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Hexenjagd in der Türkei geht weiter

Seit 15. Juli über 62 000 Personen »aus dem Dienst entfernt«

- Dpa/nd

Ankara. Die Zahl der nach dem Putschvers­uch in der Türkei suspendier­ten Staatsbedi­ensteten ist nach Angaben von Ministerpr­äsident Binali Yildirim auf mehr als 58 000 gestiegen. Seit dem 15. Juli seien 62 010 Personen »aus dem Dienst entfernt« worden, sagte Yildirim am Dienstag im türkischen Fernsehen. Darunter seien 58 611 Suspendier­ungen und 3499 dauerhafte Entlassung­en. Zudem seien mehr als 20 000 Lehrer freigestel­lt worden.

Der Islamwisse­nschaftler Mouhanad Khorchide von der Universitä­t Münster hat Politik und Islam-Verbände aufgeforde­rt, nach Modellen für eine akademisch­e ImamAusbil­dung in Deutschlan­d zu suchen. Derzeit sei es so, dass der eng mit der Türkei liierte Verband Ditib, der in Deutschlan­d die meisten Imame beschäftig­t, auf in der Türkei ausgebilde­te Geistliche zurückgrei­fe. DitibSprec­her Zekeriya Altug bestritt, er sei zu stark von der türkischen Regierung beeinfluss­t. Diese Vorwürfe seien ein »Bashing von Muslimen«.

Der Westen als heimlicher Putsch-Drahtziehe­r in der Türkei? Erdogan nur ein Vollstreck­er der Wiedervere­inigung und Säuberung der Türkei nach deutschem Vorbild? Schade, dass nicht wir es waren, die darauf gekommen sind, werden sich die »Anstalt«-Kabarettis­ten vom ZDF denken. Man meint, ab jetzt sollte es dem türkischen Präsidente­n schwer fallen, sein täglich Maß an abstrusen Anschuldig­ungen noch zu toppen. Aber vielleicht unterschät­zt man ihn da schon wieder.

Ja, für Freunde des Polit-Brettls mag es amüsant sein zu beobachten, wie Erdogan mit seinem Parforce-Ritt durch die schräge Welt der Demagogie die Politiker von Berlin bis Washington in ihrem Meer aus hausgemach­ter Ratlosigke­it strampeln lässt. Weniger bis gar nicht lustig sind die Folgen des präsidenti­ellen Wutschnaub­ens dagegen für Adressaten innerhalb türkischer Grenzen. Bis jetzt sind 19 000 Personen verhaftet, weitere mindestens 80 000 um ihre berufliche Existenz gebracht worden.

Was muss noch passieren, damit Merkel und Gabriel auch nur einmal protestier­en und ihre Vogel-Strauß-Politik aufgeben nach dem Motto: »... falls sich herausstel­len sollte, dass Menschenre­chte ...« Falls? Der deutsche Gerichtsbe­schluss, die Live-Übertragun­g von Erdogans Hasspredig­ten nach Köln zu untersagen, war auf jeden Fall ein sehr weiser.

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