In Erdogans Diensten
Der Religionsverein Ditib verliert in Deutschland seinen staatlichen Vertrauensvorschuss
Während Präsident Erdogan in der Türkei gegen vermeintliche Gegner vorgeht, warnen in Deutschland Kritiker vor seinen Gehilfen in der Diaspora. Genannt wird hier immer wieder der Verein Ditib. Bekir Alboğa ist ein umgänglicher Mann, einer, mit dem man reden kann. Er ist belesen und bereit zu differenzieren. »Denn die Seele freut sich über Ihre und eure freundliche Stimme«, so fügt er der Mitteilung einer neuen Telefonnummer seine blumigorientalische Einladung zum Telefonieren an. Bekir Alboga ist Islamwissenschaftler, seine Mission seit Jahren der interkulturelle Dialog. Als nach dem 11. September 2001 – Angriff auf das World Trade Center in New York – und den ersten Anschlägen auch in Europa einige Jahre später die islamischen Vereine in Deutschland zunehmend unter Druck gerieten, weil sie sich weigerten, den misstrauischen öffentlichen Aufforderungen zur Distanzierung nachzukommen, als sie trotzig darauf verwiesen, dass Christenkirchen sich auch nicht entschuldigen für die Verbrechen von Christen – da war Alboga bereit, seine Friedensliebe zu beteuern.
Derzeit aber zieht Bekir Alboga alle Ablehnung auf sich, die die Debatte über deutsch-türkische Beziehungen hervorzubringen vermag. Besser gesagt, sein Verein zieht sie auf sich. Denn der Mann ist Generalsekretär der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion, kurz Ditib. In der »Süddeutschen Zeitung« war zu lesen, bei Ditib handele es sich gewissermaßen um die »Schnittstelle des gegenseitigen Nichtverstehens«.
Ditib ist der mitgliederstärkste Dachverband von Moscheen in Deutschland, vertritt rund 900 Moscheevereine mit 150 000 Mitgliedern, vor allem Türken. Ditib selbst behauptet, 70 Prozent der Muslime in Deutschland zu vertreten. Kritiker werfen ihm jedoch vor, der verlängerte Arm der türkischen Religionsbehörde Diyanet zu sein. Diese entsende Mitglieder in die Beiräte des Vereins, der amtierende Diyanet-Präsident sei auch Vorsitzender des zentralen Beirates. Die Behörde nehme Einfluss auf Personalentscheidungen.
Doch vermischt wird geflissentlich Ursache und Ergebnis. Die Tatsache, dass die Mehrheit der Gemeindemitglieder, die in erster Linie Besucher von Gebetsräumen sind, der Politik des türkischen Staates folgen, wird als Ergebnis staatlicher Einflussnahme behandelt. Es dürfte eher umgekehrt die Mehrheit der türkischen Gläubigen in Deutschland sich der Türkei und ihrer Politik verbunden fühlen und deshalb in die entsprechenden Moscheen gehen. Fast 60 Prozent der in Deutschland lebenden Türken ha- ben bei der jüngsten Wahl die AKP gewählt; dass dies zu großen Teilen auch Besucher der Ditib angeschlossenen Moscheen sind, ist bei einer zunehmenden Religiosität der türkischen Diaspora zu vermuten. Einer Studie der Universität Münster zufolge stimmten 47 Prozent der Türken in Deutschland der Aussage zu, dass die Gesetze des Islam wichtiger seien als die des Staates, in dem sie leben. Die Hälfte der Befragten gab zugleich an, sich als Bürger zweiter Klasse zu fühlen.
Beunruhigende Erkenntnisse unter anderem für Integrations-, Bildungs- oder Kommunalpolitiker; diskutiert wurden sie jedoch öffentlich nur unter dem Aspekt der Sicherheitspolitik. Fakt ist: Ditib verfügt mit den angeschlossenen Moscheen über einen großen Einfluss innerhalb der türkischen Gemeinde in Deutschland. Die Imame in den Moscheen werden in der Türkei ausgebildet, von der Türkei eingesetzt und verlassen Deutschland nach ihrem Einsatz auch wieder in Richtung Türkei.
Mit den zunehmenden Spannungen zwischen Ankara und den EUStaaten glimmt hier ein Unruheherd. Als der Bundestag die umstrittene Resolution zum Völkermord an den Armeniern zu Beginn des letzten Jahrhunderts beschlossen hatte, lud Ditib Nord die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz, aus – man könne nicht für ihre Sicherheit garantieren.
Ankara nehme über seine Imame direkt Einfluss auf die türkische Diaspora in Deutschland, kritisiert die Sprecherin für Internationale Beziehungen der LINKEN im Bundestag, Sevim Dagdelen. Es habe zudem nichts mit Religionsfreiheit zu tun, »wenn die Texte der Freitagspredigten von regionalen Religionsräten erarbeitet werden, an denen ein Mitarbeiter des jeweiligen türkischen Konsulats beteiligt ist«. Der Vorsitzende der Grünen Cem Özdemir warnt vor dem Einfluss von Ditib auf den Religionsunterricht an deutschen Schulen. Ditib gehe es »in erster Linie um Politik und nicht um Re- ligion«, sagte Özdemir der »Bild«-Zeitung. Er spricht von »Erdogan-Staatsbürgerkunde unter dem Deckmantel der Religion«.
Einige Bundesländer führen mit Ditib Verhandlungen über Staatsverträge, Bremen und Hamburg haben solche bereits geschlossen. Es geht dabei zwar nicht um Kirchensteuern, die der Staat für die christlichen Kirchen bekanntlich erhebt. Es geht um Religionsunterricht an den Schulen oder die Ausbildung der Imame, es geht um Gebetsräume an Schulen, Sitze in Rundfunk- und Fernsehräten. Bekir Alboga könnte dies als Erfolg seines langjährigen Werbens feiern, mit den christlichen Kirchen gleichgestellt zu werden. Doch der Erfolg scheint soeben zu kippen. Unter dem Eindruck sich häufender Meldungen über Drohungen unter dem Dach von Ditib gegenüber Erdogan-Kritikern werden die Gespräche in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen auf Eis gelegt.