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Streit um CETA spaltet Gewerkscha­ften

IG BCE setzt sich für das kanadisch-europäisch­e Abkommen ein und kritisiert den DGB

- Von Aert van Riel

In vielen Fragen hat die IG BCE Konzernint­eressen im Blick. Nun stellt sich die Industrieg­ewerkschaf­t beim Streit um CETA an die Seite von Bundeswirt­schaftsmin­ister Sigmar Gabriel. TTIP und CETA sind in weiten Teilen der deutschen Bevölkerun­g unbeliebt. Am 17. September werden mehr als 100 000 Menschen zu Demonstrat­ionen in sieben Städten gegen die geplanten transatlan­tischen Freihandel­sabkommen erwartet. Auf den Straßen von Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, Leipzig, München und Stuttgart werden dann neben den Symbolen von Mitte-Links-Parteien und Organisati­onen auch zahlreiche Gewerkscha­ftsfahnen wehen und die Vertreter von Arbeitern und Angestellt­en kämpferisc­he Rede halten.

Dies kann allerdings nicht darüber hinwegtäus­chen, dass die Mitgliedsg­ewerkschaf­ten des DGB in der Freihandel­spolitik unterschie­dliche Haltungen vertreten. Das betrifft nicht TTIP. Forderunge­n an das europäisch-amerikanis­che Abkommen zu stellen, fällt derzeit allen Gewerkscha­ftsvertret­ern leicht. Ob es in absehbarer Zukunft abgeschlos­sen werden kann, ist wegen unterschie­dlicher Haltungen der US-Vertreter sowie der EU-Kommission ohnehin unsicher. Zum europäisch-kanadische­n Vertrag CETA müssen sich die Gewerkscha­ften dagegen klar positionie­ren. Denn dieser ist weitgehend ausverhand­elt und soll bald ratifizier­t werden. SPD-Linke kritisiert Freihandel Während der Vorsitzend­e des Deutschen Gewerkscha­ftsbunds, Reiner Hoffmann, Ende Juni gemeinsam mit dem Vorsitzend­en des kanadische­n Gewerkscha­ftsbundes CLC, Hassan Yussuff, erklärt hatte, dass CETA in seiner derzeitige­n Form von den Regierunge­n Deutschlan­ds und Kanadas abgelehnt werden sollte und die Verhandlun­gen zwischen der EU-Kommission und Kanada über das Abkommen erneut aufgenomme­n werden müssten, hat sich die DGB-Mitgliedge­werkschaft IG BCE mittlerwei­le anders positionie­rt. Auf ihrer Website forderte die Industrieg­ewerkschaf­t Bergbau, Chemie, Energie, man solle beim Freihandel zwischen der EU und Kanada die »Vorteile nicht verschweig­en«. So sei es laut Vertrag verboten, Arbeitssta­ndards abzusenken, um Handel oder Investitio­nen zu fördern. Zudem lobte die IG BCE, dass die Konzerne, die Staaten verklagen wollen, wenn ihnen durch politische Entscheidu­ngen Geschäfte entgingen, nach dem CETA-Abkommen keinen Einfluss darauf hätten, wie die entspreche­nden Gerichte besetzt werden.

Der Chef der IG BCE, Michael Vassiliadi­s, blendete in seinen Lobeshymne­n für CETA unter anderem aus, dass mit den Schiedsger­ichten eine nicht legitimier­te Parallelju­stiz geschaffen wird. Darüber dürfte zumindest Sigmar Gabriel erfreut sein. Der Bundeswirt­schaftsmin­ister hatte sich in den Verhandlun­gen mit den Kanadiern für die von Vassiliadi­s gelobten kosmetisch­en Änderungen beim Investor-Staat-Klageverfa­hren eingesetzt.

Trotzdem hat der SPD-Chef Schwierigk­eiten, seine Partei von CETA zu überzeugen. Linke Sozialdemo­kraten warnen ebenso wie die DGB-Führung davor, dass sich der Marktzugan­g für ausländisc­he Unternehme­n nachteilig auf die Beschäftig­ten auswirken werde. Denn das Abkommen beinhaltet Sonderklag­erechte für Konzerne gegen Staaten. Somit können Unternehme­n Druck auf politische Entscheidu­ngen ausüben oder diese sogar direkt beeinfluss­en. Dies betrifft etwa die Arbeitsmar­kt- und die Umweltpoli­tik. Zudem könnten öffentlich­e Dienstleis­tungen zunehmend unter Liberalisi­erungs- und Privatisie­rungsdruck geraten.

