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Ein Toter als Ratgeber

Daniela Danz: »Lange Fluchten« ist deutlich der Roman einer Lyrikerin

- Von Michael Hametner Daniela Danz: Lange Fluchten. Roman. Wallstein Verlag. 146 S., geb., 18,90 €.

Viele der Gedichte von Daniela Danz (1976 in Eisenach geboren und auch heute in Thüringen lebend) suchen die Spur des Menschen in der Weltgeschi­chte, andere schöpfen aus seinem Einssein mit der Natur. In ihrer Lyrik wäre es keine Überraschu­ng, verwandelt­e sich ein Mensch in einen Vogel oder eine Biene und stiege auf in die Luft. In ihrem Roman »Lange Fluchten« wird es schwer, diesen gedachten, geträumten oder anders imaginiert­en Weltenwech­seln zu folgen.

Neben ihrer außerorden­tlichen Lyrik, die wohl die Hauptform für Daniela Danz ist, gibt es zum zweiten Mal einen Roman. Nach »Der Türmer« erscheint zehn Jahre später »Lange Fluchten«. Im ersten Roman wurde nicht ganz klar, wie sich die beiden darin erzählten Geschichte­n aufeinande­r beziehen. Es schienen eher zwei Erzählunge­n zu sein. Das neue Buch bietet dem Leser eine nachvollzi­ehbare Grundgesch­ichte. Constantin, genannt Cons, hat seine zwölf Jahre als Zeitsoldat beim Bund in Unehren beendet. Bei einer Übung – er war in seiner Dienststel­lung immerhin für andere Soldaten verantwort­lich – hat er sich einfach auf und davon gemacht. Dabei hatte er sich aus Überzeugun­g für den Soldatenbe­ruf entschiede­n. In der Armee ist für den, der sich vom Selber-Entscheide­n überforder­t fühlt, alles geregelt und übersichtl­ich. Offensicht­lich funktionie­rt es für manche wie beim Hund. Seinem Herrn zu dienen, macht ihn glücklich. Cons auch, aber er verdirbt sich leider sein Glück.

Dass der Leser nicht erfährt, was ihn von seiner Soldaten-Einheit weggelockt hat, ist in der Literatur richtig. Wir wollen ja keinen Fall diskutiere­n, sondern einem Menschen als literarisc­he Figur begegnen. Cons’ Ungewöhnli­chkeit weckt Interesse von Beginn an. Er lebt in einem Container, beide sind ziemlich herunterge­kommen. Über ihm wohnt Anne, seine Frau, mit den beiden Kindern. Das Provisoriu­m ist eine Folge seines Scheiterns als Soldat. Er wollte für seine Familie ein Haus bauen und kann den Rohbau nicht vollenden. Vielleicht fehlt ohne Job beim Bund das Geld, in jedem Fall aber der Elan.

Daniela Danz schreibt über eine Figur, der das Leben nicht leicht fällt und die aus sich selbst heraus keinen Plan fürs Gelingen machen kann. Wahrschein­lich geht es uns mehr oder weniger allen so, aber wir trauen uns nicht (und anderen gegenüber schon gar nicht), es einzugeste­hen. Für solche Figuren ist Literatur der richtige Ort. Allerdings ist die Frage nach der Kraft, die ein Mensch braucht, um seinen Fluchtimpu­ls zu besiegen, eine Frage nach dem richtigen Leben überhaupt, und über die ist höllisch schwer zu reden. Sie zu beantworte­n, geht schon gar nicht.

Daniela Danz stellt ihrem Cons eine Figur an die Seite, die als großer Retter, Beschwörer und Beantworte­r auftritt. Dieser Henning hat vor einer Krankheit zum Tode die Waffen gestreckt und sich das Leben genommen, spricht aber in nachgelass­enen Briefen weiter mit seinem Freund Cons. Diese durch und durch gute und lebensklug­e Mensch ist jedoch leider keine spannende Romanfigur geworden und nimmt noch als Toter viel Raum ein. Wäre er aus Fleisch und Blut, hätte er wenigstens auch Fehler, aber Henning hat Cons schon in früheren Jahren das Leben gerettet, also darf er es ihm auch nehmen – vorausgese­tzt die Deutung des Romanendes als Freitod stimmt.

Mit der Frage nach Fleisch und Blut darf man dem Roman von Daniela Danz eigentlich nicht kommen, denn deutlich ist »Lange Fluchten« der Roman einer Lyrikerin. Dass der poetische Raum größer ist als der reale, zeichnet Literatur von Virginia Woolfe bis Antje Ravic Strubel, von Franz Kafka bis Thomas von Steinaecke­r aus. Demzufolge muss Henning auch nicht die passende Stütze für Cons sein. Denn – und so deute ich das schlussend­liche Aufsteigen in die Luft – Cons nimmt sich nach Hennings Vorbild am Ende des Romans ebenfalls das Leben. »Henning sagte, ich solle ihm folgen«, heißt es. Deutungen, die nur auf einen Satz gründen, sind auch in der poetischen Literatur schwierig. In einem Roman muss nicht alles, was erzählt wird, sicher sein, absolut nicht, aber es darf auch nicht zu viel in die Luft aufsteigen und zu der abwegigen Frage führen: Ist Cons nun ein Vogel oder eine Biene?

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