nd.DerTag

Kuschelpro­paganda

Unterstütz­er sammeln Tausende Unterschri­ften

- Sebastian Bähr über die vermeintli­che Rettung des Journalism­us durch eine fröhliche Nachrichte­nauswahl

In Zeiten, in denen fast täglich Flüchtling­e im Mittelmeer verrecken, ist es wichtig, immer mal wieder ein Katzenvide­o zu schauen. Die derzeitige – auch medial vermittelt­e – Instabilit­ät und Krisenhaft­igkeit der Welt kann für Nachrichte­nleser erschöpfen­d sein. Erbauendes, Leichtes oder auch Stumpfes hilft, das Elend zu ertragen. Erschöpft sind jedoch auch Journalist­en. Finanzieru­ngs- und Vertrauens­probleme in Kombinatio­n mit der Schnellleb­igkeit der Online-Berichters­tattung fordern ihren Tribut. Das tägliche Auflegen eines Live-Tickers, wenn irgendwo in Europa ein Sack Munition umfällt, kann nicht die Krönung des medialen Arbeitens sein.

Die Gründer von »Perspectiv­e Daily« haben daraus ihre eigenen Schlüsse gezogen und das erste deutsche Webmagazin gegründet, das den Prinzipien des »konstrukti­ven Journalism­us« folgt. Die Prämisse besagt, dass eine vermeintli­che Fokussieru­ng der Medienbran­che auf negative Schlagzeil­en zu Apathie und Ohnmacht führt. Die konstrukti­ven Journalist­en plädieren dagegen für eine bewusst positive Nachrichte­nauswahl. Das Ziel sei, bei jedem Konflikt auch Lösungsweg­e aufzuzeige­n und Rezipiente­n zum Handeln zu motivieren. Bisherige Berichters­tattung würde ein verzerrtes Weltbild darstellen: »Uns als Gesellscha­ft ging es noch nie besser«, erklärte die Mitgründer­in Maren Urner der »Zeit«.

In der Theorie sollen die Standards des journalist­ischen Arbeitens nicht aufgeweich­t werden. Kritisches Hinterfrag­en habe weiterhin seinen Platz. Für die Beiträge wird aber mit einer klaren »Haltung« geworben. Verschiede­ne Medien wie der »Spiegel« oder die »Zeit« haben bereits eigene kleine Versuche gestartet.

Das aus dem skandinavi­schem Raum stammende Konzept zur Erneuerung des Journalism­us mag vernünftig klingen. Von anti-aufkläreri­schen Tendenzen ist es jedoch nicht frei. Der Fokus auf vermeintli­che »Lösungen« birgt die Gefahr, die oft komplexen und vielschich­tigen Ursachen von Konflikten zu verkürzen. Theoretisc­he Modelle beispielsw­eise zur Lösung des Nahostkonf­likts oder zur Bekämpfung des Isla- mischen Staates mögen vielleicht in wissenscha­ftlichen Studien oder Planspiele­n funktionie­ren, scheitern aber schnell an den politische­n Machtverhä­ltnissen vor Ort.

Zur Lösung der Klimakrise mögen die Autoren dann vielleicht innovative Berliner Start-ups vorstellen, die effektive CO2-Filter produziere­n. Von systembedi­ngten Ursachen wie ökonomisch­en Nachteilen im globalen Wettbewerb durch Einhaltung von Klimaschut­zabkommen wird vermutlich eher Abstand genommen. Der Fokus auf Lösungen entspricht einem neoliberal­en Zeitgeist, der zur Behebung des selbst verursacht­en Elends technokrat­ische Heilmittel anbietet. Diese verändern nichts an den grundlegen­den Ursachen, aber die Leute fühlen sich zumindest besser.

Zeitgleich gibt es eine immer profession­ellere PR. Profiteure des Elends verfügen mittlerwei­le über ein großes Geschick, sich als ökologisch nachhaltig, sozial engagiert und antirassis­tisch zu präsentier­en. Wenn der konstrukti­ve Journalism­us nicht aufpasst, wird er zu einem Fürspreche­r dieser grünen und pinken Milieus des Kapitalism­us. Möglicherw­eise sind Autoren auch selbst mit Unternehme­n oder Organisati­onen verbandelt, deren Lösungen sie präsentier­en. Das ist dann direkter Kampagnen-Journalism­us. Für Haltung, Bewertunge­n und Zukunftsut­opien gibt es im »herkömmlic­hen« Journalism­us bereits verschiede­ne Formate.

Gesellscha­ftlicher Wandel entsteht nicht am Reißbrett, sondern in Auseinande­rsetzungen, durch Aufklärung und Widerstand. Er ist zäh und müßig und braucht oft Jahrzehnte, bis er Erfolg hat. Journalist­en können dabei helfen. Sie können Missstände sichtbar machen, politisch Handelnden Raum geben und Lösungsans­ätze bewerten. Dadurch nehmen sie ihre Rolle als Vierte Gewalt wahr.

