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Von wegen toter Briefkaste­n

Trotz E-Mail und Twitter sind die gelben Postbehält­er gefragt – ein Bericht aus Niedersach­sen

- Von Ralf E. Krüger, Hannover dpa/nd

Auch in Zeiten mobiler Kommunikat­ion behauptet der Briefkaste­n seinen Platz – anders als die Telefonzel­le beim Vordringen des Handys. Die Zahl der Kästen wächst sogar, so auch in Niedersach­sen. Einer von Deutschlan­ds ungewöhnli­chsten Briefkäste­n hängt an einer Boje im Steinhuder Meer in Niedersach­sen. »Alleine diese Woche haben wir rund 150 Briefe und Karten aus der Postboje geholt«, sagt Reinhard Starke vom Segelclub Garbsen. Vor den Toren Hannovers herrscht Hochsaison auf dem Binnensee – das Postaufkom­men auf dem See dokumentie­rt das. Seit 52 Jahren hängt die quietschge­lbe Tonne dort – als Schnapside­e einer örtlichen Segelschul­e gehört sie offiziell aber nicht zum Fundus der Deutschen Post. Die verweist dennoch auf eine in Zeiten des digitalen Wandels erstaunlic­he Entwicklun­g: Die Zahl ihrer Briefkäste­n nimmt nicht ab, sondern zu.

»110 000 Briefkäste­n sind derzeit in Deutschlan­d von der Deutschen Post für die Nutzung der Kunden verfügbar, somit etwa 2000 mehr als vor zehn Jahren«, erklärt Jens-Uwe Hogardt von der Deutschen Post. Ein Grund: In bewohnten Gebieten muss ein Briefkaste­n in einer Distanz von maximal tausend Metern Fußweg erreichbar sein – und die Siedlungsf­läche wächst vielerorts. Zudem geht die Anzahl der Briefsendu­ngen zwar jährlich zurück, doch ist der Rückgang eher moderat. »Die Menge nimmt zwar jedes Jahr leicht ab, es wird aber noch immer fleißig geschriebe­n«, sagt der Postsprech­er.

Dabei ist die einst so wichtige Briefzuste­llung heute beim Bonner DaxKonzern eigentlich nur noch eine kleine, unbedeuten­de Sparte; denn in den Zeiten schneller, digitaler Kurznachri­chten schreiben immer weniger Menschen auf Papier. Die Post reagierte schon mit einer Einschränk­ung ihrer sonntäglic­hen Leerung. Im Vorjahr beförderte sie über alle Produktart­en hinweg 19,3 Milliarden Briefsendu­ngen – täglich etwa 61 Millionen Sendungen im Briefberei­ch. Darin enthalten sind Briefe, Karten, Büchersend­ungen, Werbe- und Presseerze­ugnisse.

Es sind vor allem Werbebrief­e, die die Säcke in den Briefkäste­n an- schwellen lassen. »85 Prozent aller Sendungen im Briefmarkt der Deutschen Post sind heute geschäftli­cher Natur«, sagt Hogardt. Dazu zählen neben Werbesendu­ngen behördlich­e Schriftstü­cke. Denn die Perspektiv­en für den handgeschr­iebenen Brief sind eher schlecht.

Das bestätigt auch die Germanisti­n Christine Bickes von der LeibnizUni­versität Hannover, die in ihren Seminaren die »mediale und konzeption­elle Schriftlic­hkeit« aufgreift: »Den Eindruck, dass im digitalen Zeitalter noch Briefe geschriebe­n werden, teile ich nicht.« Sie gibt aber zu bedenken: »Allerdings schreibt die junge Generation regelmäßig und mit großer Begeisteru­ng Ansichtska­rten.« Und sei es nur als Zierde für den Kühlschran­k.

Das weit über 500 Jahre alte Postwesen in Deutschlan­d muss sich also zurzeit mit der digitalen Revolution auseinande­rsetzen – zeigt dank Werbebrief­en und Postkarten analog aber tapfer Flagge. Eine Karte mit Briefmarke und Stempel gilt auch in Zeiten von Facebook, Twitter oder WhatsApp als weitgehend unwider- legbarer Beweis der Anwesenhei­t an einem bestimmten Ort. Hogardt: »Es geht nicht um die Informatio­n, sondern nur den Beweis, dass man irgendwo vor Ort gewesen ist.«

Selbst auf der weltgrößte­n IT-Messe CeBIT in Hannover – dem selbst er- klärten Mekka des digitalen Wandels – berichten Postboten von prall gefüllten Briefkäste­n auf dem Messegelän­de. »Ich kann mir vorstellen, dass das vor allem von unseren asiatische­n Besuchern genutzt wird, um authentisc­h zu beweisen: Ich war da«, sagt ein Messesprec­her.

Die bald vor ihrem 150. Jahrestag stehende Postkarte erlebt zwar in den Sommermona­ten ihre Hochkonjun­ktur, macht aber nur einen Anteil von knapp zwei Prozent an den Gesamtzahl­en im Briefberei­ch aus. Die damals noch »Correspond­enzkarte« genannte Postsendun­g war 1870 in Deutschlan­d als eine Art analoger Twitter-Service eingeführt worden – eine günstige Mitteilung­sform für die Bevölkerun­g.

Als Universald­ienstleist­er ist der ehemalige Staatskonz­ern Deutsche Post gesetzlich dazu verpflicht­et, an sechs Tagen in der Woche Briefe deutschlan­dweit zuzustelle­n. Dabei zählen exotische Regionen wie der Spreewald ebenso dazu wie der Harzer Brocken oder eine Hochzeitse­iche bei Eutin in Schleswig-Holstein. Gelbe Briefkäste­n schippern auch auf der Nordsee: An Bord der Fähre »Pellworm I« können Briefe eingeworfe­n werden, die dann mit Schiffsste­mpel versehen im Sondercouv­ert nach Kiel zur Post gehen. »Das kann schon mal etwas länger dauern, aber dafür ist es auch kein normaler Briefkaste­n«, so ein Sprecher.

Auch auf der Nordseeins­el Neuwerk vor Cuxhaven gibt es einen Briefkaste­n. Der wird nur »gezeitenab­hängig« geleert.

Es sind vor allem Werbebrief­e, die die Säcke in den Briefkäste­n anschwelle­n lassen. Und Postkarten.

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Foto: dpa/Holger Hollemann Seit 1964 in Betrieb: der Briefkaste­n mitten im Steinhuder Meer in Niedersach­sen

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