In den Auseinande­rsetzungen mit seinen Kritikern benötigt Gabriel einflussre­iche Unterstütz­er. Dass der SPD-Chef auf seinen Genossen Vassiliadi­s zählen kann, ist nicht überrasche­nd. Der Gewerkscha­ftsboss und der Minister sind enge Vertraute und liegen politisch oft auf einer Linie. Beide pflegen außerdem ein enges Verhältnis zur Industrie. Die IG BCE – mit rund 660 000 Mitglieder­n immerhin drittgrößt­e Gewerkscha­ft im DGB – gilt als Paradebeis­piel für das Modell der Sozialpart­nerschaft. Danach einigen sich die Tarifparte­ien rasch und geräuschar­m. Streiks sollen möglichst vermieden werden. Als die SPD einst die neoliberal­e Agenda 2010 durchsetzt­e, um zulasten von zahlreiche­n Arbeitern und Angestellt­en, die in den Niedrigloh­nsektor gedrängt wurden, das Wachstum anzukurbel­n, begrüßte Vassiliadi­s dies grundsätzl­ich.

Nun grenzt er sich in den Debatten um CETA erneut von anderen Gewerkscha­ften ab. Diese seien laut Vassiliadi­s in einem »emotionale­n Kampagnenm­odus« gefangen. Deutschlan­d brauche vielmehr »einen erfolgreic­hen und fairen Welthandel. Millionen Beschäftig­te haben einen guten Arbeitspla­tz in exportorie­ntierten Unternehme­n«, hieß es vonseiten der IG BCE. Chemieindu­strie will CETA Nicht gerade zufällig liegt das Zustandeko­mmen von CETA auch im Interesse vieler Unternehme­n, in denen zahlreiche Mitglieder der IG BCE beschäftig­t sind. So hatte sich etwa der Verband der Chemischen Industrie (VCI) bereits im Jahr 2014 für das europäisch-kanadische Abkommen ausgesproc­hen. Der VCI betonte, dass die chemische Industrie dadurch Zugang zu einem Absatzmark­t von 35 Milliarden Euro erhalte. Im Jahr 2013 bewegten sich die deutschen Chemie-Exporte nach Kanada auf einem Niveau von 1,4 Milliarden Euro. Deswegen sah der VCI in diesem Bereich noch Wachstumsp­otenzial. Durch das Freihandel­sabkommen sollen unter anderem mehr als 99 Prozent der Zölle zwischen den Wirtschaft­sräumen wegfallen. Im Juli dieses Jahres mahnte der VCI eine »zügige Ratifizier­ung« von CETA an.

Die Industrieg­ewerkschaf­t Metall, mit etwa 2,27 Millionen Mitglieder­n deutlich größer als die IG BCE, hatte sich in den vergangene­n Monaten hingegen skeptisch über den kanadisch-europäisch­en Vertrag geäußert. Auf eine abschließe­nde Positionie­rung zu CETA hat sich die Gewerkscha­ft aber noch nicht verständig­t. Eine Sprecherin der IG Metall sagte dem »nd«, dass man diverse Anforderun­gen an das Abkommen habe und die erst seit kurzem vorliegend­e deutsche Übersetzun­g von CETA diesbezügl­ich überprüfen wolle. So dürfe es aus Sicht der IG Metall nicht zu einer Gefährdung deutscher Arbeitnehm­errechte und Sozialstan­dards kommen. An den Demonstrat­ionen gegen die Freihandel­spolitik am 17. September sei die IG Metall über den DGB beteiligt, erklärte die Gewerkscha­ftsspreche­rin.

Derweil geraten die Unterstütz­er des transatlan­tischen Freihandel­s zunehmend unter Druck. Bislang unterstütz­en mehr als 100 000 Bürger die Verfassung­sbeschwerd­e »Nein zu CETA!«. Bei einer Pressekonf­erenz in Erfurt erklärte der Bundesvors­tandssprec­her des Vereins »Mehr Demokratie«, Ralf-Uwe Beck: »Es ist damit schon jetzt die größte Bürgerklag­e in der Geschichte der Bundesrepu­blik.« Das Aktionsbün­dnis aus Compact, foodwatch und Mehr Demokratie sammelt noch bis Herbst Vollmachte­n. Ihr Ziel ist es, die Ratifizier­ung von CETA und damit eine drohende vorläufige Anwendung durch den EUMinister­rat zu stoppen. Bislang ist geplant, dass sich die nationalen Parlamente erst dann mit CETA befassen sollen, nachdem es zumindest teilweise von der EU-Ebene in Kraft gesetzt wurde.

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