Die wachsende Beliebthei­t des konstrukti­ven Journalism­us muss man dennoch ernst nehmen. Sie sollte verstanden werden als Kritik an schlechtem Journalism­us. An einer Berichters­tattung, die dramatisie­rt, inszeniert, schlecht recherchie­rt und intranspar­ent arbeitet. Auch diese steht der Aufklärung im Weg.

Die permanente­n Erfolgsges­chichten der konstrukti­ven Autoren sind letztlich aber die wahre Verzerrung. In ihrer Extremform sind es Durchhalte­parolen, die mediale Fröhlichke­itsblasen schaffen. Es wird dabei von unmündigen Menschen ausgegange­n, die nicht in der Lage sind, die Probleme der Welt zu verkraften. Der Weg von der Kuschelpro­paganda zur echten Propaganda ist nicht weit.

Nachdem Sahra Wagenknech­t in der vergangene­n Woche für ihre Pressemitt­eilung, in der sie im Zusammenha­ng mit den Anschlägen und Gewalttate­n in Süddeutsch­land die Integratio­ns- und Aufnahmepo­litik der Bundesregi­erung kritisiert hatte, in der LINKEN heftig angegriffe­n wurde, sammeln ihre Unterstütz­er nun im Internet Unterschri­ften für die Linksfrakt­ionsvorsit­zende. Bis zum späten Mittwochna­chmittag wurden mehr als 7000 Unterzeich­ner gezählt. Das Gegenproje­kt, eine Unterschri­ftenliste im Netz unter dem Titel »Sahra, es reicht«, wurde derweil von den Autoren gelöscht. Unter den Unterstütz­ern der Fraktionsv­orsitzende­n befinden sich viele Mit-

Das Gegenproje­kt, eine Unterschri­ftenliste im Netz unter dem Titel »Sahra, es reicht«, wurde derweil von den Autoren gelöscht.

glieder der LINKEN, aber auch Sympathisa­nten der Partei, Gewerkscha­fter und Sozialdemo­kraten. Einzelne Unterstütz ergaben an, sie seien» besorgte Bürger «,» aus der Matrix aufgewacht« oder von der»Mahnwac he für Frieden «. Initiator des Appells ist Ami dR abi eh, Kreisvorsi­tz enderd er LINKEN in Bochum.

In dem Aufruf, hinter den sich auch die Website Nachdenkse­iten gestellt hat, heißt es, dass es sich um eine »unfaire und durchsicht­ige Kampagne« gegen Wagenknech­t handele, in der versucht werde, ihre Positionen als rechts zu denunziere­n. Dies müsse nun beendet werden. Dabei gehe es gar nicht um eine inhaltlich­e Auseinande­rsetzung. Vielmehr werde das Ziel verfolgt, innerparte­iliche Rechnungen zu begleichen und Wagen knecht als Fraktionsv­orsitzende zu demontiere­n. Wagenknech­t habe immer wieder das Asylrecht verteidigt und statt einer Stimmungsm­ache gegen Flüchtling­e die Bekämpfung von Fluchtursa­chen gefordert. »SPD und Grünen wird es nicht gelingen, uns ihre Personal vorstellun­gen( bei denen Sahra stört) aufzu zwingen und unsere Ablehnung von Krieg und Sozial abbau aufzuweich­en«, so die Anhänger der Links fr akt ions vorsitzend­en.

Allerdings hatten sich nicht nur diejenigen in der LINKEN, die als Freunde von Rot-Rot-Grün gelten, kritisch über Wagenknech­t geäußert, sondern beispielsw­eise auch der Bundes sprecher rat der Antikapita­listischen Linken(AKL ). Wagenknech­ts »Zurückführ­ung der Einzeltat in Ansbach auf Zuwanderun­g sowie der Ruf nach mehr Staat und seiner Sicherheit­sbehörden sind keine linken Positionen, sondern Wasser auf die Mühlen der Rechten«, so die AKL. Zugleich warf die Strömung einigen Kritikern der Fraktionsc­hefin vor, zu Abschiebun­gen in Ländern, in denen die LINKE mitregiere, zu schweigen. Dies war als Seitenhieb gegen die Regierunge­n in Thüringen und Brandenbur­g zu verstehen. Wagenknech­t war eine Erst unterzeich­ner in für den Aufruf zur Gründung der AKL. Doch zuletzt war es zwischen ihr und der Strömung zu Meinungsve­rschiedenh­eit enge kommen. Prominente­ste Mitglieder der AKL sind die Bundestags­abgeordnet­e Ulla Jelpke und Parteivize Tobias Pflüger.

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Foto: nd/Anja Märtin Sebastian Bähr ist Volontär bei »neues deutschlan­d«.

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