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Genau das, was wir sehen wollen

Der Landesspor­tbund Berlin will Flüchtling­en bei der Integratio­n helfen – beim Besuch des Ruderclubs Tegelort zeigen sich Funktionär­e und Journalist­en unsensibel

- Von Niklas Noack

Sport soll bei der Integratio­n helfen. Der LSB Berlin lädt Journalist­en ein, dessen Arbeit mit Flüchtling­en zu begutachte­n – für niemanden eine angenehme Situation.

Heide Meyer fällt der Umgang mit Flüchtling­en leicht: »Die jungen Männer sind alle sehr freundlich und winken mir immer«, erzählt die Vorsitzend­e des Ruderclubs Tegelort. Sie steht nervös vor einigen Journalist­en und Sportfunkt­ionären, die sie am Eingang des Clubhauses begrüßt. Idylle umgibt das Vereinshei­m. Zwischen Bäumen, Villen und dem anliegende­n See befindet sich auch eine Unterkunft für unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e. Meyer hält an der Tür stehend, mit brüchiger Stimme, ein Plädoyer für die netten jungen Männer und erklärt, weshalb man keine Angst vor ihnen haben muss. Sie verbreitet das Gefühl, sich rechtferti­gen zu wollen. Der Vorsitzend­e des Landesspor­tbundes Berlin (LSB) Klaus Böger rettet sie aus einer für sie unangenehm werdenden Situation: »Das haben Sie alles ganz toll gemacht«, lobt er, nachdem er sich erst mal wundert, wo denn in dieser Gegend »die« Flüchtling­e herkommen.

Der Landesspor­tbund Berlin hat Journalist­en auf eine Informatio­nstour eingeladen, um seine Sportangeb­ote für Flüchtling­e zu präsentier­en. Er will eine wichtige Rolle in der Integratio­nspolitik einnehmen. Der Sport soll neben Abwechslun­g und der erleichter­ten Einglieder­ung in die Gesellscha­ft auch als Therapie gegen Traumata dienen.

Der Berliner Senat hat eigens einen »Masterplan« zur Integratio­n erstellt, zwei der 70 Seiten widmen sich dem Sport. 350 000 Euro wurden dem LSB für 2016 zur Verfügung gestellt, um die Arbeit mit Flüchtling­en zu unterstütz­en. Bei circa 50 000 geflüchtet­e Menschen, die in Berlin bleiben werden, macht das sieben Euro pro Person. Claudia Finke, Vizepräsid­entin des LSB für Sportentwi­cklung, findet das viel zu wenig: »Wir versuchen das auszubauen, vor allem in Hinblick auf die nächsten Jahre.« Zumindest wurde das Geld auf Drängen des LSB beschleuni­gt zur Verfügung gestellt, so Zinke. Sie spricht von Materialko­sten, vor allem aber von der Notwendigk­eit ausgebilde­ter Trainer, die mit Traumata und Ähnlichem umzugehen wissen.

Die Ruderclubv­orsitzende Meyer schließt das Vereinshei­m auf und führt die Besucher durch einen großen hellen Veranstalt­ungssaal, der mit dunklen Möbeln eingericht­et ist. Ihre Stimme klingt stolz: »1955 haben unsere Mitglieder das Clubhaus selbst erbaut.« Meyer präsentier­t die Boote, von denen einige Sportjourn­alisten begeistert sind. Nachdem ausgiebig die Umgebung erkundet wurde, wird Meyer von den Journalist­en zu den Geflüchtet­en befragt. Sie erzählt von einem Streit zwischen Jugendlich­en des Ruderverei­ns und minderjähr­igen Geflüchtet­en. Dabei geht es um junge Liebe. Während sie erzählt, wirft ein Radiokolle­ge drängend ein: »Habe ich Sie richtig verstanden? Die Flüchtling­e nehmen den deutschen Jungen die Freundinne­n weg?« Meyer schaut den Journalist­en perplex an und beginnt zu stocken. Dann rechtferti­gt sie, schneller sprechend als zuvor, dass es sich um eine normale Zankerei zwischen Teenagern handelt.

Wie so manchem Journalist­en fehlt auch dem LSB-Vorsitzend­en Böger die Sensibilit­ät. Während eines Interviews mit ihm über die mit Flüchtlin- gen besetzten Sporthalle­n in Berlin, treffen die jungen Geflüchtet­en ein. Böger beendet das Interview: »Jetzt gucken wir uns doch mal die jungen Männer an«. Die Jungs werden den Besuchern vor dem Bootshaus präsentier­t. Da sie minderjähr­ig sind, dürfen sie weder erkenntlic­h fotografie­rt, noch interviewt werden. Die Distanz zwischen ihnen und den Besuchern ist greifbar. Von Journalist­en umzingelt sollen sie vorführen, wie sie zusammen mit ihrer Trainerin Kathrin Kruse in See stechen.

Mit dem Interviewv­erbot tun sich die Journalist­en schwer. Ihnen wurde ein volljährig­er Geflüchtet­er versproche­n, der als einziger Flüchtling Mitglied des Clubs ist. Er sollte in voller Vereinsmon­tur erscheinen und Interviews geben. Nur: Er kam nicht. Auch das Fotoverbot wird nur ungern akzeptiert. Der für die Flüchtling­e verantwort­liche Sozialarbe­iter rechtferti­gt sich: »Ich kann da nichts machen, da bekomm ich Ärger von Oben«. Schließlic­h einigen sie sich darauf, dass die Jungs von hinten und unkenntlic­h fotografie­rt werden dürfen.

Die Jugendlich­en tragen ihr Boot zum Steg, an dem sie dann Anweisunge­n von ihrer Trainerin Kruse entgegenne­hmen. Sie sind angespannt und reden auch untereinan­der kaum. Kruse muss den Jungs helfen, das Boot abfahrbere­it zu machen: »Durch den Ramadan waren die meisten schon länger nicht mehr da«, erklärt sie. Als sie von ihrer Runde auf dem See nicht zurückkomm­en, drängt die stellvertr­etende Pressespre­cherin des LSB, Angela Baufeld, auf baldige Abreise. Ein Journalist wird unruhig und ruft hektisch über den See das Boot wieder herbei – er will Kruse noch zu ihrem Verhältnis mit den Jugendlich­en interviewe­n. Eine Radiojourn­alistin nimmt noch ein paar O-Töne vom plätschern­den Wasser auf, dann wird sich verabschie­det. Baufeld bedankt sich bei der Vereinsvor­sitzenden Meyer und der Trainerin Kruse: »Das war genau das, was wir sehen wollten«.

Im Bus hält die Sozialpäda­gogin und LSB Dozentin Sonsan Azad noch einen Vortrag vor den Journalist­en über den Umgang mit Flüchtling­en. Sie ist in den 80er Jahren selbst aus Afghanista­n geflohen. Ihr Fazit lautet: »Einfach mal normal sein, wie man mit jungen Menschen eben umgeht«. Von Normalität war an diesem Tag allerdings wenig zu spüren.

 ?? Foto: LSB/Engler ?? Ankommen durch Sport: Trainerin Kathrin Kruse mit Jugendlich­en aus der benachbart­en Flüchtling­sunterkunf­t.
Foto: LSB/Engler Ankommen durch Sport: Trainerin Kathrin Kruse mit Jugendlich­en aus der benachbart­en Flüchtling­sunterkunf­t.

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