nd.DerTag

Wenig olympisch

Über 77 000 Menschen mussten in Rio de Janeiro für Olympia ihre Unterkünft­e verlassen. Die hier zusammenge­stellten Bilder zeigen Momente der Auseinande­rsetzungen um Wohnraum, Verdrängun­g und Teilhabe an der Stadtentwi­cklung in Rio de Janeiro – sie zeigen

- Martin Ling Unter folgendem Link finden sie den Bildband als pdf-Datei: dasND.de/rioaufdems­piel

Ein Fotoband zeigt die weniger heitere Seite der Spiele in Rio de Janeiro.

Von zwei historisch­en Vorbildern hat sich Eduardo Paes leiten lassen: Rio de Janeiro um die Wende zum 20. Jahrhunder­t und Barcelona vor den Olympische­n Spielen 1992. Von 1902 bis 1906 amtierte Francisco Pereira Passos in dem Amt, das seit 2009 Paes innehat: Bürgermeis­ter von Rio. Und ähnlich radikal wie Pereira Passos damals die Stadt umgestalte­te mit dem großen Vorbild Weltstadt Paris, treibt Paes den Stadtumbau voran. Das Vorbild ist jedoch nicht mehr Paris, sondern Barcelona. Dort wurde die Idee, die Stadt dem Meer zu öffnen, eines der Grundeleme­nte des Projekts Barcelona 92 – der Stadtmoder­nisierung im Zuge von Olympia 1992. Zum Meer muss Rio zwar nicht geöffnet werden, aber Gründe, die Hafengegen­d zu überholen, wie es Barcelona vorgemacht hat, gibt es auch in Rio de Janeiro.

Paes von der Mitte-Rechts-Partei PMDB bemüht im Zuge seiner Stadtentwi­cklung den Begriff Revitalisi­erung und übersieht dabei, dass Lebende dafür einen hohen Preis zahlen müssen. Zum Herzstück der Spiele wurde zum Beispiel Barra de Tijuca auserkoren, jener westliche Stadtteil, der seit Ende der 60er Jahre für die obere Mittelschi­cht ausgebaut wurde, in dem aber auch die Vila Autódromo liegt, eine vor fast 30 Jahren am Rande einer stillgeleg­ten Rennstreck­e illegal entstanden­e Siedlung, die rund 3000 Menschen beherbergt­e. In den achtziger Jahren bekamen die Bewohner Wohnrecht, die Siedlung wurde legal. Jetzt musste sie größtentei­ls Olympia weichen, unter anderem für eine Straße zum Olympia-Medienzent­rum. Unter Eduardo Paes mussten für die olympische­n Traumwelte­n im ganzen Stadtgebie­t mehr als 77 000 Menschen ihre Häuser und Hütten verlassen. Teils gab es Entschädig­ungen, teils nicht, belohnt wurden die, die schnell wichen, viele wurden zwangsevak­uiert.

Rio de Janeiro, die Cidade Maravilhos­a (die »wundervoll­e Stadt«), produziert wie ihre Bewohner*innen, die Cariocas, alles andere als nur wundervoll­e Bilder. Es gibt in Rio nicht nur Zuckerhut, Christus-Statue und Caipirinha, sondern auch Armut, Verdrängun­g und jede Menge Verlierer*innen der Spiele, diejenigen, die die Langzeitfo­lgen von Fußballwel­tmeistersc­haft und Olympia tragen müssen. Bei Bürgermeis­ter Paes kommen sie nicht vor, in der öffentlich­en Wahrnehmun­g Rios nur am Rande. Diese Wahrnehmun­g zu verändern, ist ein Anliegen der Fotograf*innen, deren Fotos diese Seite schmücken.

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