Wieder: Einsatz mit Todesfolge
Aus den Unruhen des Herbstes 2005 in Frankreich hat die Polizei keine Lehren gezogen
Ein neuer Fall von Tod im Polizeigewahrsam bewegt die französische Öffentlichkeit. Offenbar haben die Behörden aus der Vergangenheit wenig bis nichts gelernt. Es hatte angefangen wie so oft: Am Abend des 19. Juli fuhr in einer Sozialwohnsiedlung von Beaumont-surOise nahe Paris ein Auto der Gendarmerie vor. Die Gendarmen wollten Lassana Traoré verhaften, der wegen Erpressung gesucht wurde, der auf die Verhaftung gefasst war und keinen Widerstand leistete.
Doch Lassanas unbeteiligter 24jähriger Bruder Adama geriet in Panik und suchte das Weite. Die Gendarmen holten ihn ein und legten ihm Handschellen an. Da ihn die versuchte Flucht verdächtig gemacht hatte, verfrachteten sie ihn in ihren Kleinbus und nahmen ihn ins Revier mit. Als er dort ankam, war er tot. Die amtliche Erklärung kam auffällig schnell: Der Jugendliche habe eine unerkannte Herzkrankheit gehabt, an der er wohl unter dem Schock der Verhaftung plötzlich verstorben sei.
Doch die Jugendlichen in Beaumont und in den umliegenden Orten glaubten davon kein Wort. Sie reagierten auf das, was die Eltern, deren Anwalt und auch einige Kommunalpolitiker für einen »polizeilichen Übergriff mit Todesfolgen« halten, mit Krawallen, brennenden Autos und Mülltonnen sowie gewalttätigen Zusammenstößen mit den vor Ort geschickten Polizisten.
So ging das Nacht für Nacht, mehr als eine Woche lang. Als die Eltern und die Stadtverwaltung zur Entspannung der Lage zu einem friedlichen Gedenkmarsch aufriefen, verboten die Behörden das mit Hinweis auf den anhaltenden Ausnahmezustand und gossen damit nur neues Öl ins Feuer. Aber auch das Verhalten der Staatsanwaltschaft bringt die Bevölkerung auf. Wegen der Zweifel an der ersten Obduktion wurde von der Justiz eine zweite veranlasst, die Staatsanwalt Yves Jannier zufolge dasselbe Ergebnis brachte. Doch eine dritte, die von der Familie gefordert wird, hat die Justiz abgelehnt.
Jetzt haben Enthüllungen der Medien deutlich gemacht, was hinter dem Lavieren der Sicherheitsorgane und der Justiz steckt.
Ganz offensichtlich hat Staatsanwalt Jannier nicht die ganze Wahrheit gesagt und aus den vorliegenden Obduktionsberichten nur das zitiert, was zu seiner Darstellung passte. Auch wurde jetzt die Aussage der Gendarmen bekannt, die Adama Traoré festgenommen und begleitet haben: Sie hätten sich unterwegs zu dritt mit ihrem ganzen Gewicht auf den Jugendlichen gekniet, um ihn »ruhigzustellen«.
Erst jetzt durch die Medien wurde publik, was die Obduktionen von Anfang an erbracht hatten: Adama Traoré ist erstickt. Das deckt sich mit den Worten der Gendarmen. Weil hier offensichtlich ein grobes Fehl- verhalten der Ordnungskräfte vertuscht werden sollte, wird die Forderung immer lauter, eine amtliche Untersuchung der Polizeiaufsichtsbehörde IGPN einzuleiten. Die Eltern des Opfers haben Anzeige gegen Unbekannt wegen »fahrlässiger Tötung« erstattet.
Die Reaktionen in der Öffentlichkeit und in den Medien auf den Fall sind heftig, denn er erinnert an einen ähnlichen im Herbst 2005, als sich zwei unbescholtene Jugendliche auf der Flucht vor einer Polizeirazzia in einem Transformatorgebäude versteckt hatten und dabei durch Stromschlag ums Leben kamen. Das hatte seinerzeit zu wochenlangen Unruhen in Problemvororten in ganz Frankreich geführt.
Heute muss eingeschätzt werden, dass daraus keine Schlussfolgerungen gezogen wurden und dass von den versprochenen Verbesserungen für die Lage der Jugend in den Vororten bis heute nichts ernsthaft in Angriff genommen wurde.