Boulevardpolitik
Am Mittwoch stand Ismail Özen vor einem Dilemma. Als der Hamburger Profiboxer die Presse vor das örtliche Justizgebäude rief, sollte nicht er im Mittelpunkt stehen. Er wollte Öffentlichkeit für einen 58-Jährigen, der dort als vermeintlicher Funktionär der verbotenen PKK zu drei Jahren Haft verurteilt wurde – und für die Lage in der Türkei, wo nicht erst seit dem Putschversuch der Krieg gegen die Kurden eskaliert. Doch droht seine Persönlichkeit, gerade das zu hintertreiben.
Denn Özen, 1981 in HamburgAltona geboren, ist einer der schillerndsten Vertreter seines Standes. Sportlich – seit 2009 »Internationaler Deutscher Meister« im Supermittelgewicht, 14 Kämpfe, elf KO-Siege – ist er zwar nicht der Allergrößte. Markant ist seine Biografie zwischen Kiezmilieu, Boxring, einer Nebenrolle in der Vorabendserie »Großstadtrevier« und den Promirubriken auch weniger wegen ihres Boulevardfaktors. Wenngleich die Gazetten sich zuletzt überschlugen, als ihm die Versandhauserbin Janina Otto das Jawort gab, angeblich gegen Widerstand aus ihrer Familie.
Das Besondere an Özen ist eine politische Haltung, die er noch nie verschwiegen hat. Der Mann, der sich als »türkischer Herkunft« vorstellt, nennt Selahattin Demirtaş seinen Freund, den Chef der »prokurdischen« Partei HDP in der Türkei. Dafür bekommt er Mord- drohungen. Auch bei dem jüngst gegen ihn ergangenen Haftbefehl geht es nicht um die Sorte von Kiezvergehen, mit denen er früher Schlagzeilen machte. Nun verfolgt ihn der türkische Staat: Der Erlös kürzlich versteigerter Boxhandschuhe sei nicht, wie Özen sagt, an Bedürftige gegangen, sondern an »Terroristen«.
Özen weiß, wie es ist, wenn die große Kanone droht. Sein Eintreten für Demokratie, Menschenrechte und die kurdische Sache – vor dem Gericht und bei einer Kundgebung am türkischen Generalkonsulat – ist nicht aufgesetzt. Doch wird sich erst am heutigen Donnerstag zeigen, ob die Wirkung seiner Boulevardpolitik über das hinausreicht, was »Bild« schon am Mittwoch im Internet lieferte: »Janina Ottos Boxer bei Demo gegen Erdogan.«