Neue Vorwürfe belasten das IOC
Richard Pound vermutet, dass die Entscheidung pro Russland vor der Abstimmung der Exekutive getroffen wurde
IOC-Alterspräsident Richard Pound kritisiert, dass Russland ob seines Dopingsystems nicht komplett ausgeschlossen wurde. In ähnlichen Fällen wurde schon so entschieden.
Noch bis zu diesem Donnerstag, insgesamt drei Tage lang, tagt das Internationale Olympische Komitee (IOC) auf seiner 129. Session in Rio de Janeiro. Allerlei Themen stehen auf der offiziellen Agenda – das wichtigste fehlt. Während die gesamte Sportwelt den Ausschluss russischer Athleten kontrovers diskutiert, lässt das IOC einen offenen Umgang mit dem nachgewiesenermaßen staatlich geschützten Dopingsystem in Russland nicht zu. Schon die Entscheidung, die große Sportnation nicht komplett zu sperren, wurde im Geheimen getroffen. Die 15 Mitglieder des IOC-Exekutivkomitees waren sich am 24. Juli schnell einig.
Über Russland wird natürlich trotzdem auf der Session gesprochen. Weil das Thema aber kein Tagesordnungspunkt mit Anträgen, Reden oder Diskussionen ist, führt Thomas Bach Regie. Der IOC-Präsident eröffnete die Sitzung am zweiten Tag mit einer Abstimmung. 85 der insgesamt 90 Mitglieder der Vollversammlung waren anwesend – 84 befürworteten die Entscheidung der IOC-Exekutive, Russland nicht komplett auszuschließen. Thomas Bach hat seinen Laden anscheinend gut im Griff.
Richard Pound stößt derlei Einigkeit auf. Während der Session am Dienstag blieb der IOC-Alterspräsident, der zudem bis 2007 acht Jahre lang Präsident der Welt-AntidopingAgentur (WADA) war, noch ruhig. Später suchte er für seine Kritik die Öffentlichkeit. »Das wäre eine Möglichkeit«, antwortete der 74-Jährige auf die Frage, ob das betreffende Dossier der IOC-Exekutive zu dessen Russland-Entscheidung schon vor der Dringlichkeitssitzung am 24. Juli vorbereitet war. »Die Sitzung hat nur drei Stunden gedauert und wenig später wurden bereits sehr präzise, juristisch saubere 13 Seiten dazu vorge- legt«, erklärte Pound der »Süddeutschen Zeitung«.
Thomas Bachs Freundschaft mit Russlands Staatspräsident Wladimir Putin? Finanzielle oder sportliche Aspekte? Über mögliche Hintergründe der Entscheidung der Exekutive wollte Richard Pound nicht spekulieren. An der Argumentation des IOC, dass saubere russische Athleten nicht durch einen Komplettausschluss ihres Landes bestraft werden sollten, ließ der erfahrene Sportpolitiker nichts Gutes. »Wir haben schon immer Ausschlüsse verhängt. Wir haben Südafrika wegen der Apartheid für viele Jahre ausgesperrt, damals durften nicht einmal die schwarzen Athleten des Landes antreten.«
Ganz aktuell zeigt der Umgang mit Kuwait, wie rigoros das Internationale Olympische Komitee durchgreifen kann – wenn es denn will. Im vergangenen Oktober hatten sowohl das IOC und der Fußballweltverband das Nationale Olympische Komitee Kuwaits wegen der politischen Einflussnahme der Regierung suspendiert. Am Dienstagabend hat ein Schweizer Zivilgericht die Schadenersatzklage des Scheichtums gegen seine Suspendierung abgewiesen.
Was hat Russland was Kuwait nicht hat? Eine Antwort wäre auch hier wieder nur Spekulation. Fest aber steht, dass das IOC mit zweierlei Maß misst. Richard Pound sieht das ähnlich: »In Kuwait geht es um politische Probleme mit dem Verband, und die Athleten, die daran völlig unschuldig sind, dürfen nicht für ihr Land starten.« Kuwaitische Sportler dürfen in Rio nur unter neutraler Flagge antreten. »Das wäre auch im Fall Russland eine bessere Lösung gewesen«, meint Pound.
Der IOC-Präsident hat auf all das noch nicht reagiert. Muss er vielleicht auch gar nicht. Der Machtmensch Thomas Bach hat seinen Laden nicht nur im Griff, er hält ihn auch sauber. Dafür ist ihm der Rückhalt seiner olympischen Familie sicher. Das aufwendige Normierungsverfahren russischer Sportler hat er den jeweiligen Weltverbänden und dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS) zuge- schoben. Am Mittwoch bestätigte der CAS die Olympiasperre von 17 Ruderern. Noch immer steht nicht fest, wie viele Athleten aus Russland bei den am Freitag beginnenden Sommerspielen in Rio antreten werden.
Die Schuldigen für dieses Chaos hat Bach auch gefunden, natürlich nicht in den eigenen Reihen. Grundsätzlich sei die WADA für den AntidopingKampf zuständig. Und im Fall Russland habe sie es versäumt, frühzeitig einzugreifen. Aber: Wenn die WADA schon vor sechs Jahren erste Hinweise hatte, ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch das IOC davon wusste. Und mit dem Vorwurf an die Agentur, erst Ende 2014 aktiv geworden zu sein, macht sich auch das Internationale Olympische Komitee unmöglich. Schon ein Jahr früher hatten englische Journalisten dem IOC konkrete Hinweise zum russischen Dopingsystem geliefert. Passiert ist nichts.
Irgendwie hat es Thomas Bach dennoch geschafft, sauber aus der Sache raus zukommen. Während die WADA auf der IOC-Session anfangs noch gegen die Anschuldigungen protestierte, zeigt sie mittlerweile Reue und folgt ganz der Linie des obersten Olympioniken, der eine »vollständige Überarbeitung der WADA und ihres Antidoping-Systems« sowie eine dafür nötige WADA-Konferenz forderte. »Wir haben diesen Vorschlag von IOC-Präsident Thomas Bach zur Kenntnis genommen. Natürlich ist es möglich, eine solche Konferenz zu organisieren. Dann werden wir unser System überdenken. Wir wissen, dass das nötig ist«, gab sich WADA-Präsident Craif Reedie vor der olympischen Vollversammlung ganz zahm.