In Zwischenräumen
Nicole Hirt: »Wirklich Nichts Wirklich«, Gedichte
Gedichte, die die Zerrissenheit der Welt, die Zerbrechlichkeit der Körper und Seelen spiegeln: »Immer wieder blicke ich in Deine Augen/ Und sehe dass Du meine Schrift entziffern willst aber nicht/ kannst/ Hättest Du mein Tagebuch nicht gelesen/ Würdest Du vielleicht jetzt meine Gedichte verstehen.« So heißt es am Ende eines Textes, in dem unter anderem von den Eltern die Rede ist. Nicole Hirt sucht nach Verständnis und Nähe – ist das nicht möglich, dann wenigstens nach Verständigung –, und sie baut zugleich kaum überbrückbare Zwischenräume, ja Wände und Mauern um sich herum auf. Sie versucht, sich die Dinge, die Menschen und die erdrückenden Weltprobleme im Wortsinn vom Hals zu halten, und sie zieht sie zugleich immer wieder an. Das Leben des modernen Menschen ist ein »In Zwischen«, wie der Titel eines anderen Gedichtes heißt, und darin: »Ich existiere/ nur noch inzwischen/ in zwischen Dir und mir...« Diese fundamentale Unlösbarkeit ist gerade das, was die Texte so reizvoll macht. Sie haben einen Sog. Sie lassen mich nicht los.
Eines der schönsten Gedichte mit dem Titel »Verbindung« benennt diesen Konflikt mit schlichten Worten noch deutlicher: »Meine Hand ist es Deine Hand/ Deine Hand ist es meine Hand/ ich fand und band/ die Wand ...« Alten, traditionellen Bildern und Metaphern fügt Nicole Hirt neue, unverbrauchte hinzu oder gibt ihnen neuen Sinn. Ob Gott existiert, ist fragwürdig geworden, aber der Teufel oder die Angst sitzt in der Kirchenbank, vielleicht steckt er aber auch nur im Detail (oder in den Elementarteilchen). Das Fenster gibt den Blick ins Offene frei, aber der Spiegel wirft nur das eigene Gesicht zurück, das schön ist oder grau wie das Graffiti an der Trafowand.
Unendlich sind die Möglichkeiten, »Buchstabenbilder«, dreidimensional, nisten in Kopf und Hirn oder in der Seele: Weltwunder, Pyramiden, die Buddhas, der Dalai Lama, Luthers Tintenfass (da ist wieder der Teufel im Spiel), die Freiheitsstatue und die Feuerwehrmänner von 9/11. Und da sind auch noch die Astronauten, die haben die Weltwunder und die Wolkenkratzer schon von oben gesehen. Oder? »Die waren auf dem Mond???« Aber »da müsst ihr nicht dran glauben … Wir wissen dass dort keiner wohnt/ und schauen doch hinauf « Wenn alles Kopf steht, hilft nur noch die Yoga-CD und die Konzentration im Liegen. Dann rückt sich Vieles zurecht, geht der Blick zurück zur Erde und den alltäglichen Dingen, zum Kind, das »zwölf Paar Handschuhe, aber nur zwei Hände, fünf Puppen und nur eine Mutter, drei Bälle und nur einen Vater« hat. Dann ist Raum für ein kleines Glück unterm Kirschbaum und Gedanken an den »Weltfrieden« Dann stellt sich Gewissheit ein: »Dass Deine Mutter Dich liebt/ weißt Du weil Eulen das Land überziehen...«
Nicole Hirt, geb. 1982, nennt sich hier Missmirmira oder auch Miss Mira, abgeleitet aus dem Russischen und Lateinischen von den Worten Welt, Frieden und Wunder. Mit »kleinen Grenzerfahrungen« nach einem Unfall und längerem Krankenhausaufenthalt schreibt die in Jena lebende junge Frau über sich selbst und »das weitaus größere Leid der Welt«. Sie findet einen ganz eigenen Stil, der jegliche Naturromantik wie auch expressionistische Sprachzersplitterung weit hinter sich lässt. Die Texte mit rhythmischen Anleihen bei Rap oder Pop lässt sie oft in sprachspielerischen Endreimen ausklingen. Man wünscht, dass sie weiter schreibt.