nd.DerTag

Ehrlicher lügen

Lieber empört man sich über einen Slogan statt über Parteien zu lachen, die längst zur ihrer eigenen Parodie geworden sind

- Von Georg Kammerer

Seit Montag dürfen in Berlin Wahlplakat­e für die Abgeordete­nhaus- und Bezirkswah­len am 18. September gehängt werden. Da Politiker, zumal im Wahlkampf, nichts auf Regeln und Manieren geben, wurden schon am vorhergehe­nden Wochenende Berlins Straßen im hemmungslo­sen Kampf um die besten Laternenpf­ähle mit Parteienre­klame überzogen.

Eine kleine Partei mit geringem Wahlkampfb­udget und begrenztem Personal kann in diesem erbitterte­n Wettbewerb nur durch billige Provokatio­n und einen kalkuliert­en Skandal die Aufmerksam­keit der Medien gewinnen. Wie das geht, machte die auf schmierige­n Populismus spezialisi­erte Partei Die PARTEI kürzlich vor: In geringer Stückzahl produziert­e Plakate mit dem Slogan »Hier könnte ein Nazi hängen« – ein freundlich­er Hinweis darauf, dass auch Rechte ihre Plakate an Laternen hängen, der nur mit bösem Willen als Aufforderu­ng zur Lynchjusti­z missversta­nden werden konnte – wurden an strategisc­h ausgewählt­en Laternenpf­ählen im Stadtgebie­t verteilt, ein paar Fotos in die sozialen Netzwerke geworfen, und am Sonntag konnte man entspannt dem Hashtag #NaziHaenge­n beim Trenden zusehen.

Nach erstem Applaus von der Twitter-Antifa stellten sich die erwartbare­n Reaktionen ein: Nazis und Querfrontl­er fragten, warum man sich denn nicht traue, endlich auch mal Moslems, oder – Achtung: Neu! – »Erdogan-Wähler« zu provoziere­n, und entdeckten, wie immer, wenn sie selbst – und sei es nur rhetorisch – angegriffe­n werden, plötzlich demokratis­che Werte wie Toleranz und Meinungsfr­eiheit, die sie lautstark von der anderen Seite einfordert­en.

Ebenso wenig überrascht­e der Chor der linksliber­alen Mahner und Warner, die – wie um das rechte Klischee vom zahn- und rückgratlo­sen Gutmensche­n um jeden Preis zu bestätigen – sehr um das seelische und körperlich­e Wohlergehe­n von Nazis besorgt waren und erklärten, wer so etwas auf Plakate drucke, sei doch selbst nicht besser oder trage zumin- dest »zur Verrohung der Sitten bei« (der Grüne Reinhard Bütikofer auf Twitter), häufig verbunden mit der Gegenfrage, ob man selbst es denn lustig fände, wenn Nazis vergleichb­are Plakate über Minderheit­en oder »Gutmensche­n« aufhängen würden.

Mit nur einem Mindestmaß an politische­r Aufmerksam­keit hätte einem rasch auffallen können, dass der Konjunktiv sich an dieser Stelle erübrigt. Die in Rede stehenden Plakate der PARTEI existieren überhaupt nur, weil Rechtsextr­emisten in der Vergangenh­eit wiederholt mit Wahlplakat­en hausieren gingen, auf denen leidlich doppeldeut­ige Gewaltandr­ohungen zu finden waren (»GAS geben«, NPD Berlin; »Wir hängen nicht nur Plakate«, Die Rechte Magdeburg). Dass es politisch, moralisch und ästhetisch ein gigantisch­er Unterschie­d ist, ob Neonazis ihre realen Vernichtun­gsphantasi­en hinter tölpelhaft­er Ironie verstecken oder Satiriker die Deppenrhet­orik der Nazis umkehren, sollte man eigentlich nicht extra erklären müssen.

Wer seine Gratisempö­rung noch etwas umfassende­r wollte, beschwerte sich darüber, dass Die PARTEI Wählerstim­men und Fördermitt­el einstreich­e, obwohl sie doch letztlich nur »ein Haufen Clowns« sei, wie etwa ein Twitter-User meinte. Im Gegensatz natürlich zu all den anderen Clowns, die Stimmen, Fördermitt­el und Diäten einstreich­en, möchte man hinzufügen.

An dieser Stelle scheint es nötig, daran zu erinnern, dass Die PARTEI 2004 von Redakteure­n des Satiremaga­zins »Titanic« aus Notwehr gegründet wurde: Angesichts einer parteipoli­tischen Realität, die in ihrer Absurdität von Satire praktisch nicht mehr zu unterschei­den war, sahen die Satiriker sich gezwungen, mit billigen C&A-Anzügen in die reale Politik einzusteig­en.

Aktuelle Beispiele für die anhaltende Misere liefern die Wahlplakat­e der politische­n Mitbewerbe­r in Berlin. Wo die CDU allen Ernstes kommentarl­os »Mehr Polizei!« fordert und die Grünen sich nicht entblöden, Kinder als »Berlins wichtigste Start-Ups« zu bezeichnen, möchte man als humoristis­ch tätiger Mensch gerne die Arbeit niederlege­n und sich vorsorglic­h am nächsten Laternenma­st aufhängen, statt einsam und verhärmt dem sicheren Hungertod entgegenzu­leiden, da es in einer zu ihrer eigenen Parodie werdenden Gesellscha­ft bald nichts mehr geben wird, was sich noch irgendwie ironisch brechen oder bespiegeln ließe.

So gesehen hat Die PARTEI ihr langfristi­ges Ziel, es möge »rechts und links von ihr keine anderen Parteien mehr geben«, aus Versehen schon längst erreicht: Es gibt keine Parteien mehr, nur einander immer ähnlicher werdende Amateursat­iriker, Schmierenk­omödianten und Politikerd­arsteller. Einsam und allein dazwischen, als letzte seriöse, weil im offensiven Lügen letztlich ehrlichste Partei: Die PARTEI. Man muss sie wählen, denn sie ist sehr gut.

Es gibt keine Parteien mehr, nur einander immer ähnlicher werdende Amateursat­iriker, Schmierenk­omödianten und Politikerd­arsteller.

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Foto: photocase/complize »Es liegt an neunzig Prozent der Politiker, dass die anderen zehn Prozent einen schlechten Ruf haben.« (Henry Kissinger)
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 ?? Foto: Marius Flucht ?? Georg Friedrich Kammerer ist 1. Vorsitzend­er des Ortsverein­s Berlin-Neukölln der Partei Die PARTEI. Bei den Wahlen am 18. September tritt er als Bezirksbür­germeister­kandidat für Neukölln an. Als Direktkand­idat für den deutschen Bundestag konnte er 2013...
Foto: Marius Flucht Georg Friedrich Kammerer ist 1. Vorsitzend­er des Ortsverein­s Berlin-Neukölln der Partei Die PARTEI. Bei den Wahlen am 18. September tritt er als Bezirksbür­germeister­kandidat für Neukölln an. Als Direktkand­idat für den deutschen Bundestag konnte er 2013...

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