Ehrlicher lügen
Lieber empört man sich über einen Slogan statt über Parteien zu lachen, die längst zur ihrer eigenen Parodie geworden sind
Seit Montag dürfen in Berlin Wahlplakate für die Abgeordetenhaus- und Bezirkswahlen am 18. September gehängt werden. Da Politiker, zumal im Wahlkampf, nichts auf Regeln und Manieren geben, wurden schon am vorhergehenden Wochenende Berlins Straßen im hemmungslosen Kampf um die besten Laternenpfähle mit Parteienreklame überzogen.
Eine kleine Partei mit geringem Wahlkampfbudget und begrenztem Personal kann in diesem erbitterten Wettbewerb nur durch billige Provokation und einen kalkulierten Skandal die Aufmerksamkeit der Medien gewinnen. Wie das geht, machte die auf schmierigen Populismus spezialisierte Partei Die PARTEI kürzlich vor: In geringer Stückzahl produzierte Plakate mit dem Slogan »Hier könnte ein Nazi hängen« – ein freundlicher Hinweis darauf, dass auch Rechte ihre Plakate an Laternen hängen, der nur mit bösem Willen als Aufforderung zur Lynchjustiz missverstanden werden konnte – wurden an strategisch ausgewählten Laternenpfählen im Stadtgebiet verteilt, ein paar Fotos in die sozialen Netzwerke geworfen, und am Sonntag konnte man entspannt dem Hashtag #NaziHaengen beim Trenden zusehen.
Nach erstem Applaus von der Twitter-Antifa stellten sich die erwartbaren Reaktionen ein: Nazis und Querfrontler fragten, warum man sich denn nicht traue, endlich auch mal Moslems, oder – Achtung: Neu! – »Erdogan-Wähler« zu provozieren, und entdeckten, wie immer, wenn sie selbst – und sei es nur rhetorisch – angegriffen werden, plötzlich demokratische Werte wie Toleranz und Meinungsfreiheit, die sie lautstark von der anderen Seite einforderten.
Ebenso wenig überraschte der Chor der linksliberalen Mahner und Warner, die – wie um das rechte Klischee vom zahn- und rückgratlosen Gutmenschen um jeden Preis zu bestätigen – sehr um das seelische und körperliche Wohlergehen von Nazis besorgt waren und erklärten, wer so etwas auf Plakate drucke, sei doch selbst nicht besser oder trage zumin- dest »zur Verrohung der Sitten bei« (der Grüne Reinhard Bütikofer auf Twitter), häufig verbunden mit der Gegenfrage, ob man selbst es denn lustig fände, wenn Nazis vergleichbare Plakate über Minderheiten oder »Gutmenschen« aufhängen würden.
Mit nur einem Mindestmaß an politischer Aufmerksamkeit hätte einem rasch auffallen können, dass der Konjunktiv sich an dieser Stelle erübrigt. Die in Rede stehenden Plakate der PARTEI existieren überhaupt nur, weil Rechtsextremisten in der Vergangenheit wiederholt mit Wahlplakaten hausieren gingen, auf denen leidlich doppeldeutige Gewaltandrohungen zu finden waren (»GAS geben«, NPD Berlin; »Wir hängen nicht nur Plakate«, Die Rechte Magdeburg). Dass es politisch, moralisch und ästhetisch ein gigantischer Unterschied ist, ob Neonazis ihre realen Vernichtungsphantasien hinter tölpelhafter Ironie verstecken oder Satiriker die Deppenrhetorik der Nazis umkehren, sollte man eigentlich nicht extra erklären müssen.
Wer seine Gratisempörung noch etwas umfassender wollte, beschwerte sich darüber, dass Die PARTEI Wählerstimmen und Fördermittel einstreiche, obwohl sie doch letztlich nur »ein Haufen Clowns« sei, wie etwa ein Twitter-User meinte. Im Gegensatz natürlich zu all den anderen Clowns, die Stimmen, Fördermittel und Diäten einstreichen, möchte man hinzufügen.
An dieser Stelle scheint es nötig, daran zu erinnern, dass Die PARTEI 2004 von Redakteuren des Satiremagazins »Titanic« aus Notwehr gegründet wurde: Angesichts einer parteipolitischen Realität, die in ihrer Absurdität von Satire praktisch nicht mehr zu unterscheiden war, sahen die Satiriker sich gezwungen, mit billigen C&A-Anzügen in die reale Politik einzusteigen.
Aktuelle Beispiele für die anhaltende Misere liefern die Wahlplakate der politischen Mitbewerber in Berlin. Wo die CDU allen Ernstes kommentarlos »Mehr Polizei!« fordert und die Grünen sich nicht entblöden, Kinder als »Berlins wichtigste Start-Ups« zu bezeichnen, möchte man als humoristisch tätiger Mensch gerne die Arbeit niederlegen und sich vorsorglich am nächsten Laternenmast aufhängen, statt einsam und verhärmt dem sicheren Hungertod entgegenzuleiden, da es in einer zu ihrer eigenen Parodie werdenden Gesellschaft bald nichts mehr geben wird, was sich noch irgendwie ironisch brechen oder bespiegeln ließe.
So gesehen hat Die PARTEI ihr langfristiges Ziel, es möge »rechts und links von ihr keine anderen Parteien mehr geben«, aus Versehen schon längst erreicht: Es gibt keine Parteien mehr, nur einander immer ähnlicher werdende Amateursatiriker, Schmierenkomödianten und Politikerdarsteller. Einsam und allein dazwischen, als letzte seriöse, weil im offensiven Lügen letztlich ehrlichste Partei: Die PARTEI. Man muss sie wählen, denn sie ist sehr gut.
Es gibt keine Parteien mehr, nur einander immer ähnlicher werdende Amateursatiriker, Schmierenkomödianten und Politikerdarsteller.