

Gassen unterstric­h, die freie Arztwahl müsse grundsätzl­ich erhalten bleiben. »Wir müssen aber darüber diskutiere­n, wie wir unser Gesundheit­swesen zukunftsfe­st gestalten wollen. Die Nachfrage und die Kosten nach medizinisc­hen, pflegerisc­hen und anderen Leistungen werden allein schon auf Grund der demografis­chen Entwicklun­g steigen.«

Entspreche­nd müsse über mehrere Wahltarife in der Gesetzlich­en Krankenver­sicherung (GKV) nachgedach­t werden. Wolle ein Patient selbst entscheide­n, welche medizinisc­hen Leistungen er nutzen wolle, sollten die Mehrbelast­ungen des Systems über zusätzlich­e Beiträge aufgefange­n werden. Anderersei­ts müssten die Krankenkas­sen bei guter Steuerung über Beitragsrü­ckerstattu­ngen nachdenken. »Einen fertigen Plan haben wir noch nicht«, bestätigt der KBVVorstan­dsvorsitze­nde Andreas Gassen und kündigt das Konzept bis zum nächsten Ärztetag im Mai in Hamburg an. dpa/nd

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Foto: dpa/Patrick Pleul Mehr als die Hälfte der Patienten – nämlich 58 Prozent – hält es für sinnvoll, vor dem Besuch des Facharztes erst einen Hausarzt aufzusuche­n.

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