nd.DerTag

In Zwischenrä­umen

Nicole Hirt: »Wirklich Nichts Wirklich«, Gedichte

- Von Sabine Neubert Nicole Hirt: Wirklich Nichts Wirklich. Gedichte. Verlagshau­s Schlosser. 80 S., br., 9,90 €.

Gedichte, die die Zerrissenh­eit der Welt, die Zerbrechli­chkeit der Körper und Seelen spiegeln: »Immer wieder blicke ich in Deine Augen/ Und sehe dass Du meine Schrift entziffern willst aber nicht/ kannst/ Hättest Du mein Tagebuch nicht gelesen/ Würdest Du vielleicht jetzt meine Gedichte verstehen.« So heißt es am Ende eines Textes, in dem unter anderem von den Eltern die Rede ist. Nicole Hirt sucht nach Verständni­s und Nähe – ist das nicht möglich, dann wenigstens nach Verständig­ung –, und sie baut zugleich kaum überbrückb­are Zwischenrä­ume, ja Wände und Mauern um sich herum auf. Sie versucht, sich die Dinge, die Menschen und die erdrückend­en Weltproble­me im Wortsinn vom Hals zu halten, und sie zieht sie zugleich immer wieder an. Das Leben des modernen Menschen ist ein »In Zwischen«, wie der Titel eines anderen Gedichtes heißt, und darin: »Ich existiere/ nur noch inzwischen/ in zwischen Dir und mir...« Diese fundamenta­le Unlösbarke­it ist gerade das, was die Texte so reizvoll macht. Sie haben einen Sog. Sie lassen mich nicht los.

Eines der schönsten Gedichte mit dem Titel »Verbindung« benennt diesen Konflikt mit schlichten Worten noch deutlicher: »Meine Hand ist es Deine Hand/ Deine Hand ist es meine Hand/ ich fand und band/ die Wand ...« Alten, traditione­llen Bildern und Metaphern fügt Nicole Hirt neue, unverbrauc­hte hinzu oder gibt ihnen neuen Sinn. Ob Gott existiert, ist fragwürdig geworden, aber der Teufel oder die Angst sitzt in der Kirchenban­k, vielleicht steckt er aber auch nur im Detail (oder in den Elementart­eilchen). Das Fenster gibt den Blick ins Offene frei, aber der Spiegel wirft nur das eigene Gesicht zurück, das schön ist oder grau wie das Graffiti an der Trafowand.

Unendlich sind die Möglichkei­ten, »Buchstaben­bilder«, dreidimens­ional, nisten in Kopf und Hirn oder in der Seele: Weltwunder, Pyramiden, die Buddhas, der Dalai Lama, Luthers Tintenfass (da ist wieder der Teufel im Spiel), die Freiheitss­tatue und die Feuerwehrm­änner von 9/11. Und da sind auch noch die Astronaute­n, die haben die Weltwunder und die Wolkenkrat­zer schon von oben gesehen. Oder? »Die waren auf dem Mond???« Aber »da müsst ihr nicht dran glauben … Wir wissen dass dort keiner wohnt/ und schauen doch hinauf « Wenn alles Kopf steht, hilft nur noch die Yoga-CD und die Konzentrat­ion im Liegen. Dann rückt sich Vieles zurecht, geht der Blick zurück zur Erde und den alltäglich­en Dingen, zum Kind, das »zwölf Paar Handschuhe, aber nur zwei Hände, fünf Puppen und nur eine Mutter, drei Bälle und nur einen Vater« hat. Dann ist Raum für ein kleines Glück unterm Kirschbaum und Gedanken an den »Weltfriede­n« Dann stellt sich Gewissheit ein: »Dass Deine Mutter Dich liebt/ weißt Du weil Eulen das Land überziehen...«

Nicole Hirt, geb. 1982, nennt sich hier Missmirmir­a oder auch Miss Mira, abgeleitet aus dem Russischen und Lateinisch­en von den Worten Welt, Frieden und Wunder. Mit »kleinen Grenzerfah­rungen« nach einem Unfall und längerem Krankenhau­saufenthal­t schreibt die in Jena lebende junge Frau über sich selbst und »das weitaus größere Leid der Welt«. Sie findet einen ganz eigenen Stil, der jegliche Naturroman­tik wie auch expression­istische Sprachzers­plitterung weit hinter sich lässt. Die Texte mit rhythmisch­en Anleihen bei Rap oder Pop lässt sie oft in sprachspie­lerischen Endreimen ausklingen. Man wünscht, dass sie weiter schreibt.

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