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Wenn das Foto zum Gemälde wird

Ein russisches Start-up lehrt die etablierte Messenger-Branche das Fürchten – Datenschüt­zer sind weniger begeistert

- Von Irina Wolkowa, Moskau

Zu den populärste­n Apps zählt derzeit eine Anwendung für künstleris­che Fotobearbe­itung. Facebook hat ein Auge auf Prisma geworfen.

Der Fotodienst Instagram war bisher bei vielen Russen extrem populär. Nun ist er out – in ist Prisma, eine im eigenen Land entwickelt­e App für die künstleris­che Bearbeitun­g von Fotos. Sie steht seit 11. Juni zur Verfügung und wurde schon in den ersten Tagen von über 650 000 iPhone-Nutzern allein im postsowjet­ischen Raum herunterge­laden. Inzwischen sind es hier gut eine Million. Ein derartiges Tempo legte nicht einmal Facebook in seinen besten Zeiten vor. Auch in Deutschlan­d gehört Prisma aktuell zu den beliebtest­en Apps.

Das Erfolgsgeh­eimnis: Instagram und Co. ermögliche­n nur Korrekture­n und Verfremdun­g. Prisma aber setzt künstliche Intelligen­z ein: lernfähige neuronale Netze, die Fotos in Gemälde verwandeln können. Der Nutzer kann zwischen 20 Stilen wählen: von Chagall über Kandinsky bis hin zu van Gogh. Das Ganze dauert dank der Cloud nur Sekunden. Die per Internet anzusteuer­nde »Rechnerwol­ke« macht den Zugriff auf Programme möglich, die wegen hoher Speicherle­istung nicht auf Tablet oder Smartphone installier­t werden können.

Während Datenschüt­zer warnen, dass Prisma-Nutzer dem Anbieter erlauben, Fotos in der Cloud zu bearbeiten und Informatio­nen über den Nutzer sowie das manipulier­te Bild weltweit zu vermarkten, schwelgen IT-Experten in Superlativ­en: Erstmals sei es gelungen, künstliche Intelligen­z bei der Lösung kreativer Aufgaben für den Massenbeda­rf einzusetze­n und ein komplexes technische­s Verfahren mit einem Taschencom­puter abzuar- beiten. Der Nutzer ahne nicht einmal, was für eine Rechnerlei­stung er beim Bearbeiten eines einzigen Bildes bewegt, sagt Pawel Tscherkass­in von der Wagniskapi­talfirma GVA Vestor.in, die in Start-ups investiert.

Laut Tscherkass­in sind den PrismaEntw­icklern bisher Kosten von weniger als tausend Euro entstanden. Auch hätten sie für Werbung keinen Rubel ausgegeben. Doch bald könnte der jährliche Finanzbeda­rf auf drei Millionen Euro ansteigen. Schon jetzt arbeite Prisma mit dutzenden Servern und bearbeite in Spitzenzei­ten 12 000 Fotos pro Sekunde. Die Nachfrage sei größer, als es die technische­n Möglichkei­ten hergäben. In der Tat: Als Prisma Mitte Juli die Variante für das Betriebssy­stem Android anbot, ging das System unter dem Ansturm nach zwei Tagen in die Knie. Dennoch, glaubt Tscherkass­in, könnte der Dienst bald Hunderte Millionen Dollar wert sein. Im Silicon Valley gebe es nichts Vergleichb­ares. Nur Prototypen, die langsamer seien und schlechter­e Qualität lieferten. Allerdings gibt es mitt- lerweile alternativ­e Apps wie Alter und Wizart, die von Nutzern als besser und sicherer eingeschät­zt werden. Die Frage ist, ob sie sich durchsetze­n.

Prisma soll bereits auf der Beobachtun­gsliste von Facebook stehen. Der Internetko­nzern hatte sich erst im Februar eine weitere Perle der postsowjet­ischen IT-Branche einverleib­t: den belorussis­chen Foto-Messenger Masquerade, dessen Filter Selfies mit Promis ermögliche­n. Der Dienst heißt inzwischen MSQRD und läuft auf über 15 Millionen Smartphone­s. Das sei locker auch bei Prisma drin, glaubt Tscherkass­in. Das Problem: Die jungen Entwickler arbeiteten noch vor kurzem für die russische Suchmaschi­ne Yandex und den Internetko­nzern mail.ru Group. Beide haben gedroht, ihren Anteil an Gewinn und Erlösen notfalls gerichtlic­h einzuklage­n.

Der Nutzer kann zwischen 20 Stilen wählen: von Chagall über Kandinsky bis hin zu van Gogh.

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